T.C. Boyle - Blue Skies

  • Dystopieromanen gegenüber bin ich skeptisch, wahrscheinlich weil ich das Thema gerne vermeide. Doch T.C. Boyle extrapoliert in "Blue Skies" kaum über die Gegenwart hinaus, erzählt nahe an den Figuren und ihren Beziehungen und das so gut, teils brilliant, wie in den Romanen, die ich vor zwanzig Jahren von ihm gelesen habe ("Wassermusik", "Grün ist die Hoffnung"). Sehr kurz gesagt, wenn das Problemgemengelage auf der Welt das psychische Ergehen in Zukunft nicht stärker beeinträchtigt als in dieser Fiktion, beruhigt mich diese Lektüre fast. Sicher ist dies so gewollt, anderes wäre schwer lesbar, und Boyle probiert es erst gar nicht. Anders gesagt: eine Geschichte, die, so wie sie gebaut ist, weitgehend funktioniert*, aber dem Anspruch einer Dystopie mit wenigstens einigen damit einhergehenden Konflikten überhaupt nicht genügt. Wo auch immer dieser Anspruch herkommt (Marketing?). Interessanterweise scheinen die Rezensionen in den großen Zeitungen diesen Anspruch als ganz gut erfüllt zu betrachten.



    * Man könnte kritisieren, dass manche inneren Konflikte etwas im Unklaren bleiben, v.a. bei Cat; der Figur, die sich von der ignoranten Hedonistin zur sensiblen Zeitgenossin entwickelt. Und ein paar Längen in der Erzählung.


    https://www.penguin.de/Hoerbuc…er-Hoerverlag/e617506.rhd

  • Interessante Anmerkungen. Ruht bei mir schon eine Weile auf dem Nachttisch, aber weiter unten im Stapel; ich war zuletzt eher enttäuscht von Boyles Romanen, die zwar stilistisch und dramaturgisch immer noch perfekter werden, zugleich aber auch immer routinierter, einander ähnlicher und monothematischer (Mensch & Natur). Vielleicht rücke ich "Blue Skies" jetzt doch ein, zwei Bücher nach oben. Zumal da Platz ist, weil ich Anselm Nefts "DIe bessere Geschichte" ungelesen verschenkt habe.

  • Interessante Anmerkungen. Ruht bei mir schon eine Weile auf dem Nachttisch, aber weiter unten im Stapel; ich war zuletzt eher enttäuscht von Boyles Romanen, die zwar stilistisch und dramaturgisch immer noch perfekter werden, zugleich aber auch immer routinierter, einander ähnlicher und monothematischer (Mensch & Natur). Vielleicht rücke ich "Blue Skies" jetzt doch ein, zwei Bücher nach oben. Zumal da Platz ist, weil ich Anselm Nefts "DIe bessere Geschichte" ungelesen verschenkt habe.

    Da würde ich jetzt fast prophezeien, dass Du Boyles neues Werk auch zu routiniert findest. Meine Kritik kann man auch so formulieren: Mit dieser routinierten Herangehensweise wird er diesem existenziellen Thema nicht gerecht. Ich habe gerade angefangen, Ilja Trojanow Dystopie "Tausend und ein Morgen" zu hören. Das ist richtig groß und dramatisch angelegt; mal sehen, ob es aufgeht.

  • Banale Grande


    zweisterne.gif


    Mensch, was war das alles früher besser! Früher gab es zum Beispiel noch keinen Klimawandel, und die ganzen Tierarten sind nur ausgestorben, weil wir so viele ihrer Angehörigen abgeschlachtet haben, dass die Erhaltung für die Art aus eigener Kraft unmöglich wurde. Und früher hat der New Yorker Schriftsteller Tom Coraghessan Boyle auch noch so richtig coole Romane geschrieben, Sachen wie „Willkommen in Wellville“, „Grün ist die Hoffnung“, „Wassermusik“, „Der Samurai von Savannah“ und einige andere. Inzwischen verklappt T. C., der eigentlich T. J. (Tom John) getauft wurde, nur noch Ökoromane in die Literaturlandschaft und lässt sich dafür feiern, was ja okay wäre, wären es diese Romane auch. Aber sie werden mit jeder weiteren Geschichte banaler, langweiliger und ununterscheidbarer.


