Nina George, Bücherfrau des Jahres

  • Zitat

    Nina George ist unglaublich gut informiert über Genderlastigkeit im Literaturbetrieb


    Na ja. Sie zählt Köpfe und zieht ihre Schlüsse. Ob die richtig sind, darf in einigen Fällen stark bezweifelt werden. Ob es also beispielsweise tatsächlich eine Folge möglicher Chancenungleichheiten, gar weitreichender und systemimmanenter Ungerechtigkeiten ist, wenn von 20 Leuten auf irgendeiner Longlist nur 8 oder sogar nur 4 weiblich sind.


    Nina will da irgendwas ganz unbedingt, von dem ich nicht sicher bin, ob es wirklich wünschenswert wäre. Um Missverständnissen vorzubeugen: Sie hat zweifelsohne recht damit, dass es viele, viele Missstände in unserer Branche gibt. Nur ihren Kausalitätenmodellen mag ich nicht immer ganz folgen.

  • In der Autorinnenvereinigung e.V. haben wir viele Jahre für die Schweiz, Österreich und die BRD das Thema (unterstützt vom Land NRW) untersucht: Lebenssituationen, Preisverteilungen, Förderungen, Jurybesetzungen usw. Es kommt immer das Gleiche heraus und es gibt noch ganz andere umfassende Untersuchungen zu dieser Sache.
    Ich selbst erlebe immer wieder, erst wenn in einer Jury auf 5 Mitglieder wenigstens zwei Frauen kommen, verändert sich etwas in der Stipendien- und Preisvergabe, wird anders hingeschaut, anders diskutiert.

  • Das verstehe ich nicht. Mit Stipendien, Preisen, Veröffentlichungen, Öffentlichkeit usw. gibt es mehr Möglichkeiten schreibend zu arbeiten und sichtbar zu werden. Je sichtbarer eine Marion Poschmann wurde, um so mehr Preise bekam sie dann usw. Die Diskussion, was von all dem Kunst ist, ist ja m. E. eine andere Diskussion. Die gilt für alle.

  • Der fortschreitende geriatrische Verfall vergönnt es mir, Genderdiskussionen - insbesondere solche mit feministischen Kämpfernaturen und deren Kausalitätsbehauptungen zum Thema Benachteiligung von Frauen hier oder dort - inzwischen gelassen zur Kenntnis zu nehmen. Auseinandersetzungen auf diesem Feld, insbesondere mit den manchmal abenteuerlichen, weil ideologisch verquasten Hypothesen frauenbewegter Protagonistinnen, bringen nur Ärger. Wenn Frau etwas als Benachteiligung aus geschlechtsspezifischen Gründen empfindet, dann ist das so. Dagegen kommt keine sachliche Stellungnahme an. Und ist auch unerwünscht.


    Ich muss mir das nicht mehr geben.


    PS: Bevor die üblichen Verdächtigen wieder über mich herfallen: Ich habe mein Leben lang in Beruf, Politik und auch in meinen Büchern für die Gleichberechtigung von Mann und Frau gesprochen. Ich glaube nur nicht alles, was mir so an feministischen Scheinkausalitäten - meist intellektuell unzulässig allein zum Genderthema stilisiert - zu Augen und Ohren kommt. :D

  • Dazu, lieber Didi, kann man nichts mehr sagen, aber jetzt weiß ich wenigstens dass sozusagen auch die Forderung nach gleichem Lohn bei absolut gleicher Arbeit und Qualifikation zur Genderdiskussion gehört.
    Wie wahr, das muss niemand sich geben^^

  • https://www.buecherfrauen.de/p…chen-nicht-weiles2017ist/
    Die zugrunde liegende Studie hatte ich im Forum schon mal verlinkt mit allen Ergebnissen und Zahlen.
    Das Ganze hat schon ein wenig mehr Hintergrund als Nina Georges Zählrerei. Aber man kann natürlich auch seriösen Organisationen ihren Sinn für Wissenschaftlichkeit absprechen.
    Ich reg mich nicht mehr auf. Wer Fakten, erhoben in Studien, die sozialwissenschaftlichen Anforderungen genügen, nicht anerkennen will, soll das dann halt nicht machen. Die Welt entwickelt sich zum Glück trotzdem weiter. Oder hoffentlich.

  • (..) aber jetzt weiß ich wenigstens dass sozusagen auch die Forderung nach gleichem Lohn bei absolut gleicher Arbeit und Qualifikation zur Genderdiskussion gehört.

    Nein, weit gefehlt, liebe Jay! Gleicher Lohn für gleiche Arbeit für Männer und Frauen (und für Wessies wie Ossis und Ausländer wie Deutsche usw.) ist für mich eine Selbstverständlichkeit, für die ich mich immer eingesetzt habe - hat mit dem hier in Rede stehenden jedoch Thema nichts, aber auch gar nichts zu tun.


    Hier geht´s um die Behauptung, Frauen würden in der Literaturszene WEGEN IHRES GESCHLECHTS benachteiligt. Ein schlüssiger Nachweis dafür fehlt jedoch. Dass Zahlen für eine Unterrepräsentanz von Frauen in bestimmten Bereichen der Literaturszene (in Verlagen an entscheidender Stelle, als Autoren-Preisträgerinnen etc.) existieren, ist völlig unbestritten. Ich halte es jedoch für mehr als gewagt, dies allein als Genderproblem zu betrachten, auch wenn das für feministische Agitationen natürlich naheliegend ist.

