Zeitenfrage

  • Zitat

    Wie eine Kobra, die aus dem Korb des Schlangenbeschwörers steigt, tanzte der Stecker vor Walters Gesicht.


    Liege ich mit dem Präsens im Nebensatz richtig? Ein Freund hat mich eben etwas verunsichert. Mein Bauchgefühl (ja, ich weiß, das hat in der Grammatik eigentlich nichts zu suchen) sagt mir, dass der Vergleich allgemeingültig ist, weil keine spezielle Schlange vorhanden ist. Mein Testleser hält dagegen, dass es ein konkreter Vergleich ist, der entsprechend in die Vergangenheitsform gehört. :achsel


    Vielleicht ist jemand von Euch so nett, Klarheit in die Zeiten zu bringen. :anbet


    Gruß
    Sabine

  • Hi Sabine!


    Intuitiv hätte ich geschrieben:


    "Der Stecker tanzte vor Walters Gesicht wie eine Kobra, die aus dem Korb eines Schlangenbeschwörers steigt."


    Anmerkungen:
    1. Die "Zeiten" sind m.E. okay..
    2. Den Satzbau würde ich wie genannt umdrehen
    3. Das Verb "steigen" finde ich noch nicht optimal, allerdings fällt mir was Besseres (gerade) nicht ein


    Herzliche Grüße
    Jochen.

  • Du kannst m.E. dem Bauchgefühl nachgeben. Der Vergleich ist zeitlos, weil die Schlange tatsächlich nicht konkret ist, davon abgesehen liest es sich schöner und flüssiger, wenn der Nebensatz im Präsens ist. Ich mache das auch immer so, und es ist noch nie von einem Lektor/Redakteur geändert worden.

  • Prima, danke Euch! Wenn nicht noch jemand widerspricht, vertraue ich meinem Bauchgefühl wieder. :)


    Mit der Satzstellung, das lass ich mir durch den Kopf gehen, auch mit einem eventuellen Ersatzverb, danke!


    Gruß
    Sabine

  • Hallo Sabine K


    Behalte deine Satzbauweise. Wenn du seine Elemente verschiebst, wirkt der Relativsatz „angehängt“. Mit deiner Bauweise bereitest du den Steckervergleich aufmerksamer vor - man ist gespannt, was wie eine Kobra fungiert; und langweilt sich nicht, weil man doch schon weiß, dass der Stecker tanzt. Das ist zumindest mein Eindruck.


    Ich glaube, dass die Schlange steigt, ist auch gar nicht so falsch. Eine Möglichkeit wäre noch: „Wie eine Kobra, die sich aus dem Korb des Schlangenbeschwörers hebt, tanzte der Stecker vor Walters Gesicht.“ oder „Wie eine Kobra, die sich aus dem Korb des Beschwörers schlängelt, tanzte der Stecker vor Walters Gesicht.“


    Aber ob man diesen Satz unbedingt mit einem anderen Verb schmücken, oder überhaupt modifizieren muss/sollte, ist wohl eher eine pedantische Geschmacksangelegenheit. Mir gefällt er, wie er ist.

  • Zitat

    Original von Andreas Dietz
    Behalte deine Satzbauweise. Wenn du seine Elemente verschiebst, wirkt der Relativsatz „angehängt“. Mit deiner Bauweise bereitest du den Steckervergleich aufmerksamer vor - man ist gespannt, was wie eine Kobra fungiert; und langweilt sich nicht, weil man doch schon weiß, dass der Stecker tanzt. Das ist zumindest mein Eindruck.


    Würde ich nach genauerem Nachdenken darüber unterschreiben 8-)

  • Guten Morgen :)


    dank Euch noch mal! Wenn der Satz bleibt, behält er seine jetzige Form. Im Textzusammenhang würde die Alternative nicht funktionieren.


    Gruß
    Sabine

  • Zitat

    Behalte deine Satzbauweise. Wenn du seine Elemente verschiebst, wirkt der Relativsatz „angehängt“


    Und, wäre das so schlimm? Ich denk, der Fokus sollte auf die Figur liegen und nicht am bildlichen Vergleich hängen bleiben.


    Wenn ich die Szene eines Weges beschreibe, fange ich doch auch nicht von hinten sondern von vorne an. Die Szene von hinten zu beschreiben ist keine alltägliches Bild und erzeugt bei häufigen Gebrauch Minuspunkte.



    Warum führt das Nomen nicht das Verb aus? Das kann gegebenenfalls stärker wirken.


    Vor Walters Gesicht tanzte der Stecker wie eine Kobra, die aus dem Korb eines Schlangenbeschwörers steigt.



    LG



    mario

  • Eigentlich ist es bemerkenswert und schön, dass man sich in der deutschen Sprache so viele Freiheiten nehmen kann: Subjekt, Prädikat, Objekt und das ganze andere Gedöns nach Lust und Laune anordnen kann wie beim Legospielen. Das macht den Reiz aus. In anderen Sprachen (wie z.B. dem Französischen) ist das in der Form gar nicht möglich. Ich überlege mir beim Schreiben (oder vielmehr Überarbeiten) auch ständig, wie diese Minidramaturgie von Sätzen optimiert werden könnte. Da ich derzeit intensiv an einem Männerroman schreibe (und derzeit viele solcher Bücher lese) versuche ich relativ einfach auf den Punkt zu kommen, die Sprache an sich nicht "gewollt literarisch" zu gestalten, einfache Sätze zu formulieren, Rosamunde-Pilcher-Style für Junggebliebene, -- und war so in einem ersten Anlauf versucht, den Satz wie o.g. umzuformulieren. Da es immer schwer ist, einen Satz aus seinem Kontext heraus zu optimieren, kann dies natürlich auch in die Hose gehen. Wer von uns weiß schon, was davor, was danach kommt. Unabhängig davon hat Andreas es m.E. schön auf den Punkt gebracht: "Mit deiner Bauweise bereitest du den Steckervergleich aufmerksamer vor." Der Satz ist -- wenn man mal darüber geschlafen hat -- kaum zu optimieren. "Wie eine Kobra, die aus dem Korb des Schlangenbeschwörers steigt, tanzte der Stecker vor Walters Gesicht." Er hat eine eigene, in sich geschlossene und wunderschöne Dramaturgie. Wer "Wie eine Kobra..." liest will mehr wissen, will wissen, wie der Satz beendet, aufgelöst wird. Außerdem zählt imo nicht was korrekt oder machbar ist, sondern was aus Sicht des Autors die optimale Wirkung beim Leser erzielen kann. Und das ist eine (spannende) Gratwanderung.


    Herzliche Grüße
    Jochen.

  • Zitat

    "Wie eine Kobra, die aus dem Korb des Schlangenbeschwörers steigt, tanzte der Stecker vor Walters Gesicht."


    Wenn der Fokus auf die Dramaturgie liegen soll, hast du natürlich recht. Wir kennen den Vorbau nicht und das ist nun mal ein wichtiger Punkt.


    LG



    mario

  • Interessante Diskussion!
    Ich würde den Satz auch so lassen, wie er schon am Anfang war. Weniger wegen Dramaturgie oder Reihenfolge, mehr weil er einen guten Rhythmus hat. Der passt zu dem Bild vom Schlangentanz.


    Enno

  • Zitat

    Original von Enno
    Interessante Diskussion!
    Ich würde den Satz auch so lassen, wie er schon am Anfang war. Weniger wegen Dramaturgie oder Reihenfolge, mehr weil er einen guten Rhythmus hat. Der passt zu dem Bild vom Schlangentanz.
    Enno


    Hallo Sabine,


    wann können wir denn mal das "gesamte Drumherum" lesen? :)


    Ich finde die Diskussion auch äußerst interessant, und zwar aus dem einen Grund, dass ich während der täglichen Schreibarbeit auch immer wieder einzelne Sätze auseinandernehme, neu sortiere, zerpflücke, um sie dann mehr oder weniger wieder baugleich zusammenzusetzen -- oder eben auch nicht. Für mich ist dieser "Mikrokosmos der Literatur", also der eigentlich sprachliche, bisweilen interessanter als Spannungsbögen oder semantische Räume.


