The Survivor - Keith Richards von den Rolling Stones wird am 18. Dezember 70

  • Die 1975er USA-Tournee der Rolling Stones steht von Anfang an unter keinem guten Stern. Zuerst sollten die Mitglieder der Band auf Nixons persönliche Veranlassung keine Visa erhalten, da sie sich drei Jahre zuvor aufgeführt hatten wie die Schweine, dann haben die Stones ihre eigne Pressekonferenz zum Tournee-Beginn nicht besucht, und jetzt das: Die Band ist mit zwei Autos von Memphis, Tennessee nach Dallas in Texas unterwegs, wo sie ihr nächstes Konzert spielen soll. Sie fahren durch den tiefen Süden der USA, weil ihnen jemand erzählt hat, daß dort die Landschaft wunderschön wäre. Als ob die Stones und Keith Richards sich für schöne Landschaften interessierten. Das einzige, was die Stones – so zumindest steht es in Richards‘ Autobiographie – auf den Landstraßen des US- Bundesstaates Arkansas wirklich interessiert, sind Drogen. Und zwar kiloweise. Damit sie die auch in aller Ruhe nach einem Kaffee mit zwei Spiegeleiern einschmeißen können, biegt Keith Richards gelber Chevrolet Impala jetzt in den Parkplatz einer Fernfahrerkneipe, die man hier „Roadhouse“ nennt.


    Nach dem Kaffee verziehen Keith Richards und Ronnie Wood, der neue zweite Gitarrist, sich auf die Toilette, wo sie fast eine Stunde brauchen, bis sie sich alles reingezogen haben, um einigermaßen zu funktionieren. Nun ist es aber so: In Arkansas geht niemand in einer Fernfahrerraststätte eine Stunde lang aufs Klo, schon gar nicht zu zweit und überhaupt schon gar nicht mit Taschen voller Haschisch und Kokain. Das ist eine Gegend, wo man von Drogen und Leuten, die am Sonntag nicht in die Kirche gehen, zwar gehört, sie aber noch nie gesehen hat. Kein Wunder also, daß der Typ am Burgergrill die Polizei ruft, die zwei Minuten später mit drei Streifenwagen zur Stelle ist.


    Keith Richards hat kleine Kokain-Briefchen über den ganzen Körper verteilt, sogar in seiner Jeans-Kappe stecken welche, weshalb er ordentlich ins Schwitzen gerät, als ihm die Polizisten ein Schrotgewehr vor die Nase halten und seinen randvollen Chevrolet durchsuchen. Inzwischen hat sich herumgesprochen, wer da festgenommen wurde: Sogar in Arkansas hat man von den Stones gehört. Binnen kurzem haben sich Schaulustige aus drei Bundesstaaten auf dem Parkplatz versammelt. Volksfeststimmung kommt auf, es ist noch keine zwanzig Jahre her, daß man die letzten Schwarzen an Bäumen aufgehängt hat, und das hier sind immerhin Engländer. Gerade noch rechtzeitig taucht Bill Carter auf, der Anwalt der Stones, der jeden Richter und jeden Staatsanwalt im Umkreis von 200 Meilen kennt und seine Klienten raushaut.


    Diese Geschichte, mit der Keith Richards seine Autobiographie Life beginnt, ist typisch für ihn: Alles ist noch einmal gut gegangen. Und genau das müßte auch als Motto über seinem ganzen Leben stehen, denn Keith Richards könnte seit Jahrzehnten tot sein, zugekokst in einen Swimmingpool gefallen wie Brian Jones, der die Stones einst gegründet hatte, am goldenen Schuß verstorben wie Janis Joplin oder Jimmie Hendrix. Nick Kent, der 1972 mit den Stones auf Tour geht, schreibt: „Keith nahm Drogen wie andere Leute atmen. Nacht für Nacht sah ich ihm zu, wie er auf der Bühne stand, im Leerlauf, nur halb dabei. Der Stoff machte ihn langsam und schwerfällig. An einem guten Abend konnte er immer noch absolut fantastisch sein, schließlich war er der Motor der Gruppe, aber harte Drogen und insbesondere in den Mengen, wie Keith sie damals einwarf, zerstören die Kreativität und rauben einem die Energie, und genau das ist Richards damals schon passiert.“


