Können Computer denken? Was unterscheidet Computer von Menschen? Gibt es einen freien Willen und, wenn ja, wo lässt die Naturwissenschaft Raum für einen solchen?
Roger Penrose hat sich einiges vorgenommen in seinem Buch von 1989 "The emperors new mind", das in der deutschen Übersetzung unpassenderweise "Computerdenken" heißt; Penrose spricht heutigen Computern jede Fähigkeit zum denken ab. Sowohl als Mathematiker wie auch als theoretischer Physiker hat Penrose einen überragendenden wissenschaftlichen Ruf: Zusammen mit Stephen Hawking hat er bahnbrechende Arbeiten über schwarze Löchern und den Urknall publiziert und in der Mathematik kennt man u.a. Penrose-Diagramme und die Moore-Penrose-Inverse.
Penrose muss weit ausholen, um die ersten beiden Fragen zu beantworten. Er beginnt mit den sogenannten „Turing-Maschinen“ (nach dem Mathematiker Alan Turing, um 1925), um seine Hypothese zu veranschaulichen: Eine Turing-Maschine ist ein perfekter Computer mit unbegrenzter Kapazität, der in einer deterministischen Welt also alles vorausberechnen könnte, wenn ihm alle Informationen vorlägen und der Computer entsprechend programmiert wäre. In der Realität beobachten wir jedoch Chaos: Die Zukunft hängt aufgrund der Komplexität nicht stetig von der Gegenwart ab, in dem berühmten Beispiel kann ein Flügelschlag eines Schmetterlings einen Orkan auf der anderen Seite der Erde verursachen. In einer deterministischen Welt wären also Computer auf lange Sicht dem menschlichen Geist überlegen. Intelligenz wäre also nichts weiter als Rechenpower plus Information und Software, künstliche Intelligenz dann etwas sehr reales.
Penrose ist der Ansicht, der menschliche Geist sei dazu in der Lage etwas Unberechenbares hervorzubringen. Mit „unberechenbar“ meint er etwas, das nicht mal eine Turing-Maschine zustande brächte, weil sie im eigenen deterministischen System gefangen sei. Er leitet dies aus Gödel’s Theorem ab, welches, sehr vereinfacht gesagt, lautet: In jedem formalen System (aus Axiomen und Regeln, wie man aus den Axiomen neue Regeln ableiten kann) gibt es wahre Aussagen, die innerhalb des Systems nicht beweisbar sind. Penrose leitet daraus ab, dass wir Dinge erkennen könnten, die formal nicht erfassbar, also unberechenbar, seien. Er argumentiert, dass es aus evolutionärer Sicht keinen Grund zur Annahme gäbe, dass diese Fähigkeit auf mathematische Intelligenz beschränkt sei.
Wenn nun im Gehirn auf Makroebene von Neuronen etc. relevante Quanteneffekte auftreten würden, könnte das die physikalische Erklärung für das Unberechenbare sein, was der menschliche Geist hervorzubringen imstande wäre. Dazu müsste man aber erst Einsteins Relativitätstheorie (die in ganz großen Maßstäben relevant ist) mit der Quantentheorie zur sogenannten Quantentheorie der Gravitation zusammenbringen. Nach dieser großen vereinigenden Theorie sucht die Wissenschaft bis heute. Penrose gibt einen Abriss darüber, wie eine solche Theorie dann im Bezug auf den menschlichen Geist aussehen müsste und begibt sich auf die Suche nach Hirnstrukturen, in denen Quanteneffekte möglich wären. Erst dann wäre es vielleicht möglich Computer zu bauen, die dem menschlichen Geist ähnelten und damit "künstliche Intelligenz" darstellten.
Nun fragt er sich wo die Physik, durch die wir ja in letztendlich bestimmt sind, Platz für Unberechenbarkeit lasse. Er gibt einen Abriss der klassischen Newtonschen und Einsteinschen Physik, wo es für alles eindeutige Ursachen und Wirkungen gibt. In der Quantenphysik, die beispielsweise in der Mikrowelt der Elementarteilchen zum tragen kommt (oder nötig ist, damit ein CD-Spieler funktioniert), besitzen die Teilchen gleichzeitig mehrere Zustände: erst wenn man durch Messung in ein System eingreift, beobachtet man den einen oder den anderen Zustand. Dadurch kommt es zu allerlei Paradoxien wie, dass die Wirkung vor der Ursache eintreten kann. Im ganz Kleinen, in der Quantenwelt, gibt es also echte Unberechenbarkeit.
Das Buch wurde einerseits hochgelobt als bestes Wissenschaftsbuch überhaupt, andererseits sind Penrose Argumente sehr umstritten. In seinem Nachfolgebuch "Shadows of the mind (auf deutsch als "Schatten des Geistes" erschienen) präzisiert er seine Ausführungen über das Gödel-Theorem. Er zeigt, dass alle möglichen Auswege aus seiner Argumentation Dinge zur Folge hätten, die er für absurd hält. Auf der Suche nach den passenden Hirnstrukturen korrigiert er sich und sucht sie nun woanders. In seinem 1997er Kurzband "The large, the small and the human mind" (auf deutsch als "Das große, das Kleine und der menschliche Geist") fasst er die beiden Bücher sehr knapp zusammen und lässt neben Stephen Hawking auch ein paar Philosophen zu Wort kommen. Zuletzt von Penrose ist 2005 das Buch "The road to reality - a complete guide to the law of the universe" erschienen, ein 1000-Seiten Schmöker, der allerdings das schwierige Thema des Bewusstseins außen vor lässt.
Penrose Berechnungen über mögliche Quanteneffekte in Hirnstrukturen sind extrem umstritten und bis heute fehlt ein experimenteller Nachweis. Bisher Recht behalten hat er aber, was künstliche Intelligenz betrifft: Diese hat meines Wissens nach nichts hervorgebracht, was auch nur annähernd diesen Namen verdient hätte. Die Gegenposition, dass doch alles deterministisch sei, vertreten die meisten Natur- und insbesondere Naturwissenschaftler. Besonders hervorzuheben sind dabei der Kognitionswissenschaftler Douglas R. Hofstadter und der Philosoph Daniel C. Dennett, die z.B. "The mind's I" (deutsch: "Einsicht ins Ich") zusammen herausgegeben haben, eine kommentierte Sammlung wissenschaftlicher Aufsätze zum Geheimnis vom Ich und des Bewusstseins, dem vielleicht größten Mysterium der Wissenschaft.
Ich kann hier diese Argumente nur äußerst rudimentär und soweit ich sie selbst verstehe wiedergeben, aber Penrose Bücher sind mit das geistreichste und stimulierendste, was ich je gelesen habe.