    In dieser x-ten tendenzdystopischen Betrachtung des Umgangs der Menschen mit ihrer Umwelt (der zweifelsohne deutlich mehr Luft nach oben als nach unten hat) geht es um eine Familie, deren weibliches Oberhaupt Ottilie mit ihrem Mann Frank in Kalifornien lebt, wo es, wie Albert Hammond schon im Jahr 1972 singend verkündet hat, quasi niemals regnet (mit Ausnahme des Anfangs der Siebziger, weshalb die Veröffentlichung des Songs seinerzeit verschoben werden musste). Aber es ist außerdem heiß und es windet stark, woran niemand Spaß hat, von Parasiten und Brandstiftern abgesehen. Ottilies Sohn Cooper ist Biologe und mit einer Insektenforscherin liiert, die im Hinterland die Bestände inventarisiert. Bei einem solchen Inventur-Ausflug wird Cooper von einer Zecke gebissen, was nicht folgenlos bleibt. Ach, und Ottilie versucht, ihre Ernährung und die ihres Mannes auf Gliederfüßler umzustellen, was aber nicht ganz so gut gelingt, wie sie das geplant hatte.


    Außerdem hat Ottilie noch eine Tochter namens Catherine, genannt Cat, die in Florida lebt und mit dem professionellen Partygastgeber Todd liiert ist, der im Auftrag der Firma Bacardi um die Erde jettet und weltweit zu Events einlädt, bei denen große Mengen Rum inhaliert werden, nicht zuletzt von Todd. Eher aus Langeweile legt sich Cat deshalb eine Schlange zu, eine hübsche, kleine Tigerpython, die zwar als invasive Art gilt und im ausgewachsenen Zustand – sie wird über fünf Meter lang – die halben Everglades leerfrisst (einschließlich der Alligatoren), aber auch ziemlich dekorativ aussieht, und da Cat die Idee hat, Influencerin zu werden, ist das neue Branding schnell ausgedacht. Aber Cat wird außerdem schwanger.


    Die persönlichen Schicksale dieser Kohorte ziemlich uninteressanter Flachpfeifen sind an die Amplituden der klimatischen Ereignisse geknüpft. Während der Wasserspiegel an Floridas Küsten unaufhörlich steigt und Cat ihr Haus oft nur noch per Boot erreichen kann, bläst der Wind in Kalifornien oder es brennt oder beides geschieht gleichzeitig, weshalb beispielsweise eine Hochzeit ins windige Wasser fällt und andere Ereignisse nicht ganz so munter gefeiert werden können, wie sie geplant waren. Dass Wetter, Klima, Umwelt und so weiter menschengemacht verrücktspielen, während die Menschen weiterhin so tun, als wäre das irgendwie in den Griff zu kriegen, wiederholt Boyle unaufhörlich, mindestens einmal pro Absatz. Das kaschiert anfangs ein wenig, dass die Dramaturgie des Romans eher unspektakulär ausfällt, um es noch nett zu formulieren. Und, klar, Boyle kann auch immer noch exzellent erzählen, schafft es also sogar, sein banales Personal und den sehr flachen Handlungsbogen irgendwie zu verkaufen. Aber unterm Strich hat dieser Roman das ganz große Garnichts, belohnt die Lektüre mit nachhaltiger Ermüdung, verbunden mit dem Wunsch, Boyle würde das Missionieren jetzt wieder ins Privatleben verlegen und wenigstens gelegentlich Romane mit etwas mehr Handlung und thematischer Abwechslung erzählen. Und mit intelligenterem Personal.


    ASIN/ISBN: 3446276890