    Begonnen hat dieses wilde, wirre, aber auch sehr erfolgreiche Leben im Dezember 1943 im englischen Dartford, 40 Autominuten von London. Seine Eltern waren „Lower Middleclass“, sein Vater ein distanzierter, schweigsamer Arbeiter, der froh war, einen Job zu haben; seine Mutter Doris eine Frau mit Aspirationen zu Höherem, die Richards‘ erste Gitarre kauft und sie in Monatsraten abstottert. England in den 1950ern, das ist ein graues, dunkles Land, das dem verlorenen Empire hinterhertrauert und in seinen offiziellen Sitten und im Denken die Victorianische Glanzzeit noch lange nicht hinter sich gelassen hat, während in den Schulen, den Musikclubs und auf den Straßen eine radikal andere Generation heranwächst, die die Welt der Eltern mit Gitarren und Schreibmaschinen zerschlagen will. Richards wird bei diesem Aufstand ganz vorne mit dabei sein.


    Aber zuerst einmal ist er bei den Pfadfindern und singt mit seinem schönen Knabensopran in der Kirche. Mit sechzehn jedoch fliegt er von der Schule. Dank einer Riesenportion Glück kommt er auf eine kleine Kunstakademie, wo er wenig malt, dafür aber viel Gitarre spielt. In seiner Freizeit treibt er sich in den kleinen Schallplattenläden rum und hört Blues und Rock’n Roll: Muddy Waters, Chuck Berry, den zeitgleich auch die Beatles bewundern, Jerry Lee Lewis und immer wieder Elvis Presley, dessen Heartbreak Hotel ihn, so steht es in seinen Erinnerungen, für immer verändert.


    Und jetzt geht es Schlag auf Schlag: Im Juli 1960 trifft er Mick Jagger wieder, der in Dartford schon einmal sein Nachbar gewesen ist, an der vornehmen London School of Economics studiert und nebenbei in einmer Bluesband singt. 1962 hat Richards von der Kunstakademie genug, zieht in Jaggers Wohnung nach London, wo sich auch Brian Jones eingemietet hat, und im Juli 1962 haben sie ihren ersten Auftritt im Londoner Marquee Club. Die Stones sind gegründet. Die nächsten zehn Jahre werden ihre goldene Zeit sein, bevor Kritiker sie in den 1970er Jahren als dekadente, alternde Millionäre mit stagnierender Kreativität brandmarken. Richards und Jagger sind die kreativen Köpfe der Band, das Pendant zu Lennon und McCartney von den Beatles. Beide schreiben fast alle der großen Stones-Hits zusammen, z.B. Satisfaction, das mit einem bluesigen Guitar-Riff beginnt, der Richards angeblich in einer schlaflosen Nacht eingefallen ist.


    In den 1970er geht es mit Keith Richards abwärts. 1976 wird er in Toronto wegen Drogenbesitz verhaftet, er beginnt eine wilde Beziehung mit der italienischen Schauspielerin Anita Pallenberg, mit der er drei Kinder bekommt, bevor er schließlich 1984 Patty Hanson, ein Fotomodell, heiratet, mit der er nochmals zwei Kinder hat. Nach und nach bekommt er sich wieder in den Griff, schwört den Drogen ab, die Furchen durch sein Gesicht gezogen haben wie durch einen vom Wetter zerklüfteten Berg. Im April 2006 fällt Richards auf den Fidschi-Inseln von einem Baum herunter und landet mehr tot als lebendig auf einem Operationstisch im neuseeländischen Auckland, aber nach sechs Wochen steht er schon wieder auf der Bühne.


    Zwei Urteile zeigen, wie unterschiedliche Menschen den Mann, den einige den größten Rockgitarristen aller Zeiten nennen, einschätzen. Peter Hitchens, ein konservativer britischer Journalist und Autor schreibt: „Richards ist ein dummer Strich in der Landschaft, der aus lebenden Knorpeln besteht und den man im Museum zur Warnung ausstellen müßte, damit die Leute sehen, was Drogen aus einem machen, wenn er das Glück hatte, nicht an seiner eigenen Kotze zu ersticken.“ Andrew Law, der neuseeländische Gehirnchirurg, der Richards wieder ins Leben zurückholte, sagt: „Er hat einen sehr starken Willen, ist intelligent, cool, sehr clever und unerhört tapfer. Und er bringt einen zum Lachen.“


    Irgendwo dazwischen wird die Wahrheit liegen.


