Intertextualität

  • In der Debatte um Helene Hegemann tauchte immer wieder der Begriff "Intertextualität" auf.


    Könnte mir jemand mit (relativ) einfachen Worten erklären, was das genau bedeutet?


    Einmal verstehe ich es so, dass es rein subjektive, also individuell vom Autor kreierte, Texte nicht gibt, da wir prinzipiell nur Zitate miteinander verweben. Andererseits bedeutet es (soweit ich es richtig verstehe) auch, dass der fertige Text eigentlich keinen Abschluss mehr findet, weil er Raum für unendliche Interpretationen gibt.


    Werden die beiden Aussagen letztlich miteinander verknüpft?


    Den Artikel bei Wiki konnte ich leider nicht verdauen ?(


    Herzlichen Gruß,
    Cordula G.

    "Man muss immer noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können." Nietzsche

    Einmal editiert, zuletzt von CordulaG ()

  • Hallo Cordula!


    Als Beispiel für Intertextualität hier ein Link zu Patrick Süßkinds "Das Parfum", wo anhand von konkreten Beispielen Paralellen zu anderen literarischen Werken aufgezeigt werden.
    Klick mich Bisschen runterscrollen, bis zu "Anspielungen."
    Blankes Abschreiben wie es stellenweise bei Hegemann geschah, kann natürlich nicht als solches interpretiert werden. ;)


    Lieben Gruß,
    Manuela :)

  • Die Intertextualität gibt es als fest definierten Begriff mit nur einer Bedeutung m.W. nicht. Es ist eine literaturtheoretische Debatte, die davon ausgeht, dass nichts wirklich neu geschrieben ist und jeder Text Bezüge zu bereits vorhandenen aufweist. Das spielt sich auf der Bedeutungsebene des Textes ab, aber auch auf der konkreten Textebene.


    Zu Unterscheiden ist dabei aber auf jeden Fall, WIE fremde Texte in den zu untersuchenden eingefügt werden. Zitate (mit der dazu nötigen Referenz) unterscheiden sich dabei deutlich von den Plagiaten (Übernahme fremder Texte ohne diese deutlich zu machen). Die Diskussion, die derzeit unter dem Stichwort Intertextualität angezettelt und geführt wird, dient m.E. einzig dazu, zu Vertuschen dass das Feulliton und die sogenannten Literatursachverständigen, die eine bestimmte Person großartig herausgestellt haben, sich geirrt hat. Das übersehen wurde, das bewusst und gezielt plagiert wurde.

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    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Hallo Cordula,



    wie alle wissenschaftlichen Begriffe, die aus ihrem Kontext in die allgemeine Diskussion gezogen werden, spiegelt auch der der Intertextualität mehrere Dinge, die Diskussion in der wissenschaftlichen Forschung und der lässt sich nicht in einem Wort, einem Artikel zusammefassen. Wenn dich das wirklich interessiert, dann kann man gut hier anfangen:


    http://de.wikipedia.org/wiki/Intertextualit%C3%A4t


    Wissenschaft beschreibt arbeitet dabei an den bestehenden Quellen und versucht deren Funktion und Wirkung zu untersuchen, nicht in erster Linie zu bewerten.


    Der Unterschied zwischen Kopie und künstlerischer Verwertung ist dabei nur ein Gegenstand der Forschung (und ein Unterschied, der schon Aristoteles umgetrieben hat, der in Texten keine Neuerfidungen sah, sondern "Imitation" des Vorangegenanen, allerdings in unterscheiden sich die Werke der einzelnen Künstler in Gegenstand, Stilmitteln und Umsetzung. (http://www.authorama.com/the-poetics-1.html ist zwar englisch legt aber Wert darauf, den Text der Poetica in ihren Kontext zu setzen).


    Das heißt, das Prinzip über das Alte mit neuen Mittel zu kommunizieren ist uralt. Und hier sind wir bei einem Teil des wissenschaftlichen Bereiches der Intertextualität, die Autoren und Leser betrifft. Da bedeutet sie, dass Autor und Leser über Zitate, Anlehnungen und Neubewertungen in Kommunikation treten über das was vorher war und das, was der Autor dann daraus macht. Wichtig ist die künstlerische Absicht dahinter, nicht unbedingt einen neuen, aber einen eigenen Blickwinkel zu schaffen.


    Die Fallstudien wie zu Patrick Süßkinds Parfüm sind Legion. Und natürlich schafft jeder von uns auch unbewusst Intertextualität, wenn Zitat aus literarischen (oder anderen Quellen) zu stehenden Redewendungen erstarren und das Wissen um Kontext und Quelle verloren gehen.


