Hallo Leute,
In Berlin können Nachwuchsautoren bis 35, die noch nichts veröffentlicht haben, vor Publikum aus ihren unsterblichen Werken lesen. Natürlich kann das nicht jeder, sondern nur, wer vorher durch eine handverlesene Schar hochwertiger Lektoren und Literaturspezialisten auf Herz und Nieren geprüft wurde - sonst könnte ja wirklich jeder Depp kommen.
Insofern ist also die Bezeichnung Open Mike nicht ganz richtig, es müßte statt dessen heißen: Closed Mike, at least partially. But don’t even think you’ll be the lucky dude here.. Oder so ähnlich.
Im Feuilleton der ZEIT gab es nun einen recht witzigen Beitrag dazu, den sich hier keiner entgehen lassen sollte. Da wird doch glatt bemängelt, daß selbst die vorher extra geprüften Texte über keine Handlung verfügen und sogar realitätsfern sind, auch das noch! (Ich dachte immer: keine Handlung haben und nichts von der Wirklichkeit verstehen wäre geradezu die Definition der modernen deutschen Literatur.) Die ZEIT schreibt:
ZitatEndgültig zur Farce geriet das herbei zitierte Elend in den Texten von Christian Preußer – postpubertäre Jungs stochern sich im Urlaub gegenseitig in den Unterhosen herum – und Stefan Hornbach: In Violently happy erstellt ein Hipster mit Krebs während der Chemotherapie eine Playlist mit dem Titel summer of love and poison und tanzt im Anschluß energetisch um fünf Uhr früh durch den Regen. Karl Wolfgang Flender porträtiert in Greenwash inc. einen Werber im Dienste eines Genmais-Riesen. Ein oberflächlicher, an Christian Kracht angelehnter Text ohne Nuancen zwischen Gut und Böse mit einem Protagonisten, der nichts über sich weiß – abgesehen vielleicht davon, daß er blonde Häschen und cremefarbene Ledersitzbänke mag.
Das ist schon eine ganz schöne Sauerei, was die Jungautoren hier abliefern, aber was kannst du machen …? Was merken wir uns? Das da: Handlung ist gut, Realität ebenfalls, open ist nicht immer gleich offen und Lebenserfahrung kann nicht schaden:
ZitatWir glauben, daß die Lebenserfahrung dieses Autoren ihn befähigt, Problem und Realitäten ohne Sentimentalität und aufgesetztes Mitleid in eine Narration zu übersetzen, die in klassischer Manier welthaltig ist.
Im letzten Satz, den einer der Juroren gesagt hat, ist ein Grammatikfehler drin, aber wen kümmert das eigentlich? Wär ja noch schöner, wenn jeder, der über Literatur redet, nun auch noch richtig reden müßte.