Isabel Bogdan: Laufen

  • Ein ein aus aus aus aus


    fuenfsterne.gif


    Eine Frau in den Vierzigern, Orchestermusikerin an der Bratsche, hat ihren Freund verloren – an seine Depression. Seit einem Jahr ist er tot, am Anfang dieses Romans, der irgendwie keiner ist oder sein will, und außerdem fängt die Frau damit an, wieder zu laufen. Früher hat sie das häufiger gemacht, war fit, aber nach sechs oder acht Jahren Pause und Älterwerden geht es zunächst nur langsam voran.


    Die Geschichte besteht aus inneren Monologen, aus großartig modellierten Schachtelsatz-Selbstgesprächen, die an den toten Freund adressiert sind. Den sie vermisst, der eine Lücke hinterlassen hat, die sich anfühlt, als würde sie sich nie wieder schließen, wie das bei solchen Verlusten eben so ist, der ihr aber auch Schuldgefühle und Selbstvorwürfe hinterlassen hat, und natürlich schöne Erinnerungen, der aber vor allem einfach nicht aus ihren Gedanken weichen will, wenigstens für eine kleine Weile, ab und zu. Zum Atemholen, wie beim Laufen: Ein ein aus aus aus aus.


    Auf liebenswürdige Weise selbstironisch und angesichts des Sujets beeindruckend humorvoll, vor allem aber irre klug, einfühlsam, kunstvoll und nachvollziehbar erzählt Isabel Bogdan aus der Sicht dieser Frau, die sich langsam – an der Mehrdeutigkeit des Titels führt kein Weg vorbei – ihr eigenes Leben, ihr Ichselbstsein wieder erläuft, wobei natürlich die beste Freundin Rike hilft und die Krisenberaterin Frau Mohr und die anderen Freunde, vor allem aber das Laufen, diese intensive körperliche Erfahrung, dieses Pendeln zwischen Sich-auspowern und drohender Kapitulation. Es ist auch eine Emanzipationsgeschichte, ein Weg in die Freiheit. Der Atemrhythmus – ein ein aus aus aus aus – gibt die Taktung vor; Isabel Bogdan lässt an absurden Gedankengängen teilhaben, an hinreißenden Beobachtungen, an Ausschweifungen (etwa zum Geruch von Katzen-Nassfutter) und Selbstbetrachtungen, und im Kern passiert während dieser ganzen Zeit so gut wie nichts.


    Aber es ist nicht nichts, was sie schafft. Ganz im Gegenteil.


    Zweihundert Seiten lang nimmt sie uns mit, erst durch die Parks, dann rund um die Alster – der Roman spielt in Hamburg. Es ist keine Seite zu viel oder zu wenig, es ist perfekt dosiert, toll erzählt, mitreißend, tieftraurig, lebensbejahend, realistisch, originell und witzig. Eine der besten deutschsprachigen Erstveröffentlichungen der letzten Jahre.


    ASIN/ISBN: 3462053493