    Für Autoren aber ist es wichtig, dass nie der gut zu begründende Eindruck entstehen kann, es handele sich bei seinem Text eben nicht um ein neues Stückchen im Gewebe des Literarischen Kontextes, sondern nur um die Kopie eines anderen Teil. Die Grenzen sind schwebend, nur im Einzelfall zu beurteilen, na klar. Aber es gibt eine Menge Indizien für künstlerisch gestaltete Intertextualität, als die imitation, die in der Poeta untersucht wird.:


    - eine zitierte Stelle in einen anderen Kontext setzen
    - ein Zitat angeben
    - ein Zitat soweit verfremden, das es eine neue Bedeutung erhält
    - sich innerhalb der angestrebten Lesergruppe und deren Kenntnissen bewegen (wie sonst soll Kommunikation entstehen?)


    Und das ist der wesentliche Unterschied zur "Intertextualiät der Wissenschaftler", die nur longitudinale Blickwinkel am existierenden Material bietet und der querverlaufenden Intertextualität als Stilmittel, die zwischen Leser und Gegenwartsautoren wirkt, wie bei Süßkinds Parfüm, der davon ausgehen kann, dass die meisten Leser seines Romans aus dem gleichen literarischen Kontext schöpfen wie er selbst und deshalb auch die Zitate seiner Imitation erkennen können.


    Dem Artikel, den Manuela verlinkt hat, möchte ich in einer scheinbar unbedeutenden Kleinigkeit widersprechen, Intertextualität ist kein Phänomen des post-modernen Romans, sondern ein Konzept der porst-strukturalistischen.Textkritik. Im Roman, bei den Autoren, bei den Lesern ist Intertextualität eines der grundsätzlichen Stilmittel, das über - soweit ich das überblicken kann - alle Erzähltraditionen der Schriftkulturen hinweg schon immer eingesetzt wurde.


    Dass es immer mal wieder kompromitiert wird, liegt in der Natur der Sache (hihi, Jack London hatte immer Streit, weil er sich bei den gleichen Quellen bediente wie die anderen Abetnteuerromanschreiber seiner Zeit, was natürlich vor allem wirtschaftliche Gründe hatte, schließlich schnappen die Hunde nach dem gleichen Wild und Luthers "dem Volks aufs Maul schauen" war sogar der explizite Versuch, Intertextualität als Kommunikationsmittel in ein literarisches Feld einzuführen, wo es zuvor für das Zielpublikum keine gab, weil die literarische Quelle in einer unbekannten Sprache verfasst war.).


    Betrachtet man es nach Aristoteles, dann waren die Gegenstände gleich, aber Stilmittel und Umsetzung verschieden.


    Ich weiß, das ist weder eine kurze noch eine umfassende Antwort, aber es handelt sich auch um ein hochkomplexes Phänemen, das sich genau deshalb auch so schön für die Entschuldigung von Plagiaten (als Kopien, die als eigene Schöpfung ausgegeben werden) eignet, weil man sich darauf verlassen kann, dass die Leser spätestens bei der Wiki-Seite aufhören, sich mit dem Phänomen zu beschäftigen.




    Liebe Grüße
    Judith


    -

    Nay, thy lordship, me ain't no thief, not even a smart one - Piper Quickfingers



    Der Tokee in Die rote Kammer [buch]393991407X[/buch]

  • Hallo Manuela, hallo Horst-Dieter, hallo Judith.


    Herzlichen Dank für eure Antworten, die mich doch ein Stück sicherer gemacht haben, in dem Verstehen, worum es bei dieser Intertextualitätsdiskussion eigentlich geht.


    Wenn ich neben allen Informationen kurz Judith zitiere


    Zitat

    Original von Judith
    ..., wie bei Süßkinds Parfüm, der davon ausgehen kann, dass die meisten Leser seines Romans aus dem gleichen literarischen Kontext schöpfen wie er selbst und deshalb auch die Zitate seiner Imitation erkennen können.



    -


    stellt sich mir trotzdem noch eine Frage (auch wenn ich mich jetzt als einen der drei Leser outen muss, die Das Parfum nicht gelesen haben): Habe ich das richtig verstanden, dass Süßkind keine Quellenangaben machen musste, da er davon ausgehen konnte, dass seine Zielgruppe weiß, welche 'Vorbilder' er verarbeitete? Denn bis auf das Eichendorffgedicht, hat er ja alles zu etwas ganz Eigenem verarbeitet, also ganz anders als im Fall Hegemann/Lindner.


    Herzlichen Gruß,
    Cordula G.

    "Man muss immer noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können." Nietzsche

  • Hallo Cordula,


    ja, im Prinzip geht es genau darum. Das Parfüm steckt voller Anlehnungen, mehr, als da aufgeführt sind, und auch dichter an der Vorlage gearbeiteten, aber immer ist es Süßkinds eigene Schreibe, eigene Vorstellung, die die Objekte miteinander verwebt.


    Ob wirklich alle Parallelen gewollt sind, weiß ich nicht, manches ergibt sich einfach aus der historischen Situation wie die Parallelität bei der Präsentation im anatomischen Panoptikum, manche Vorlagen können durchaus viel älter sein, als auf den ersten Blick ersichtlich, so die Passagen in der Isolation, die mich immer auch stark an Gregorius auf dem Steine von Hartman von der Aue erinnert hat.


    Die Kunst besteht darin, im Leser ganz unterschiedliche Welten zu eröffnen, Geschichten zu erzählen können, ohne sie aufschreiben zu müssen. Und ja, das wesentliche Kriterien ist, aus den einzelnen Teilen etwas wirklich Eigenes zu schaffen.


    Liebe Grüße
    Judith

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  • Zitat

    Original von Judith
    Das Parfüm steckt voller Anlehnungen, mehr, als da aufgeführt sind, und auch dichter an der Vorlage gearbeiteten, aber immer ist es Süßkinds eigene Schreibe, eigene Vorstellung, die die Objekte miteinander verwebt.


    Die Hauptquelle für Süßkind war wohl der Courbin; das Buch kam einige Jahre vor dem Parfüm in deutscher Übersetzung heraus.

    ASIN/ISBN: 3803136180

    Ansonsten steckt was von den alten Teufelspaktgeschichten drin (hauptsächlich Faust I), vom Picaro natürlich; von den (historischen) Scharlatanen des 18. Jhdts. (Cagliostro, Graf Rumford, Casanova, sogar da Ponte).


    Aber die ganze großartige Geschichte selbst ist von Süßkind - und darauf kommt es an.

  • Jetzt weiß ich endlich, warum man die ollen Klassiker gelesen haben sollte :D


    Nein, im Ernst, aber natürlich ist es ein besonderer Genuss, bei einem Werk Parallelen zu erkennen und zu erlesen, wie der Autor sie nutzt. Wie er ihnen sozusagen neues Leben einhaucht. (Klingt vielleicht ein wenig pathetisch, passt aber.)


    Vielleicht werde ich mir also doch noch einmal einige Klassiker vornehmen, um die ich seit der Schulzeit/Studium einen weiten Bogen mache. Die Motivation wäre zumindest da und der Mensch wächst bekanntlich an seinen Aufgaben :brille


    Also, nochmals herzlichen Dank. So langsam lichtet sich das Dunkel in meinem Kopf.
    Cordula G..

    "Man muss immer noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können." Nietzsche

  • Hallo,


    langsam fange ich an, diese literaturtheoretischen Begriffe zu lieben =). Habe ja kürzlich selbst nach Diskusivität gefragt :affe.


    Intertextualität scheint mir hauptsächlich die wissenschaftliche Hülse des alten "es gibt nichts Neues unter der Sonne" zu sein, ist dann die Literaturwissenschaft in sich auch intertextuell =)?


    Ansonsten: Es mag ja sein, dass es eigentlich nichts Neues mehr gibt, aber ich weigere mich, ängstlich darauf zu starren und deswegen den Schreibstift aus der Hand zu legen (bzw. die Tastatur abzustöpseln). Entscheidend ist nach meiner Meinung: Wenn ich Plot, Personen, Themen, Bilder, Symbole, Formulierungen selbst mir kreativ erarbeite, dann habe ich überhaupt kein schlechtes Gewissen, dass das jemand anderes auch schon diese Elemente benutzt hat. Ich kann auch nicht ständig grübeln/selbstreflektieren, ob ich dies oder jenes womöglich schon mal gelesen und deswegen unbewusst verarbeitet habe. In der Hegemanndiskussion ist ja auch ausführlich darauf hingewiesen worden, dass dies zum Job dazugehört.
    Ich kann aber natürlich auch mit der Intertextualität spielen, wie es ja wohl Süßkind ausführlich getan hat. Unser TWJ tut's in seinen BT's auch (selbst wenn ich diese Anspielungen nicht gefunden habe, wir lesen wohl unterschiedliche Bücher =)). Auch ok.
    Nur Abschreiben geht nicht. Es sei denn, man ist der Liebling des Feuilletons.


    Liebe Grüße
    Achim