Andreas Eschbach: Ein König für Deutschland

  • ASIN/ISBN: 3785723741


    Bundestagswahl 2009 - zur allgemeinen Überraschung spielen die bisher bekannten Parteien kaum noch eine Rolle. Gewinner mit fast 70 % Stimmen ist die VWM, die Volksbewegung zur Wiedereinführung der Monarchie. Tatsächlich wird wenig später jemand im Aachener Dom gekrönt, der interessanterweise auch König heißt.


    Der Roman beginnt im Jahr 2000 und setzt vor dem Wahlkampf in den USA ein, bei dem George Bush als Sieger hervorging und Al Gore auf der Strecke blieb. Das Theater in Florida, was niemals richtig geklärt werden konnte, bildet sozusagen den ersten Höhepunkt des Romans. Vincent Wayne Merrit, ein Hacker im Alter von 21 Jahren, kommt für kurze Zeit hinter Gitter, weil er ein Programm geschrieben hat, mit dem andere Kreditkartenbetrug im großen Stil betrieben hatten. Um in Zukunft auf der sicheren Seite zu sein, wechselt er nach dem Gefängnisaufenthalt von Philadelphia nach Florida und arbeitet sich in einer kleinen Softwarefirma zum Projektleiter hoch. Doch dann bekommt er plötzlich den Auftrag, einen Wahlcomputer so zu programmieren, dass die damit erfassten Stimmen beliebig manipuliert werden können. Selbstverständlich nur, um zu demonstrieren, dass Wahlcomputer nicht fälschungssicher sind. Er hört nichts mehr davon, reimt sich aber den Ausgang der Wahl in Florida entsprechend zusammen. Damit ist die Sache aber für ihn nicht ausgestanden. Der Freund seiner Chefin, ein italienischer Zauberer mit Mafia-Verwandschaft, möchte das Geschäft mit Wahlergebnissen im großen Stil betreiben - und zwar in Deutschland. Vincent wird in seinem Haus festgesetzt und zur Programmierung gezwungen. Er stellt zwar das Programm fertig, schafft es aber dann doch zu fliehen.


    Der zweite Teil des Romans spielt in Deutschland und hat im Mittelpunkt jenen Simon König, der nicht nur Gymnasiallehrer für Geschichte und Politik ist sondern auch der Vater von Vincent. Ein Seitensprung während eines Aufenthalts in den USA führte zu dessen Existenz. Er findet die CD mit dem Programm in seiner Post, am Abend hat es der italienische Zauberer ihm aber bereits wieder entwendet. Über Vincents Kontakte findet er Zugang einer Gruppe von jugendlicher Nerds und Spielefans. Als Vincent ihnen mitteilt, dass in seinem Programm eine Falle ist, die bei Erkennen der Buchstabenkombination VWM (Vincents Initialen) dieser die Mehrzahl der Stimmen zuführt, gründen sie eine Partei um bei der Wahl auf diesen Schwindel aufmerksam zu machen. Allerdings bekommt die Sache dann schnell eine gewisse Eigendynamik.


    Der dritte Teil des Romans schildert dann die Wahl und die Zeit danach. (Es gibt noch einen eingeschobenen kurzen Teil zum Wahlablauf - aber den zähle ich nicht, da er nicht handlungstragend ist).


    In die Handlung des ersten Teils sind viel Informationen eingewoben, die der Realität entsprechen. Tatsächlich ist mir auch noch kein Roman begegnet, der derart viel Fußnoten mit konkreten Informationen enthält (also nicht simulierten, zur Romanhandlung gehörenden). Zahlreiche Links weisen auch auf die realen Hintergründe vieler geschilderten Sachverhalte hin. Das würde die Lektüre unglaublich bremsen, wenn Eschbach nicht inzwischen ein so versierter Erzähler wäre, dass man diese »abgesetzten« Informationen mitnimmt ohne sich davon in der Lektüre stören zu lassen. Das Anliegen des Autors ist deutlich (fast überdeutlich): vor der Gefahr der Manipulation von Wahlen durch Computer zu warnen. Das dies nicht zu einer ermüdenden Angelegenheit mit zu vielen erhobenen Zeigefingern führt, ist der Trick mit der Monarchie. Darin lebt sich Eschbachs Sinn für Humor aus, der in den vorangegangenen Büchern viel zu kurz gekommen ist. Das Buch endet fast zu realistisch und zu märchenhaft (also zu schön), als das man von einem richtig befriedigenden Plot sprechen könnte. Aber darauf kommt es diesmal wirklich nicht an, und das zeigt der Autor dann auch am Schluss, in dem er in einem Nachwort eindringlich darauf hinweist, dass ein Wahlcomputer niemals Grundlage einer fairen Wahl sein kann.


