Die Angst der AutorInnen

  • Im Interview mit der SZ (Nr. 214, 16.9.2021, S.14) sagt die Autorin Leila Slimani:


    Zitat

    Ich beobachte eine Art Selbstzensur. Jemand sagt was Falsches im Fernsehen oder im Internet, er wird sofort bewertet, gar gecancelt. Leute trauen sich nicht, bestimmte Jobs oder Haltungen zu übernehmen aus Sorge, missverstanden oder verurteilt zu werden. Man sollte als Künstler das Recht haben zu schockieren. Es ist nicht interessant, ein Buch zu lesen, dem man voll und ganz zustimmt, in dem alle gut und nett sind. Wir müssen auch die finstere Seite der Menschheit darstellen. Aber viele Autoren haben Angst, mit ihren Charakteren verwechselt zu werden..


    Weiter sagt sie noch:


    Zitat

    Talent geht nicht automatisch mit Moral einher, oder mit Nettsein. Manche sind Genies in ihrem Bereich und trotzdem schreckliche Menschen. Aber die Leser und Zuschauer sind doch nicht dumm. Man kann das trennen. Wir sollten aufhören, andere wie Kinder zu behandeln.


    Auf die Frage, ob Künstler moralisch sein müssen antwortet sie:


    Zitat

    Nein. Künstler sollen sein, was immer sie wollen. natürlich heißt das nicht, dass ich ständig rassistisches, sexistisches und misogynes Zeug erzählen kann. Aber wenn ich über einen Rassisten schreiben will, habe ich das Recht, das zu tun. Auf Französisch sagen wir, on ne fait pas bonne littérature avec des bon sentiments, mit guten Gefühlen macht man noch keine gute Literatur.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Selbstverständlich müssen Künstler moralisch sein, denn sonst produzieren sie volksverderbenden Dreck. Die von ihnen geschilderten Charaktere hingegen müssen es nicht unbedingt sein.

    "Im Internet weiss keiner, dass du eine Katze bist." =^.^=

  • "volksverderbender Dreck"?


    Das klingt mir so vertraut. Schundliteratur wurde so begründet in meiner Kinder- und Jugendzeit, vor allem Comics gehörten zu den Sachen, die "das Volk" verderben.


    Klar, es ist die Literatur, die ein "Volk" verdirbt, nicht etwa Demagogen, Machtmenschen, Funktionäre, Revolutionäre und andere der Literatur fern stehende Personen. Nicht wahr? Wenn "das Volk" verdorben wird sind die Autoren schuld.


    Meine Güte, das arme Volk, was das alles erleidet, nur weil es liest. Wäre es da nicht besser, man würde das Lesen komplett verbieten? Am Besten schon in der Schule das Fach Lesen abschaffen. Schreiben lieber auch nicht mehr beibringen, rechnen reicht!

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  • Im Magazin der Süddeutschen Zeitung (Nummer 57, 17. September 2021) gibt es ein Interview mit dem amerikanischen Autor Bret Easton Ellis (American Psycho). Titel: "Ich musste unterschreiben, dass ich alle Morddrohungen gesehen habe". Sehr lesenswert!


    Zitat

    Wenn wir wirklich anfangen absolut alles auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen, haben wir keine Kunst mehr.

    Kunst schockiert mich nie. Ich bin definitiv nicht schockiert von Darstellungen von Brutalität, Sexualität oder was auch immer. Was mich schockiert, ist das echte Leben.

    (S.27)

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    4 Mal editiert, zuletzt von Horst-Dieter ()

  • B. E. E. hat im Frühjahr 2019 in seinem autobiografischen Buch "Weiß" ebenfalls in diese Bresche geschlagen.


    Mit Leila Slimani gab es gestern in der "Radio eins"-Sendung "Die Literaturagenten" ein bemerkens- und hörenswertes Interview, in dem es im Kern zwar um ihren Roman "Das Land der Anderen" (warum wird "Anderen" hier eigentlich groß geschrieben? ?!?) ging, aber auch um die im Ausgangsposting dieses Threads formulierte Haltung ging: https://www.radioeins.de/progr…teraturagenten_14559.html


    Das Buch habe ich gleich mal auf die Leseliste genommen:

    ASIN/ISBN: 3630876463

  • Danke, Wally.


    Es irritiert mich dennoch regelmäßig, weil ich es auch in solchen Formulierungen als Pronomen lese und verstehe, und mir ein ausgelassenes Substantiv denke (Menschen, Landsleute, Leute). Aber es ist ein Substantiv gemeint: Diejenigen, die nicht ich sind.