Paul Auster: Baumgartner

  • Am Ende (wird’s ein bisschen langweilig)


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    Ich gehöre ja eher der Hustvedt-Fraktion an, wenn es um das Ehepaar Auster-Hustvedt geht (und man im Gespräch zu einer Entscheidung genötigt wird, was, zugegeben, nicht eben oft passiert), aber ich schätze Paul Auster als großen, originellen, klugen Erzähler, als Konstrukteur verschachtelter, zuweilen wie rekursiv erscheinender Satzbauten, die trotzdem schlüssig enden, ich schätze ihn als Chronisten und als Autobiografen. Mein Lieblingstext von ihm ist „Im Land der letzten Dinge“.


    „Baumgartner“ nun ist quasi der Gegenentwurf zu Austers letztem Roman, der als Opus Magnum gefeiert wurde (und bei mir eher durchfiel), also zu „4 3 2 1“ (2017), dieser mehrfach erzählten Geschichte um das Einwandererkind Archie Fergusson, dessen Leben ab einer bestimmten Stelle in vier unterschiedlichen Varianten fortgesponnen wird. In „Baumgartner“ gibt es längst nicht mehr so viele Optionen, denn der Roman erzählt vom Ende, zumindest vom beginnenden Ende. Seine Hauptfigur, Seymour Baumgartner, ist Anfang siebzig. Vor knapp zehn Jahren ist seine Frau Anna gestorben, womit nicht nur ein Mensch, sondern ein Teil von Baumgartner gegangen ist, also ein Verlust entstand, der eine große, bleibende Lücke und langen, langen Schmerz hinterlassen hat. Jetzt, fast zehn Jahre nach ihrem Tod, trennt sich Baumgartner vom letzten Stück aus der gemeinsamen Anfangszeit, von einem alten, verbeulten Aluminiumkochtopf, den er (vermeintlich versehentlich, aber – wer weiß?) auf dem Herd verbrennen lässt. Dieses Ereignis hat ein paar Folgen, und unter anderem löst es aus, dass sich Baumgartner wieder stärker seinem eigenen Leben zuwendet.


    In Rückblenden wird dann von dem Beginn dieses Lebens, vom Erwachsenwerden, von der Selbstfindung und von jenem singularen Zusammentreffen erzählt, das Sy Baumgartner und Anna Blume zum Paar machte, den Phänomenologen, der in Princeton doziert, und die Lektorin und Dichterin, der der Erfolg anderer immer wichtiger war als der eigene. Und die sich durchzusetzen wusste, zuletzt auch gegen Baumgartners Empfehlung, nicht noch einmal ins Meer zu gehen, weil die abendliche Brandung schon zu stark wäre. Wir lesen aber nicht nur über Anna, sondern auch von ihr, weil der wohltuend kurze Roman einige Textproben enthält, auch von Baumgartner selbst.


    Dieses Buch ist im besten Sinne ein Eintopf, der aus autobiografischen Elementen und einiger Fiktion gekocht wurde (wofür derzeit der Begriff „Autofiktion“ trendet), und es ist überwiegend durchaus einem Vergnügen ähnlich, es zu lesen. Andererseits gibt es nicht viel mehr als diese Erzählung vom älter werdenden Mann, der zunehmend mit Vergesslichkeit zu kämpfen hat, der zunehmend in der Vergangenheit zu leben scheint und in ihr nach den Wurzeln der eigenen Zukunft sucht, der aber auch noch eine Menge Energie und einiges zu sagen hat, der nicht nur rückwärtsgewandt agiert, und sich mit dem fraglos drohenden Ende konfrontiert sieht. Leider ist nicht immer schlüssig, warum Auster was erzählt, und der episodische Aufbau der Geschichte, die sich oft wie ein Nachruf liest, enthält viele Abschnitte, die „Seht her!“ zu rufen scheinen, die politische Statements, Verweise auf die eigene Kunstfertigkeit und Originalität, den erfolgreichen Weg aus der schwierigen Herkunft und die reiche kulturelle Bildung enthalten, und die dabei hin und wieder milde arrogant wirken. Am Ende verliert sich die Geschichte, holt immer häufiger ihre Motivation aus dem Nichts, und sie wird dabei leider langweiliger – auf gute Art zwar, wenn das geht, doch das ändert wenig daran, dass gegen Schluss eine gewisse Hohlheit und Beliebigkeit einsetzen.


    Hustvedts „Damals“ liegt noch im Regal und ist jetzt bald dran. Ich bin jetzt schon sicher, dass das ein guter Ausgleich sein wird.


    ASIN/ISBN: 3498003933