Richard Morgan: Heiliger Zorn

  • Morgans dritter Roman läßt den ehemaligen Envoy-Soldaten Takeshi Kovacs, den wir bereits aus den Vorgängern „Das Unsterblichkeitsprogramm“ und „Gefallene Engel“ kennen, auf seinen Heimatplaneten „Harlans Welt“ zurückkehren. Dort herrscht die Oligarchenfamilie Harlan, unangetastet und unangreifbar, und das Tagesgeschäft teilen sich die Familienoberhäupter der organisierten Kriminalität, repräsentiert durch die Yakuza und die Haidcui. Durch einen Zufall, so es derlei überhaupt gibt, trifft Kovacs auf eine Frau, in der sich die seit dreihundert Jahren totgeglaubte Rebellenführerin Quellcrist Falconer zu manifestieren scheint, der einzige Mensch, der es je schaffte, eine Bedrohung für die festgefügten Machtstrukturen zu sein.


    Morgan zeichnet eine düstere, gewalt- und sexreiche Welt, in der Menschen nach ihrem Tod „resleevt“ werden können, indem man ihren Leichen den „Stack“ aus der Wirbelsäule schneidet und ihn einem neuen Körper implantiert – sofern sich der Stack-Besitzer derlei leisten kann. Der „tägliche“ Tod hat hierdurch seinen Schrecken verloren, einzig der „reale Tod“ durch Einschmelzen des Stacks wirkt als ernsthafte Bedrohung – sofern es kein Backup gibt. Und offensichtlich haben sich diverse Interessengruppen eines älteren Backups von Kovacs’ Stack bemächtigt, denn einer seiner Gegner in diesem Roman ist kein geringerer als er selbst.


    Der Autor gibt sich nur selten mit Erklärungen ab, und so rätselt man seiten-, manchmal kapitellang, worum es gerade geht, technisch wie dramaturgisch. Einige dieser Rätsel scheinen sich auch am Ende nicht aufzulösen, aber das nimmt dieser vortrefflich verfaßten Cyberpunk-Odyssee nichts von ihrem Reiz, und der ist groß. Neben Dan Simmons, Richard Morgan und einigen wenigen anderen gibt es momentan kaum SF-Autoren, die es immer noch schaffen, originelle, überraschende und anspruchsvoll geschriebene Romane zu verfassen. Sehr lesenswert, wenn auch zuweilen etwas anstrengend.

    ASIN/ISBN: 3453521307

  • Zitat

    Original von Tom
    Neben Dan Simmons, Richard Morgan und einigen wenigen anderen gibt es momentan kaum SF-Autoren, die es immer noch schaffen, originelle, überraschende und anspruchsvoll geschriebene Romane zu verfassen.


    … und einer der wirklich guten und großen Altmeister der SF – Stanislaw Lem – ist gestern (27.3.2006) gestorben.


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Hallo, Horst Dieter.


    Zitat

    und einer der wirklich guten und großen Altmeister der SF – Stanislaw Lem – ist gestern (27.3.2006) gestorben


    Lem hat tatsächlich einige Grundlagen für das Genre formuliert, aber - um ganz ehrlich zu sein - seine Geschichten und Romane fand ich immer ein wenig hölzern.

  • Zitat

    Original von Tom


    Lem hat tatsächlich einige Grundlagen für das Genre formuliert, aber - um ganz ehrlich zu sein - seine Geschichten und Romane fand ich immer ein wenig hölzern.


    Hallo Tom,


    von Lem gibts viel und meine Lektüre besteht bisher lediglich aus zwei Romanen (Eden/Solaris) und zwei Kurzgeschichtenbänden (Erzählungen und Robotermärchen). Solaris fand ich immer etwas zu intellektuel, habe ich aber trotzdem gern gelesen. Eden ist für mich nach wie vor ein Klassiker, der alles andere als hölzern daher kommt. Gibts als Buch momentan leider nicht mehr (hab gerade bei Amazon nachgeschaut), ist lediglich als Hörbuch

    ASIN/ISBN: 3784440363
    zu haben. Von den Kurzgeschichten ist mir insbesondere Die Invasion (Inwazja) in Erinnerung, bei der zwei Außerirdische mit den Widrigkeiten der irdischen Lebensformen nicht zurecht kommen und insbesondere an dem ersten intelligenten Lebewesen, das Ihnen begegnet - einem Betrunkenen - scheitern.


    Seine theoretischen Artikel und Essays kamen mir allerdings immer viel zu trocken und bemüht vor. Mag sein, dass du Recht hast und das auch auf eine Reihe von Romanen und Erzählungen zutrifft. Dann habe ich immerhin noch vor mir, das entdecken zu dürfen.


    Horst-Dieter

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