William Boyd: Die Fotografin

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    Amory Clay wächst als Tochter eines mäßig erfolgreichen englischen Schriftstellers mit zwei Geschwistern auf. Sie ist die älteste und der Liebling ihres Vaters. Auf dem Internat gilt sie als begabt und man stellt ihr ein Oxford-Stipendium in Aussicht, das sie allerdings ausschlägt, weil sie Fotografin werden möchte - wie ihr Onkel. Bei diesem geht sie in die Lehre, dieser Teil ihres Plans gelingt also. Der zweite, ihn zu verführen, jedoch nicht, weil der Onkel nicht auf Frauen steht. Dafür schafft sie es beim Assistenten des Onkels. Um selbst als Fotografin einen erfolgreichen Einstieg zu schaffen, schlägt der Onkel vor, dass sie einen Skandal produziert. Sie fährt nach Berlin, macht Fotos von der ausschweifenden Seite der deutschen Hauptstadt, insbesondere von Prostituierten - heimlich und offiziell - und zurück in London mit diesen Bildern eine Ausstellung, die auch tatsächlich nach einem zunächst unbemerkten Start zum Skandal wird, allerdings mit anderem Ausgang, als erhofft. Die Ausstellung wird beschlagnahmt, die Negative konfisziert und vernichtet und sie selbst vor Gericht gestellt und wegen Obszönität verurteilt. Immerhin macht sie die Bekanntschaft mit einem Amerikaner, der ihr die Anstellung als Fotografin einer amerikanischen Zeitschrift verschafft. Das sie die Geliebte dieses Mannes wird, ist fast schon zwangsläufig. Erfolg als Fotografin kann sie nicht wirklich vorweisen, weil sie vorwiegend zweitklassige Modefotos macht. Während des zweiten Weltkriegs geht sie an die Front und lernt dort unter merkwürdig gefährlichen Bedingungen (bei der Schlacht umi Wesel) ihren späteren Mann kennen, einen schottischen Adligen. Sie heiratet ihn erst, als sie ihn in Paris wieder trifft. Zwischendrin hatte sie eine Affäre mit einem Französischen Schriftsteller, der sie just in dem Moment verlässt, um eine andere Frau zu heiratet, als sie ihrer schottische Frontbekanntschaft erneut begegnet. Als »Lady Farr« gibt sie das Fotografieren auf bis zum Tode ihres Mannes. Dann nimmt sie es wieder auf und geht nach Vietnam. Aus ihren Fotos dort - weniger von der Front, als vom Soldatenleben im Alltag und der vietnamesischen Bevölkerung - macht sie ein Buch: »Vietnam, mon amour«. Ihre Rückkehr geschieht abrupt, weil sie etwas sieht, was niemand sehen soll. Ihr Lebensende verbringt sie auf einer schottischen Insel. Das Tagebuch dieser Zeit - Barrandale-Journal 1977 genannt - bildet sozusagen den Rahmen für diese Erinnerungen.


    In dieser kurzen Zusammenfassung der Handlung ist manches ausgespart. Eine Rezension soll ja nicht das Leseerlebnis vorwegnehmen. Aber nicht nur deshalb habe ich mich zu einer kurzen Zusammenfassung entschieden, sondern weil sich mir der Eindruck aufdrängt, dass dies als Gegenbild zu diesem Roman von mehr als 500 Seiten angemessen ist. Mein Eindruck ist, dass der Roman gewonnen hätte, wäre einiges zusammengestrichen worden. Sicher ist es ein Merkmal von Romanen, dass alles auserzählt werden kann, doch gilt ja auch, das nicht alles auserzählt werden muss. Richtige Spannungshöhepunkte gibt es in diesem Roman nicht, kaum in den Kapiteln zum zweiten Weltkrieg und nur wenige Seiten in den Kapiteln zu Vietnam. Szenen die spannend hätten werden können - etwa das Erlebnis, das sie auf Distanz zu ihrem Vater gehen lässt oder das, bei dem sie in London von Faschisten zusammengeschlagen wird - erzählt der Autor auf lakonische Art und Weise, die die Spannung auf ein geringes Maß herunterdrosselt.


    Die Lektüre war jedoch keineswegs langweilig, was mich im Nachhinein noch überrascht. Das Fehlen dieser Spannungsspitzen hat mich zu keinem Zeitpunkt an den Punkt gebracht, nicht mehr weiter lesen zu wollen. Der Fortgang der Entwicklung allein hat das Leseinteresse wachgehalten. Immerhin wird das Leben einer Frau von 1908 bis gegen Ende der 1970er Jahre geschildert, eingebettet in die Weltgeschichte die mit speziellen Ereignissen immer wieder für einen farbigen Hintergrund sorgt. Die erzählerischen Fähigkeiten des Autors halten sich aber in einem engen Rahmen. Es ist über das ganze Buch hinweg immer der gleiche Duktus, selbst dort, wo angeblich ein Tagebuch geführt wurde. Das einzige jedoch, was an ein Tagebuch erinnern könnte, sind Anmerkungen wie »…vor zwei Tagen …« oder »seit einigen Tagen sind wir …«, die aber selten genug vorkommen.