    Jochen.

  • Liebe Sabine,


    das mit dem Legokasten und dem deutschen Satzbau sehe ich genau so wie JochenAlexander. Die deutsche Syntax ist ja sehr flexibel. Ich bin grundsätzlich auch kein Fan davon, Relativsätze "einzuschieben". Das gilt bei mir allerdings nur, wenn dadurch der ganze Satz schwieriger zu verstehen ist. Und das ist bei deinem Beispielsatz nicht der Fall. Er ist kurz und knackig.


    Ob da eine andere Syntax ... dazu müsste man das Umfeld des Satzes kennen.


    Aber das war ja gar nicht deine Frage. Dir ging es um das Tempus. Und das ist korrekt (meine ich).


    Viel Spaß bei den anderen Sätzen und herzliche Grüße,


    Hugo

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Dank Euch für die Rückmeldungen. Der Satz wird schon rot ob seiner Berühmtheit. ;)


    Dramaturgisch wäre es nicht sinnvoll, den Stecker weiter vorne zu erwähnen, da er im vorhergehenden Absatz bereits erwähnt wird. Was den Rhythmus angeht, den hat der Satz, muss die Geschichte aber noch erwerben. Den Reiners habe ich erst angefangen zu lesen, immer mal ein Kapitel zwischendrin, ist sehr interessant.


    Was den gesamten Text angeht, ist er für einen BT zu kurz - drei Normseiten, das ist beim Zerreißen unbefriedigend, die Fitzel werden zu klein und bleiben zwischen den Zähnen hängen. :evil


    Gruß
    Sabine

  • Und dabei liegt doch eben in der Kürze der Reiz :)


    Ich lese gerade ein wenig Schopenhauer quer und fand folgenden Abschnitt, der mich irgendwie an den Beginn der Diskussion hier erinnterte:


    Zitat


    "Wer nachlässig schreibt, legt dadurch zunächst das Bekenntniß ab, daß er selbst seinen Gedanken keinen großen Wert beilegt. Denn nur aus der Überzeugung von der Wahrheit und Wichtigkeit unserer Gedanken entspringt die Begeisterung, welche erfordert ist, um mit unermüdlicher Ausdauer überall auf den deutlichsten, schönsten und kräftigsten Ausdruck bedacht zu seyn."


    (Parerga und Paralipomena)

  • Zitat

    Original von SabineK
    Feines Zitat, leih ich mir bei Gelegenheit mal aus. :)


    Letzten Samstag gab es in der SZ ein Interview mit Martin Suter, das sehr Zitatträchtig war:


    Süddeutsche Zeitung Nr. 281 - 4./5. Dezember 2010, S. 17


    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Hallo Horst-Dieter,


    da sind einige wichtige Wahrheiten drin. Wenn Suter etwas kann, dann Gefühle auslösen, da würde ich ihm beipflichten. Insbesondere die Frage "Was ist mein Stil?" kann ich gut nachvollziehen. Aber das würde dann auch schon wieder zu Schopenhauer und seiner Klarheitsthese passen.


    Da es nichts älteres als die Zeitung von gestern (doch: die vom letzten Samstag) gibt: Weißt Du, ob es das Interview online gibt?


    LG Jochen.

  • Zitat

    Original von JochenAlexander


    Da es nichts älteres als die Zeitung von gestern (doch: die vom letzten Samstag) gibt: Weißt Du, ob es das Interview online gibt?


    LG Jochen.


    Ich hab's zumindest nicht finden können, sonst hätte ich es hier verlinkt

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


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    Emanuel von Bodmann