    [buch]0297854399[/buch]
    [buch]057123271X[/buch]

    Fare thee well! Thomas W. Jefferson
    I am mad, bad and dangerous.


  • Auf alle Fälle ist Richards der gesichtsälteste Keith aller Zeiten.


    Genau, denn "größter Rockgitarristen aller Zeiten" ist blanker Unsinn. Dazu, ansonsten lasse ich natürlich den Experten gerade hier Horst-Dieter, vor, nur soviel: Ich habe ihn einmal vor gut zwanzig Jahren live gehört wie er sich verspielt hat. Und zwar hat er nicht einmal daneben gelangt, sondern mehrmals gleich ganze Tonfolgen lang. Noch ein paar Jahre früher hat ein Radiosender ihm mal seine Verspieler vorgespielt, worauf er sinngemäß gesagt hat: Wir bei den Stones spielen alle falsch. Zusammengenommen passt es aber dann wieder.


    Er ist ein Unikat, ein Urviech, passt zu den Stones usf., aber nicht gerade der Supergitarrist.

  • Genau, denn "größter Rockgitarristen aller Zeiten" ist blanker Unsinn.


    Du hast bestimmt Recht! Ich bin auf dem Gebiet der Rockmusik nicht kompetent. Ich habe mich trotzdem ganz gerne mit Richards beschäftigt und seine Autobiographie mit Vergnügen gelesen.


    Viel, viel besser ist aber dieser Nick Kent, ein britischer Journalist, der wirklich ausgezeichnet über Rockmusik schreibt. The Dark Stuff ist ein ziemlich witziges, nebenbei aber auch ein sehr trauriges Buch.


    Ich hatte davor bewußt noch nie etwas von Sid Vicious und Nancy Spungen gehört, aber Kent erzählt deren Geschichte schaurig-schön und bis ins letzte schreckliche Detail.

    Fare thee well! Thomas W. Jefferson
    I am mad, bad and dangerous.

  • Das "Rolling Stone" Magazine (haha) listet Keith Richards auf Platz 4.


    Für meinen Geschmack gibt es einige, die spieltechnisch mehr bewegt haben: Joe Satriani oder Steve Vai etwa. Wenn es um Akustik-Gitarre geht, auch Tommy Emmanuel. Das sind aber so Sachen, die der gemeine Hörer weniger kennt.

    "Die Literatur hat ihren eigenen Wahrheitsgrund." Jan Drees

  • Michael
    Verspielen ist jetzt nicht so das Drama. Wenn man so vollgekokst ist wie Keith Richard muss man schon sagen, dass er sich erheblich wenig verspielt. Ich habe mal Chris Wood mit Traffic in den frühen 70ern in Münster erlebt. Da war der auch sehr zugedröhnt und obwohl er sonst ein richtig guter Musiker (Flöte, Saxophon) war, gab er da eine ziemlich traurige Vorstellung ab. Der hätte das dicke Fell von Keith Richard gut gebrauchen können, dann würde er jetzt noch leben und Musik machen.


    Supergitarrist ist tatsächlich überzogen aber man kann ihm zumindest nachsagen, dass er einer der besten Rhythmusgitarristen der Rockgeschichte des vergangenen Jahrhunderts ist. Und einige der Riffs, die er sich hat einfallen lassen, sind wirklich genial.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann



  • Du hast bestimmt Recht! Ich bin auf dem Gebiet der Rockmusik nicht kompetent. …


    Du solltest im Feuillton der SZ die Rockmusik übernehmen. Die Leute, die da schreiben, haben wirklich keine Ahnung. Da wäre es erfrischend, so etwas wie diesen Beitrag lesen zu können. Und wenn du mir die Artikel dann vorher zum Lesen schickst, dann streich ich dir auch solche Fehlinformationen wie den goldenen Schuss bei Jimi Hendrix raus (es waren Alkohol und Tabletten) ;)


    herzliche Grüße


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Ein Gitarrist, der für sein extrem mathematisch exaktes Spiel berühmt/ berüchtigt ist, ist Yngwie Malmsteen. Er wird eher belächelt.


    Ich kann ja mal meinen Vater fragen, wie oft im Jahr er sich auf der Bühne durchschnittlich verspielt ...

