Ich lese gerade den Siebenhundertseiter "Lektionen", das neueste Werk aus der Feder des Großmeisters Ian McEwan. Im Text sind die Zeitebenen und Erzählstränge stark durchmischt, es gibt wenig Dialoganteile - und der Satz ist eine klassische Bleiwüste. Nach Dutzenden Seiten, gefühlt aber nach hunderten davon, kommt dann irgendwo mal ein rettendes Sternchen, das zwei Absätze (eher willkürlich) trennt, oder ein Seitenumbruch, gefolgt von einem Kapitelnümmerchen über der nächsten Seite. Das ohnehin sehr dichte, gleichsam komprimierte, tatsächlich etwas anstrengende Buch, das wenig Orientierung bietet und nach einer Leseunterbrechung - und sei es nur von wenigen Stunden - den Wiedereinstieg echt schwer macht, käme mit kürzeren Kapiteln, möglicherweise noch mit Überschriften deutlich zugänglicher daher. Aber dann wäre es ein anderes Buch, und da es in den Abschnitten teilweise wirklich turbulent durcheinandergeht, ohne übrigens je rasant zu werden, wüsste ich auch nicht, wie man die Kapitel nennen sollte. Aber der Roman ist ja auch nicht von mir.
In meinem eigenen neuesten Werk, von dem gerade die Rezensionsexemplare versandt werden, und das mein bisher seitenmächtigstes Buch wird (412 Seiten - und ganz zufällig ist der 4.12. mein Geburtstag!), setze ich Kapiteltrennungen und -überschriften als Stilmittel ein. Die Kapitelüberschriften sind allesamt Wortspiele, sie sind Vorwegnahmen, (hoffentlich) ohne etwas zu verraten, und sie bieten zeitliche Orientierung. Der erste Teil des Buches erzählt von tausend Freitagen oder zwanzig Jahren (was nicht tausend Freitagen entspricht, ich weiß, aber es gibt für diesen Unterschied Gründe), und deshalb sind die Kapitel im ersten Teil auch noch mit einer Art Fortschrittsbalken ausgestattet, der darüber Auskunft gibt, wie viele von den tausend Freitagen bis zum fraglichen Kapitel schon vergangen sind. Damit wird das sehr episodische, aber auch thematisch in den Kapiteln auf bestimmte Fragen fokussierte Erzählen unterstützt, und es ginge ohne diese zusätzlichen Markierungen und Wegweiser überhaupt nicht, meine ich. Ich hoffe auch, dass diese Art der Kapiteltrennung wirklich zum Innehalten nötigt, dass die Aufteilung dadurch bewusster wahrgenommen wird. Nach dem, was ich bislang als Feedback bekommen habe, ist das auch so.
Ich wiederhole mich. Eine Klarinette hat in einem Song von Green Day wenig verloren, aber in einigen Stücken von Billy Joel würde man das Instrument vermissen. Das ist nicht das gleiche, ich weiß, aber das ist das Problem mit Vergleichen.