Marie Kreutzer - Corsage

  • Überraschenderweise laufen hier in Auroville nahezu täglich aktuelle Kinofilme. Manche davon in deutscher Sprache. Hatte gestern das Vergnügen, mir Marie Kreutzers letztes Werk, Corsage, anzusehen. Der vielfach preisgekrönte, österreichische Film, wegen des mittlerweile strafrechtlich verurteilten pädophilen Darstellers, Florian Teichtmeister, umstritten und von vielen ehrenwerten Bürgern deshalb verachtet und boykottiert, spielt in der K.u.K-Zeit der zweiten Hälfte der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts. Noch vor dem erweiterten Suizid Kronprinz Rudolfs, wenngleich sich der langsame Zerfall der Donaumonarchie bereits ankündigte.

    Den Plot tragen in erster Linie die weiblichen Hauptfiguren. Florian Teichtmeister, der darin den Kaiser Franz Josef mimt, nimmt in diesem Streifen bloß eine größere Nebenrolle ein.

    Im Mittelpunkt steht die Kaisergattin Sisi, gespielt von Vicky Krieps, sowie ihrer Hofdame Marie Festetic, dargestellt von Katharina Lorenz. Sisis innere Zerrissenheit, stete Unruhe und Angst vor dem Älterwerden, sie ist mittlerweile 40 Jahre alt geworden, bilden und treiben primär die Handlung. Immer engere Corsagen, begleitet von qualvollen Hungerkuren und verbissenen Turnübungen sind die Folge. Einerseits liebt sie es, aufgrund ihrer Schönheit vom Volk bewundert zu werden, andererseits ist ihr das zu wenig, vor allem vergänglich.

    Sie leidet unter dem strengen höfischen Zeremoniell, ihrer unmaßgeblichen diplomatischen Rolle, ist sie doch bloße Repräsentantin, hat keinerlei politisches Gewicht. Zitat des Kaisers: „Während ich das Reich lenke, hast du zu repräsentieren. Dafür habe ich dich ausgewählt.“

    Mehr als ein zwanghaftes Lächeln auf Banketten und Empfängen, karitative Schul- Lazarett- und Irrenhausbesuche stehen ihr nicht zu. Das ist einer intelligenten Frau wie Sisi zu wenig. Dagegen lehnt sie sich auf, daran läuft sie Gefahr, innerlich zugrunde zu gehen.

    Häufig flieht sie aus dem Kaiserhaus, begibt sich auf teils lange Reisen, krampfhaft bemüht, um Selbstfindung. Nur ihrem Tagebuch vertraut sie, fast immer in Gedichtform, ihr Seelenleben an. Ein Faktum, das in diesem Film (leider) kaum zur Sprache kommt.


    Resumé: Ein krasser, in seiner nüchternen Realität harter Gegenentwurf zur süßlich/kitschigen „Sissi-Trilogie“ der 50er Jahre. Auch wenn der Film historisch nicht ganz einwandfrei ist, da und dort etwas zu plakativ angelegt erscheint, zeigt er die Kaiserin als eine starke, selbstbewusste Frau, die allen inneren und äußeren Widerständen zum Trotz versucht, ihren Weg zu finden. Ein feministischer Streifen, mag sein, ein Frauenfilm. Jedenfalls ein künstlerisch anspruchsvolles Werk, das allein deshalb für Filmliebhaber beiderlei Geschlechts von Interesse sein könnte.


    Hinweis für Interessierte an Sisis literarischen Werken: Das poetische Tagebuch

    Kaum etwas wird gründlicher vorbereitet, als ein plötzlicher Kriegsausbruch!

    (Unbekannt)

    3 Mal editiert, zuletzt von Manuela ()

  • Obwohl ich ahne, was gemeint ist - man könnte diese Sätze auch so interpretieren, dass machohaftes Verhalten ein Merkmal moderner Männer ist. :rofl

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    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Leider habe ich deinen ersten Kommentar gestern noch vor dem Schlafengehen gelesen. Ich wollte anfangs nicht, weil ich mir schon dachte, ich würde mich möglicherweise darüber ärgern, und dann lange nicht einschlafen können. Und so geschah es leider auch.

    Man kann alles in irgendeine Richtung hin uminterpretieren. Ich denke, die allermeisten Leser verstehen, was im Schlussatz gemeint ist. Aber eventuell stelle ich ihn um, damit es auch wirklich jeder richtig versteht. 8)

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  • Den Film gibt's gegen Geld bei den üblichen Streaminganbietern und auch auf Scheibe:


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    Ich habe mir den Film angeschaut, obwohl ich es - ehrenwert, wie ich bin - als durchaus widerwärtig empfand, da in einer von zwei Hauptrollen einen Schauspieler zu sehen und mehr als nur indirekt zu honorieren, der sich an Vorgängen beteiligt oder diese unterstützt hat, die durch absolut nichts zu rechtfertigen und zu entschuldigen sind. Ich habe sehr irritiert im Kino gesessen und wusste nicht, wohin mit meinen Gefühlen, die viel stärker waren, als ich das erwartet hatte. Dabei ging das Produkt selbst ein bisschen unter, das mir nicht gefallen hat. Ohne "aber" oder "sowieso" an irgendeiner Stelle. Ich habe den Sinn dieses Films nicht verstanden. Ich habe die politischen und kulturellen Botschaften durchaus verstanden, aber ich habe nicht auf die Reihe gekriegt, warum man dafür diesen Film machen musste, den ich einfach nicht gut fand. Nicht unterhaltsam, nicht erhellend, nichts davon. Das Werk ist ein Kraftakt, fraglos brillant gemacht und die schauspielerischen Leistungen sind mehr als ordentlich. Aber ich kam mir im Zuschauerraum wie ein Alien vor. Das mag daran liegen, dass Erzählweise und -perspektive (und, natürlich, die Inhalte) mit allem brechen, was bislang Narrativ in dieser Beziehung war, aber dass all diese Adelsgeschichten überdrehte Märchen ohne den geringsten Realitätsbezug sind, das wusste ich schon als Jugendlicher.


    Übrigens habe ich bei der Formulierung "modern denkende Männer" nicht lange über Interpretationen nachdenken müssen.

  • Übrigens habe ich bei der Formulierung "modern denkende Männer" nicht lange über Interpretationen nachdenken müssen.

    Ich finde diese Formulierung immr noch nicht gut. Ist es "modern", wenn man als Mann nicht mehr machohaft und "frauenfreundlich" denkt? Haben gestern oder vorgestern oder vor x-Jahren die Männer alle machohaft und frauenfeindlich gedacht? Modern ist für mich ein zeitbehafteter Begriff. Was heute mordern ist, es übermorgen nicht mehr. Ist damit eine Anischt, die man vorgestern hatte, schon veraltet? Ich weiß sehr gut, was Vichara damit ausdrücken will, aber ich halte die Formulierung für überdenkenswert.

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  • "fortschrittlich denkender Mann" - ist etwas schwächer kritisch. Zeigt aber für mich auch in die falsche Richtung. Es sagt eigentlich nichts darüber aus, WIE der Mann denkt. "fortschrittlich" kann genau so divers belegt werden wie "modern", eben von jedem anders, ganz nach der jeweiligen Sichtweise. Warum nicht direkt sagen, dass der Mann gemeint ist, der nicht mehr in alten Klischees denkt und schon gar nicht in alten Geschlechterrollen?

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  • Ich werde mir den Film übrigens (freiwillig) nicht ansehen, schon aus dem Grund, weil ich Leute wie Elisabeth von Österreich und Ludwig II. von Bayern für völlig aus der Zeit gefallene, widersprüchliche Personen halte, die auch mit solchen scheinbar kritischen Darstellungen immer noch eine Art Verherrlichung finden, die nicht angemessen ist. Ich lese auch das Buch von Duve nicht, die ich sonst sehr schätze.

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  • Warum nicht direkt sagen, dass der Mann gemeint ist, der nicht mehr in alten Klischees denkt und schon gar nicht in alten Geschlechterrollen?

    Aus Platzgründen? Weil man zu Gunsten der Geschwindigkeit - auch beim Erzählen - zuweilen auf Präzision verzichtet und darauf hofft, dass trotzdem klar wird, was man meint? 8)