    "Die Literatur hat ihren eigenen Wahrheitsgrund." Jan Drees

  • Michael
    Verspielen ist jetzt nicht so das Drama. Wenn man so vollgekokst ist wie Keith Richard muss man schon sagen, dass er sich erheblich wenig verspielt. Ich habe mal Chris Wood mit Traffic in den frühen 70ern in Münster erlebt. Da war der auch sehr zugedröhnt und obwohl er sonst ein richtig guter Musiker (Flöte, Saxophon) war, gab er da eine ziemlich traurige Vorstellung ab.


    Leistungsförderliches Koksen (wenn es nur diese Substanz ist) sollte eigentlich die Fehlerquote reduzieren, oder?


    Ich habe Richards ihn im Olympiastadion gehört, da hat er vielleicht weniger Drogen eingeworfen als in den 60ern/70ern in Klubs.


  • Leistungsförderliches Koksen (wenn es nur diese Substanz ist) sollte eigentlich die Fehlerquote reduzieren, oder?


    Sagt man. Glaubichabernicht. Und dann darfst du nicht vergessen, dass Richards nach eigenen Aussagen so ziemlich alles an Drogen konsumiert hat, was es gibt.


    Zitat


    Ich habe Richards ihn im Olympiastadion gehört, da hat er vielleicht weniger Drogen eingeworfen als in den 60ern/70ern in Klubs.


    Ich habe mir das in diesem Leben bisher erspart mit den Stones und fange jetzt nicht plötzlich damit an :) Wenn mir danach ist, das eine oder andere lieb gewordene Liedchen aus den 60ern zu hören, gibt es dafür die Konserve.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Und wenn du mir die Artikel dann vorher zum Lesen schickst, dann streich ich dir auch solche Fehlinformationen wie den goldenen Schuss bei Jimi Hendrix raus (es waren Alkohol und Tabletten) ;)


    Danke für dieses freundliche Angebot! Vielleicht werde ich tatsächlich einmal darauf zurückgreifen, aber so oft werde ich nicht mehr über Rockmusiker schreiben, ich bleibe lieber bei meinem alten Leisten. Ich wußte tatsächlich nicht genau, wie Jimi Hendrix gestorben ist. Darum tue ich mich dann auch immer so schwer mit dem Schreiben und brauche so lange dafür.


    Wenn ich über den Tod von Schubert was schreiben müßte, dann bräuchte ich nicht einmal nachzuschauen, da weiß ich einfach so, woran der gestorben ist: Bauchtyphus in Verbindung mit Syphilis

  • Tatsächlich ist Hendrix an einer Üeberdosis Barbitursaeure plus Alkohol gestorben, quasi an seinem eigenen Erbrochenen erstickt. Ein Junkie war er trotzdem. ;)


    Netten Gruss , aus dem wunderschönen Städtchen Ghent,
    Manuela :)

  • Heute stehen mal ein paar Sätze (über Rockmusik) in der SZ (Nr. 292, 18.12.2013, S.13) die ich unterschreiben kann:

    Zitat

    Solo-angeber und Zwangs-Gniedler hat die Rockgeschichte ja vergleichsweise viele hervorgebracht. Aber ein Riff-Genie wie Keith Richards eigentlich nur ein einziges Mal: eben the man himself. Niemand sonst beherrschte in der Rockmusik je so vollendet die große Kunst, ganz kleine, sparsame, fast minimalistische, trotzdem unverwechselbare Tonfolgen einfach so aus dem Handgelenk tropfen zu lassen.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Tatsächlich ist Hendrix an einer Üeberdosis Barbitursaeure plus Alkohol gestorben, quasi an seinem eigenen Erbrochenen erstickt.


    Das beruhigt mich jetzt. Ich hatte schon befürchtet, er wäre an Drogen-Abusus gestorben. Barbie-irgendwas-Säure (kommt die in die Puppen rein?) + Alkohol, das ist schon ein ganz anderer Tod, fast schon anständig und normal.

    Fare thee well! Thomas W. Jefferson
    I am mad, bad and dangerous.


  • Das beruhigt mich jetzt. Ich hatte schon befürchtet, er wäre an Drogen-Abusus gestorben. Barbie-irgendwas-Säure (kommt die in die Puppen rein?) + Alkohol, das ist schon ein ganz anderer Tod, fast schon anständig und normal.


    Es war sogar Rotwein.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann