Gibt's das "generische Maskulinum" überhaupt?

  • Als Begriff gibt's es wohl erst seit den 90 Jahren. Im Standardwerk von Peter Eisenmann (Das Wort. Grundriss der deutschen Grammatik, 3. Auflage, 2006) steht er nicht, im Grammatik-Duden (5. Auflage, 1995) heißt es, dass besonders bei Berufsbezeichnungen das Maskulinum

    Zitat


    neutralisierend bzw. verallgemeinernd ("generisch")

    (S. 196)

    ist. An den Gänsefüßchen wird schon deutlich, es ist kein Fachbegriff. Aber die Bedeutung wird eigentlich klar (was einige wohl abwertend deuten): Das Maskulinum drückt eine Verallgemeinerung aus. Um etwas auszuholen: Genus hat nichts mit dem, was wir herkömmlich unter "Geschlecht" verstehen, zu tun; es bedeutet einfach "Gattung" oder "Art", wie wir es zum Beispiel aus der biologischen Systematik kennen: Der Homo sapiens bildet eine Art der Gattung Homo. Übertragen auf die Grammatik bilden die Nomen / Substantive eine Gattung, die drei Arten, eben drei Genera haben: Maskulinum, Femininum und Neutrum. Spiegelbildlich bilden die Verben auch eine Gattung mit zwei Arten, die sogenannten "Genera Verbi": Aktiv und Passiv. (Ich habe in einem Blog-Beitrag für die Anerkennung auch eines dritten Genus verbi plädiert: des aus der altgriechischen Grammatik bekannten Medium.)

    "Genus" zielt also zunächst überhaupt nicht auf ein Geschlechtsteil, ebenso wie "Geschlecht" in einem älteren Sinne, zum Beispiel heute noch im Wort "Menschengeschlecht", eine verallgemeinernde Bedeutung hat, die alle Menschen umfasst. (In Paranthese: Vielleicht ist es gerade das generische Maskulinum, das heißt übertragen auf andere Sprachen: die verallgemeinernde Funktion von Worten, die es uns ermöglicht hat, die Gleichheit der Menschenrechte zu denken.)

    Trotzdem hat die assoziativ-spontane Verbindung von Genus und menschlichem Geschlechtsteil auch eine Berechtigung. Wenn wir einen weiblichen Arzt ansprechen, dann benennen wir ihn auch, ohne weiter zu überlegen, Ärztin. Dieses Wort ist aus einer sozusagen spontanen Genderfizierung hervorgegangen, und zwar schon im frühen Mittelalter (aus ahd. arzat, ursprünglich aus dem griech. archiatros: mhd arzatinne). Schon die Sprecherinnen und Sprecher unserer Vorgängersprachen haben auf diese feminine Form Wert gelegt, so dass sie seit fast tausend Jahren zu unserem Wortschatz gehört. Somit erweist sich die heutige Genderaktivität als überzogene und ins Extrem getriebene Bestrebung, die in unserer Sprache schon angelegt ist.

    Das generische Maskulinum hat ja auch seinen guten Sinn. Wenn ich meine Ärztin persönlich und konkret benennen will, sage ich "Ärztin", wenn ich nur auf ihre Funktion abhebe und meine Kommunikation von unwichtigen Detailinformationen entlasten will, sage ich spontan: Heute muss ich noch zum Schuster und zum Arzt.

    ASIN/ISBN: 395494104X


    "schönheit ist das versprechen, daß das werden kann, was wir uns wünschen." (Ronald M. Schernikau: Die Tage in L.)

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