    Das Eschbach die Computerspieler entsprechend vorführt, dem »richtigen« Adel die Meinung sagt, Steuer- und Bildungspolitik kritisiert und mit überraschend einfachen Lösungsmöglichkeiten würzt (alles mit dem nötigen Humor), die Regenbogenpresse als nicht unwesentliche Königsmacher mit einbindet macht die Lektüre noch zusätzlich vergnüglich.


    Gestört hat mich eigentlich nur die Person »Sirona«. Sie gewinnt an keiner Stelle wirklich Profil, ist aber unverzichtbar, da sie ein wichtiges Bindeglied von Vincent zu Simon König darstellt. Am Ende verpufft sie wirkungslos. Der Versuch, ihr etwas mysteriöses anzuhängen, kommt nicht wirklich überzeugend herüber. Fast hatte ich das Gefühl, dass der Autor sie dafür bestraft, das er nicht auf sie verzichten konnte, sie mit sich aber auch nicht mehr anfangen lies.


    Ein gutes Buch und zeitgemäß über die Wahl in diesem Jahr (2009) hinaus, zumindest so lange, bis Wahlcomputer endgültig aus der Diskussion verbannt sind, am Besten durch einen neuen Absatz im Grundgesetz. Solange bleibt das Thema brisant und dieser Roman ebenfalls.

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    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Nachtrag: Bei Amazon schreibt ein Leser, dass es ihn stört, dass es in Eschbachs Buch um diese Wahlcomputer geht. Viel lieber hätte er es gehabt, dass Eschbach es breiter ausgestaltet hätte, wie Deutschland wieder einen König bekommt. Das, was für mich der satirische Teil des Buches ist, bekommt dadurch plötzlich einen »Bei-Geschmack« - Geschmäckle, wie man hier im Süden sagt … :wow

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  • Die jetzige Demokratie hierzulande ist sowieso eher eine Monarchie. Wenn ich mir so ansehe wie die einzelnen Königsreiche ( Bundesländer genannt) mit Hauen und Stechen verteidigt werden.
    Der Wahlcomputer, der so genial gefälscht wird in Eschbachs neuem Buch, ist genauso Realität.
    Die Fälschungsmechanismen sind genau wie im Buch nur nicht sichtbar.


    Manch einer denkt sich deshalb, ist doch egal was ich wähle, am Wahlabend haben eh immer alle gewonnen und so werden wir möglicherweise bald keinen Computer mehr brauchen, weil keiner mehr zur Wahl geht.


    Und wer wird dann König oder Königin.
    Als Märchenerzähler fällt mir da sicher etwas ein.

  • Zitat

    Original von Amos
    Die jetzige Demokratie hierzulande ist sowieso eher eine Monarchie.
    ...
    Die Fälschungsmechanismen sind genau wie im Buch nur nicht sichtbar.


    Nun, jeder darf seine Meinung haben. Deine halte ich in dieser Sache für ziemlich unsinnig, selbst für einen Märchenerzähler.


    Gruß,


    Bernd

    "Der erfolgreiche Abschluss infamer Aktionen steigert Ihren Bekanntheitsgrad, was für Ihren Feldzug zur absoluten Weltherrschaft unglaublich wichtig ist." (aus dem Benutzerhandbuch des PC-Spiels Evil Genius)

  • Hallo Horst,


    vielen Dank für den Buchtipp und die ausführliche Besprechung.
    Ich habe es mir für meine Verschenk-Lese-Liste vorgemerkt.
    (Meist lese ich die Bücher selbst bevor ich sie verschenke). :)


    Liebe Grüße
    Gerda

  • Computer ersparen dem Menschen viel unsinnige Arbeit. So könnte, was seit einigen Jahren in manchen Ländern bereits praktiziert wird, auch das manuelle Zählen von Wahlstimmen entfallen, würde man am Rechner abstimmen lassen. Doch Computer sind dafür gemacht, Daten zu manipulieren - sei es, um Wahlstimmen korrekt zu erfassen und zu zählen, oder um das Wahlergebnis zu fälschen. Das ist das Hauptargument in Andreas Eschbachs neuem Roman. Wie könnten die Folgen naiven Technikglaubens eine Gesellschaft aus den Angeln heben?