    Der Originaltitel lautet »Sweet Caress«. Wer in Deutschland auf die Idee gekommen ist, »Die Fotografin« zu wählen, muss sicher nicht lange überlegt werden. Die Marketingabteilung wird da ein gewichtiges Wort gesprochen haben, denn Titel wie »Die Kanzlerin« oder »Die Nähnadelschmiedin« oder so ähnlich sind ja populär und gelten als verkaufsträchtig. Es ist immerhin richtig, dass die Protagonistin Fotografin ist und dies auch immer wieder eine Rolle spielt. Sie hätte aber auch Journalistin sein können, oder Künstlerin, oder einfach nur Weltreisende oder was auch immer jemanden vom heimischen Herd wegtreiben kann. Ihre Familie, ihre Männer, ihre Freundinnen und Geschäftspartner, insbesondere ihre Schicksalsschläge haben eine viel größere Bedeutung in dieser Geschichte, als die Fotografie. In dieser Sache hat der Autor auch schlecht recherchiert. Er bringt zwar immer wieder Markennamen ins Gespräch (übrigens nicht nur bei Fotografie, auch bei den frühen Flugzeugen und bei Waffen müssen es immer genaue Bezeichnungen sein, angeblich, weil die Protagonistin immer alles genau wissen will), aber, so scheint es, ohne recht zu wissen, was sich dahinter verbirgt. Immerhin liegt er zeitlich nicht ganz daneben, ich habe nachgeschlagen, weil ich anfangs etwas irritiert war, aber die Rolleiflex, die sie plötzlich hatte, gab es dann doch schon seit einem Jahr. Alles andere zur Fotografie ist dann teilweise schon kurios. So lässt er sie mit Plattenkameras Aufnahmen machen, in der Dunkelkammer aber Filmstreifen aufhängen. Oder er lässt sie eine Braun Paxette in die Handtasche stecken mit Loch in der Tasche um in einem Bordell heimlich Fotos zu machen. Im Jahr 1929. Das konnte damals nicht funktionieren. Die Filme hatten noch keine ausreichende Empfindlichkeit, um bei schummrigen Licht ohne Blitz brauchbare Fotos zu bekommen, von der Scharfstellung einmal abgesehen, die auf diese Weise auch nicht möglich war. In Vietnam lässt er sie mit sechs Rollen Kodak Ektachrome in den Hubschrauber steigen und nach der Rückkehr im Hotel entwickeln. Improvisierte Dunkelkammer im Hotelzimmer ist durchaus denkbar (und war damals auch üblich), aber lediglich für Schwarzweißentwicklung und nicht für Farbdiaentwicklung. Ektachrome ist nämlich ein Umkehrfilm. So eine Entwicklung macht(e) man nicht eben mal im Hotelbadezimmer. Die Braun Paxette, die sie noch in Vietnam benutzt, wird als Kleinstbildkamera bezeichnet, was nicht korrekt ist. Die Paxette, eine beliebte Kamera der 1950er und 1960er Jahre - auch Volksschullehrer-Leica genannt - war eine Kamera für den normalen Kleinbildfilm 135. Kleinstbildkameras waren andere, zum Beispiel die berühmte Minox seit 1936. Das alles ist vielleicht gar nicht so dramatisch - die meisten Leser werden das ohnehin nicht verifizieren können und über diese Fehler hinweglesen - aber wenn ein Roman den Titel »Die Fotografin« verpasst bekommt, dann erwartet man in dieser Hinsicht doch etwas mehr. Ein bisschen mehr bekommt man allerdings. Über den ganzen Roman hinweg sind Fotos verstreut, die der Autor gesammelt hat und um die herum er die Geschichte geschrieben hat (oder die er in die Geschichte eingepasst hat - das weiß ich nicht so genau).


    Würde ich Sterne vergeben, was ich in der Regel nicht mache, dann bekäme dieser Roman drei von fünf Sternen von mir. Man kann ihn lesen, er ist nicht uninteressant, aber weit entfernt von dem, was auf dem Buchcover steht. Es führt nicht »tief in die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts« und ist auch keine »kühne Reise durch eine lang vergangene Zeit«. Und auch die geschilderte Protagonistin bleibt eher blass und schablonenhaft - bis fast zum Schluss. Dort bekommt sie dann ein wenig Farbe.

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    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Dennoch macht deine Schilderung neugierig. Am Ende deiner Ausführungen kommt eben fett die Marketingabteilung daher und hat in der Klappe erstmal Dinge angerissen, die nach deinem Leseerlebnis so nicht nicht. Gut, wie tief soll ein Roman wie dieser in das vergangene Jahrhundert eintauchen? Oder sollte sich solch eine Geschichte eher an bestimmten Momenten festhalten, sollten sie soweit es geht, auserzählt und die anderen Ereignisse gestreift werden?


    In deiner Rezension kommt das fotografische Element schon häufig vor. Allerdings ist es dann ärgerlich, wenn Kamera, Filme, Entwicklung schlichtweg falsch gewählt sind.