  • Ich könnte Bücher über Gleichberechtigung von Männern und Frauen schreiben. Über Benachteiligung - oder Bevorzugung - wegen des Geschlechts. Mehrbändige nach fast einem ganzen Leben in einer Männerdomäne. Es ist ein komplexes Thema, das mit Erziehung, Gewohnheiten, Revierverhalten und inoffiziellen Regeln der Zusammenarbeit zu tun hat. Es lässt sich nicht einfach mit dem Aufkleber "feministische Agitation" abtun.


    Aber mir geht's wie Heike. Ich rege mich nicht mehr darüber auf.

  • Das ist wirklich ein hochkomplexes und hochemotionales Thema. Es ist zweifelsohne so, dass es Benachteiligungen bestimmter Gruppen in vielen Wirtschaftsbereichen - und die (Unterhaltungs-)Kultur gehört dazu - noch immer gibt, aber manch eine Schlussfolgerung klingt dennoch fast ein bisschen töricht. So wird auch im von Heike verlinkten Text das hier wiederholt:


    "Besonders kritisiert wurde die deutliche Unterrepräsentation von Autorinnen bei der Auszeichnung mit renommierten und hochdotierten Literaturpreisen, die verbreitete Überbesetzung von Literaturpreis-Jurys durch männliche Juroren"


    Als einzig vernünftige Erklärung wird hier suggeriert, dass die Männer das Geschehen organisiert dominieren und die Preise in geheimer Absprache sozusagen unter sich aufteilen, jede andere Erklärung wäre in diesem Kontext schließlich sinnlos. Das ist, mit Verlaub, sehr dicht an einer relativ unhaltbaren Verschwörungstheorie, aber es lässt auch und vor allem viele, viele andere mögliche Ursachen komplett außer acht. Ich lese sehr, sehr viel zeitgenössische Literatur und achte gerade bei Debüts und Neuerscheinungen wenig auf Namen - und erst recht nicht auf das Geschlecht -, aber es würde mir dennoch schwerfallen, hier für die letzten drei bis fünf Jahre einen Proporz der Geschlechter herbeizukonstruieren, einfach weil das Angebot nicht ausgeglichen ist. Ja, es folgt als Antwort umgehend eine lange Liste von vermeintlich unfassbar hervorragenden Titeln aus weiblicher Feder, die bei allen möglichen Longlists missachtet wurden, aber wenn Ihr ehrlich zu Euch seid, wisst Ihr selbst, dass das in diesem Zusammenhang Augenwischerei ist.


    Quoten helfen echt keinem. Und in der Kunst sind sie, mit Verlaub, kontrakproduktiv. Kulturtötend. In diesem Teilbereich wird meines Erachtens ein Problem herbeikonstruiert, das so nicht existiert. In anderen Bereichen möglicherweise schon, aber hier ist es vermutlich nicht vorhanden.

  • Tom bringt´s (wieder mal) exakt auf den Punkt. Danke.
    Somit kann ich mich jetzt hier wieder ausklinken, getreu meinem o. a. Statement 'Ich muss mir das nicht mehr geben'. :)

  • Nach 30 Jahren in Jurys auf Bundes- und Länderebene und in verschiedenen Institutionen weiß ich, wie die Deals gehen. Hat nichts mit Verschwörungstheorien zu tun, sondern es ist so und wenn ich Schriftstellerinnen durchbringen will - tja, ich habe von den Jungs gelernt, wie das geht, aber es braucht dann schon zwei Frauen in der Jury.
    Klar, inzwischen ist das einfacher, da wird man dann schon gefragt, also ich will den und den und wen willst Du. Deals, viel mehr ist da nicht. Nach der Wende, kam die Ostquote dazu. Oft wird ja auch gar nicht gelesen, es sei denn in der Jury ist ein ehrbarer Germanistikprofessor, der an das Gute glaubt. Alle anderen handeln (ja unter der Herrschaft der Jungs) etwas aus. Ganz selten sitzen mal alle über einem Text und reiben sich die Augen und fragen, wer ist das denn? Ganz selten. Und um das zu erreichen, muss man auch schon clever vorgehen. ^^

  • Zitat

    und wenn ich Schriftstellerinnen durchbringen will


    Schon die Formulierung ist eine Stolperfalle. Es geht bei Literaturpreisen nicht um Schriftsteller vs. SchriftstellerINNEN, sondern um Texte vs. Texte. Es mag sein, dass vieles nicht (mehr) gelesen wird, gerade bei "Treppenpreisen" (XY hat schon Preis A erhalten und ist somit Favorit für die Preise B, C und D) und/oder wenn es um neueste Werke bereits sehr bekannter AutorInnen geht, aber die Gegenbehauptung, Männer würden Männer (Schriftsteller) "durchbringen" wollen, unterstellt einen Geschlechterkampf, den ich an dieser Stelle für überwiegend legendär halte.


    Und außerdem ist das irgendwie komplett absurd. "Ich will, dass mehr Frauen Literaturpreise gewinnen" - ja, klar, das will ich irgendwie auch. Aber in der Hauptsache will ich, dass gute Texte/Autoren Literaturpreise gewinnen. Und ich will auf keinen Fall, dass jemand einen Literaturpreis gewinnt, weil die fragliche Person (k)einen Penis hat. Es geht bei Literaturpreisen nämlich nicht um Penisse, sondern um: Literatur.

  • wunderbar und schön wäre es,. Aber die Wirklichkeit in Jurys ist eine andere oder die Gleiche wie bis heute in Dörfern Baugrundstücke verteilt bzw. Baugenehmigungen erteilt werden. Also davor kann "man" doch nicht die Augen verschließen. Ich habe in den Jurys für einige sehr gute Schriftstellerinnen und Lyrikerinnen gekämpft bzw. eben gedealt.
    Es geht ganz sicher nirgends um gute Texte und Kunst. Bzw. ganz selten.