    Vincent ist ein junger Programmierer. Er erhält den Auftrag, ein Programm zu schreiben, das Wahlcomputer manipuliert. Was natürlich nur zu Testzwecken gedacht war, fällt merkwürdigerweise zeitlich zusammen mit den Unregelmäßigkeiten bei der US-Wahl 2000 im entscheidenden Staat Florida. Auch bei Bushs Wiederwahl vier Jahre später bleiben viele Fragen offen, was dessen hauchdünnen Vorsprung an vielen Orten betrifft.


    Ein kleverer Zauberer und Freund von Vincents Chefin will in Deutschland großen Reibach mit Wahlmanipulationen machen. Er hält Vincent fest, zwingt ihn, ein neues Programm zu schreiben. Auf der Flucht schickt er das fertige Ergebnis als CD an seinen Vater Simon König - Gymnasiallehrer für Sozialkunde und Geschichte in Deutschland. Diesem entreißt der Zauberer das Programm zwar schnell, doch Vincent hat eine kleine List reinprogrammiert, von der Simon über Vincents Freunde erfährt. Diese würde immer Vincent und eine noch zu gründende Partei für die Wiedereinführung der Monarchie an die Macht bringen. Dass dies gelingt, Simon "ein König für Deutschland" wird, dafür sorgt schließlich auch Simons Mutter, Chefin einiger Klatschzeitungen.


    Obwohl mitunter toll konstruiert, funktioniert die Geschichte an der entscheidenden Stelle nicht, egal ob - und ohne das zu verraten - die Wahl in Deutschland schlussendlich manipuliert wird oder nicht. Darüber ließe sich hinwegsehen, so konsequent bohrt Eschbach in einer weiteren Schwachstelle unserer Gesellschaft. Doch anders als die 750 Seiten von Eschbachs vorigem Roman "Ausgebrannt" sind diese knapp 500 Seiten recht langatmig geraten; da wird oft zu breit auserzählt, manche detailreiche Erklärung wiederholt sich (wobei ich es generell merkwürdig finde, wenn ein Personalerzähler auf einmal unmotiviert seitenlang zu erklären beginnt), und der Titel verhindert die große Spannung. Auch ist die Sprache bestenfalls funktional. Inhaltlich wäre weniger mehr gewesen.

  • Lieber Horst-Dieter,


    Zitat

    Das Anliegen des Autors ist deutlich (fast überdeutlich): vor der Gefahr der Manipulation von Wahlen durch Computer zu warnen.


    Computer sind keine Gefahr. Nur die Leute, die nicht mit ihnen richtig umgehen können, sind es.


    Es gibt leider viele, viele auf der Welt, die meinen diese Maschinen aufgedrückt bekommen von Schule, Beruf, der Gesellschaft. In Wirklichkeit aber missbrauchen sie diese Computer, weil ein PC etwas ist, dass sich wunderbar dazu eignet. Wer Befriedigung daraus zieht, Machtgefühle zu haben, nimmt sie sich über einen Computer.


    Ungefähr so: "Ist das nicht schön? Der meckert nicht, weigert sich nie und läuft auch nicht weg! Er ist immer für mich da. Er erledigt alles geduldig für mich, was ich ihm aufgebe."


    Menschen, denen der Alltag über den Kopf wächst. Rechnen zum Einkaufen sei öde, meinen sie. Fragen sie also den Computer: Der gehorsamste Sklave und Versorger für alle Stressgeplagte . ..


    Und: Ein PC lässt wunderbar alle Verantwortung, die man im Leben hat, auf sich abladen. Wenn mal was schief geht, kann man einfach dem Computer alle Schuld geben. Und schon ist man absolut frei. Gott, der beliebteste aller Schuldigen, ist dem Computer gewichen ...


    Aber ich gehöre nicht dazu. Ich bin Nerd durch und durch. Ich würde nie einem PC wehtun. Ich würde ihn weinen hören.


    Liebe Grüße,
    Sabrina Saskia