TA 1: Arthur Schnitzler - Leutnant Gustl

  • Zitat

    Original von SabineK


    Hat das eigentlich jetzt jemand ausprobiert?


    *meld* siehe meinen bt 605 "Meine Freundin Norma Jeane". prolog nicht, aber ab kapitel 1 alles in ich/präsens :bitte;)

  • Zitat

    Original von SabineK
    Hat das eigentlich jetzt jemand ausprobiert?


    Ja, Sabine,


    ich habe schon vor (gefühlten) 100 Jahren, nach der Lektüre des "Leutnant Gustl" einen Versuch gestartet, der irgendwo als Typoskript in den Untiefen meines Arbeitszimmers schlummert.


    Die besondere Schwierigkeit dabei finde ich, zu schreiben wie man denkt, gleichzeitig aber ein psychologisches Profil als Folie dem Text zu unterlegen und dem Leser genug Informationen zu liefern, dass er weiß, was abläuft. Wir sind hier - beim inneren Monolog - weit entfernt von einem bloßen Ich-Erzähler.


    "Ich gehe die Straße entlang und schaue mir die Auslagen der Juweliere an." ist etwas anderes als:
    "Der Diamantring ist hübsch. Würde schön aussehen an Ritas Hand. ... Ob ich mich Sonntag wohl mit ihr treff? ... Naja, sie wird wohl keine Zeit haben. ... Schau an, da sieht man, wo das Geld steckt. ... Der Anzug war bestimmt nicht billig. ... Ja, natürlich, ein Benz. Den Juwelieren geht's halt gut. ... Kino findet Rita eher langweilig, da werde ich wohl nicht punkten können. Aber nur essen gehen finde ich zu öde."


    Wenn man die Technik des inneren Monologs konsequent anwendet, hat das unmittelbaren Einfluss auf Erzählzeit/erzählte Zeit, es verschiebt inhaltliche Gewichtungen. Als Autor muss ich mir vorher genau überlegen, welche Wirkung ich erzielen will. Wenn ich die Innenansicht eines Protagonisten darstellen will und ihn ohne Wertung dem Leser ausliefern möchte, dann kann ein innerer Monolog durchaus Sinn machen.


    Für längere Texte, Romane etwa, ist diese Technik weniger geeignet, weil es anstrengender zu lesen ist und über längere Zeit möglicherweise langweilt.


    Herzlichst


    Wolf P.

    "NOW is the happiest time of your life." Daevid Allen ( :gitarre )

  • Zitat

    Original von Wolf P


    Die besondere Schwierigkeit dabei finde ich, zu schreiben wie man denkt, gleichzeitig aber ein psychologisches Profil als Folie dem Text zu unterlegen und dem Leser genug Informationen zu liefern, dass er weiß, was abläuft. Wir sind hier - beim inneren Monolog - weit entfernt von einem bloßen Ich-Erzähler.


    ja, wolf, das ist auf den punkt gebracht, worum es (mir) dabei geht!


    der "bloße" ich-erzähler erzählt immer in der vergangenheit. er reflektiert das geschehene, hat zeitlich und wahrscheinlich auch emotionalen abstand dazu. der ich im präsens ist direkt im jetzt sozusagen. das ist eine ganz andere situation. schriftstellerisch stellt das höhere anforderungen an die technik. und - autorInnen müssen sich zu aller erst bewusst sein, was überhaupt sache ist.


    schnitzler macht das toll :strauss was mich aber freut, ich habs ohne seine hilfe erkannt *rotwerde* ;) worum es geht bei dieser verzwickten perspektiv-zeit-kiste. ob ichs auch umsetzen kann, mal sehen ... ich bin in die depression gefallen, als ichs nach 150 seiten erkannte - quatsch, so gehts nicht. hab mich neu positioniert und nach wegen gesucht, wie es geht und inzwischen bin ich absolut überzeugt, das pack ich jetzt und es macht mir spaß :)


    also - ich-perspektive/präsenes - ALERT! ;)


  • Für mich kann ich das nicht so scharf trennen. Im Präsens habe ich vorher schon Ich-Erzähler eingesetzt, zum Teil, aber nicht immer, auch versucht, den Gedankenfluss abzubilden, mit dem Unterschied, dass ich jetzt eher weiß, wie man das geschickt lösen kann, und was ich vorher falsch gemacht habe. Beim Schreiben finde ich es spannender, vielleicht habe ich ja eine vojeuristische Ader. ;) Einen längeren Text als eine Novelle in der Form kann ich mir nur schwer vorstellen. 150 Seiten? Als Leser hätte ich dann langsam Angst vor einer Persönlichkeitsspaltung, als Autor hätten wir keine Angst mehr ... Aber auf das Ergebnis bin ich gespannt. :D


    Gruß
    Sabine

  • @ Siempre

    Zitat

    der "bloße" ich-erzähler erzählt immer in der vergangenheit. er reflektiert das geschehene, hat zeitlich und wahrscheinlich auch emotionalen abstand dazu. der ich im präsens ist direkt im jetzt sozusagen. das ist eine ganz andere situation. schriftstellerisch stellt das höhere anforderungen an die technik. und - autorInnen müssen sich zu aller erst bewusst sein, was überhaupt sache ist.


    Ich sehe das nicht so. 8-)
    Es gibt jede Menge berühmte Romane, die in der 1.Person Präsens erzählt wurden, (z.Bsp. Papillon, Einer flog übers Kuckucksnest, Der Minusmann, etc. etc.) ohne ständig im Bewusstseinsstrom (innerer Monolog) zu verharren. Das wäre doch viel zu langweilig. ;)
    Gelungen finde ich es, wenn in solchen Geschichten in den Bewusstseinsstrom gewechselt wird und wieder zurück. Sogar der alte Karl May hat das (mWn nur einmal) gemacht. Ich glaube, in Old Surehand, als es galt, mit seinem Hatatitla einer brennenden Ölquelle zu entkommen.


    Manuela :)

    Einmal editiert, zuletzt von Manuela K. ()

  • mein ich trifft andere personen (mutter, vater, schwester, mitschülerInnen, etc.), sabine. es ist also nicht nur innerer monolog, sondern auch dialog/begegnung/aktion und reaktion, ,... die anderen personen eröffnen mir eine erweiterte möglichkeit, meine leserInnen zu unterhalten, informieren, seine gefühle zu spiegeln, etc. aber alles streng nur aus seiner perspektive.

  • Zitat

    Original von Manuela K.
    Gelungen finde ich es, wenn in solchen Geschichten in den Bewusstseinsstrom gewechselt wird und wieder zurück.


    ja! :)

  • textanlayse - spannungsbogen?


    einen klassischen spannungsbogen gibt es wohl eher nicht. gustls gedanken springen hin und her, es gibt immer wieder stellen, da frage ich mich: was meint er damit? ich bin neugierig die antwort zu erfahren. aus meiner sicht sind das kleine cliffhanger, die schnitzler geschickt einbaut, um genau das zu erreichen - neugier + weiter lesen müssen :)


    beispiele:


    übermorgen bin ich vielleicht schon eine tote leiche!
    ob ich nicht doch einmal ernstlich ans heiraten denken soll?
    um gottes willen, es hat's doch niemand gehört?



    dann die immer wieder kreisenden gedanken um seinen selbstmord -> wird er sich nun wirklich umbringen oder lässt er es bleiben? wie wird er aus dem dilemma herauskommen? wird er, wird er nicht?


    so benimm dich wenigstens anständig zu guter letzt, das verlang ich von dir!
    dass ichs um sieben tu ... von acht an ist noch immer zeit genug zum totsein ...


    und dann die überraschende wendung - der bäckermeister ist tot und gustl kann sein glück nicht fassen.
    an die möglichkeit habe ich keine sekunde gedacht, weil gustl das auch nicht in erwägung gezogen hat. = schnitzlers konzept hat bei mir funktioniert. mit abstand betrachtet sage ich jetzt - na, was für ein zufall. das ist konstruiert. ja, ist es, funktioniert trotzdem :strauss

    Einmal editiert, zuletzt von siempre ()

  • gustl - komplexer charakter oder eindimensional hohl?


    na ja, wäre er eindimensional, seine geschichte hätte kein schwein interessiert und schon gar nicht auf die barikaden gebracht ;)


    ich beschränke mich auf die guten seiten von gustl:


    meine arme cousin, ...
    um gottes willen, die mama!
    ein so seelengutes geschöpf (klara, gustls schwester)
    dass mich manchmal selber vor mir graust, ... (fähig zur selbstkritik)
    viel wert bist du ja nie gewesen ... (selbstkritik)
    die gehen schon ins geschäft ... die armen mädeln.
    wenn die steffi mir allein g'hören möcht, ich ließ sie modistin werden ...



    :)


    und zum schluss noch einer meiner lieblingssätze:


    ... man sollt' nie ohne revolver ausgehn ... :rofl

  • Zitat

    Original von siempre
    noch sachdienliche hinweise oder is alles analysiert? ;)


    Nö. Aber war schön.
    Ich hab den Leutnant Gustl verwurstet, als ich meinen Großvater aufgearbeitet habe. Das war auch so ein schneidiger Leutnant mit Ehrenhändeln, der dann von der Familie in die Kolonien geschickt wurde ... :(

  • pearl, der is gar nicht so schneidig, der gustl *find*
    dafür gibts im text viele hinweise, z. b. seine selbstkritik, s. o.

  • Liebe Listlinge,


    um den aktuellen TA nicht zu stören, an dieser Stelle ein großes Dankeschön an alle, die so ausdauernd, fachlich qualifizierte Beiträge zu den verschiedenen Texten leisten. Der "Gustl", über den so viel geschimpft wurde und den ich selbst auch sehr kritisch beäugt habe, sitzt nun mit seinem inneren Monolog fest verankert in meinem Hinterkopf, so dass ich seither ganz anders an den Szenen mit inneren Monologen in meinem eigenen Text arbeiten kann.
    Auch wenn ich nicht aktiv mitarbeite, das würde schlicht meinen zeitlichen Rahmen sprengen, bin ich doch begeistert von dem, was ihr da so produziert :strauss


    Herzliche Grüße,
    Cordula G.

    "Man muss immer noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können." Nietzsche