William Finnegan: Barbarentage

  • Perfekt. Mit Welle


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    Sportarten, die mich nie interessiert haben, sind Gewichtheben (ich verspüre Phantomschmerz beim Zuschauen), Eistanz, Gummistiefelweitwurf und ein paar Dutzend weitere - und außerdem alles, was mit Motorenlärm einhergeht. Ach, und das Surfen. Ich habe einmal auf so einem Brett gestanden und die Erfahrung in einer Rubrik verbucht, deren interne Bezeichnung ich lieber nicht verrate.


    Ich käme auch nicht auf die Idee, die Autobiografie eines Profisurfers zu lesen. Oder überhaupt die Biografie irgendeines Sportlers, wenn sich diese hauptsächlich eben um den Sport dreht. Aber William Finnegan ist hauptberuflich ein ziemlich berühmter Journalist und preisgekrönter Buchautor, der allerdings die meiste seiner wachen Zeit mit dem Surfen verbracht hat - Wellenreiten, wie es hierzulande mal hieß: Leute paddeln auf schmalen Brettern in die gefährliche Brandung, versuchen dann, sich eine Welle zu schnappen, und kommen auf der Seite der Welle, die dem Ufer zugewandt ist, sozusagen in einer stark verlängerten Abwärtsbewegung zurück zum Strand, wenn da welcher ist. Den Sport gibt es schon seit einer ganzen Weile - er ist auf Hawaii erfunden, dort aber von den Missionaren zurückgedrängt worden -, doch erst seit den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts handelt es sich um eine Massenbewegung. An den sogenannten Spots überall auf der Welt warten Menschen in Neoprenanzügen und mit Leashes an den Fußgelenken auf perfekte Wellen, in denen sie den Ritt ihres Lebens machen können, irgendwo im „Face“ oder in der „Barrel“ oder auf der Lippe oder so. Jedenfalls rasant, elegant, riskant und megamegacool. Und immer noch irgendwie irgendwo zu toppen, ganz egal, wie spektakulär es gerade war.


    Bill kam als kleiner Junge mit seiner Familie - der Vater produzierte die Fernsehserie „Hawaii Five-O“ - nach Hawaii, und landete an einer öffentlichen Schule, weil die Eltern nicht wussten, dass man die auf Hawaii meidet, wenn man es sich leisten kann. Der junge William geriet deshalb schon früh in ethnische Konflikte, prügelte sich oft, lernte, sich durchzusetzen, aber auch, die Menschen aufgrund anderer als ihrer vermeintlich offensichtlichen Merkmale zu unterscheiden. Außerdem entzündete sich seine Leidenschaft für das Surfen.


    In diesem 560 Seiten starken Buch passiert unterm Strich nahezu überhaupt nichts - es ist eine lange Sammlung von Episoden, die sich überwiegend um die Surferei drehen, aber auch um Familie, Freundschaft - Finnegan ist ein sehr anhänglicher Freund - und die Liebe. William Finnegan reist als junger Mensch mit sehr wenig Geld in der Tasche um die Welt, um neue Spots zu finden, jobbt und lebt monatelang in ärmlichen Verhältnissen, weil er das Meer lesen möchte, er wartet auf „Swells“, auf ablandigen Wind, auf Stürme weit draußen, die das Wasser in Bewegung versetzen. Nebenbei lernt er die Menschen kennen. Er lebt in Australien, auf den Fidschi-Inseln, lange Zeit auf Hawaii, kehrt nach Kalifornien zurück und ist in den Achtzigern Lehrer in Südafrika, noch zur Zeit der Apartheit, aber an einer Schule für Schwarze. Über diese Zeit gibt es ein gesondertes Buch, leider - deshalb vermisst man hier viele Details. Aber ganz egal, wo er ist, es geht immer ums Surfen, um diesen verrückten Sport, um Boardgrößen, um die „Locals“, die einheimischen Surfer, um sanfte Rivalitäten, um Idole und Vorbilder, um Kommerz, aufkommenden Massentourismus - und um eine Leidenschaft, die so stark ist, dass sie selbst Leute wie mich mitreißt, die sich Wellen am liebsten im temperierten Erlebnisbad stellen.


    Die Surfleidenschaft, die nie in eine Sportlerkarriere mündet - Finnegan surft nicht, um darin besser als andere zu sein, und Wettbewerbe sind ihm zuwider -, ermöglicht es dem Amerikaner, die Welt auf besondere eine Weise kennenzulernen. Er ist ein früher Botschafter der Achtsamkeit und des Respekts, er sieht aber auch einiges Leid und viel Ungerechtigkeit. Finnegan wird schließlich Journalist, auch Kriegsberichterstatter, und selbst heute noch, mit über sechzig, stürzt er sich in jede Gefahr, ob in Form einer Welle oder in Form einer Protestbewegung, die sich gegen Machtmissbrauch stellt. Die Welle, nach der er lange sucht, und die er irgendwann vor Madeira gefunden haben wird, ist aber keine Metapher. „Barbarentage“ erzählt von zwei Leidenschaften, nämlich der einen für das Wellenreiten, und der anderen für eine bessere Welt. Es macht Spaß, diesen Mann durch sein Leben zu begleiten, der so aufmerksam und begeisterungsfähig ist, der so genau beobachtet und so klug erzählen kann. „Barbarentage“ hat den Pulitzer Preis verdient. Kein Pageturner, sondern ein Buch mit ganz eigener - perfekter - Geschwindigkeit.


    ASIN/ISBN: 3518469606

  • Es hat nichts mit dem hier vorgestellten interessanten Buch zu tun, passt aber womöglich doch zum Thema: Es war Norman Abramson, der in den 1960ern an der Universität Hawaii mit dem Aloha-Net das erste Funknetzwerk der Welt entwickelte. Auf Hawaii war Abramson, weil er dort seiner Leidenschaft, dem Surfen, am Besten in seiner Freizeit frönen konnte. Deshalb versäumte er auch, auf die für das Aloha-Net angewandte Technik ein Patent anzumelden.

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    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann