William Shakespeare: Die Sonette

  • Es ist doch immer wieder ein Wunder, wenn zwei Menschen, wie die Natur sie zu krummem Holz hat wachsen lassen, zusammenfinden und ein gemeinsames Leben führen. Aber ein noch größeres Mirakel ist es, wenn die Liebe unerwidert bleibt; wie passt das zusammen, dass unsere Gefühle uns eine geradezu absolute Gewissheit vortäuschen, obwohl sie sich am Ende nur als gegenstandslos, leer und verlogen erweisen? Mit dieser existenziellen Frage beschäftigen sich (u.a. natürlich) die Sonette von William Shakespeare. Darin werden zwei Liebesgeschichten thematisiert, die beide letzten Endes unglücklich verlaufen.
    In dem ersten Teil stellt das Ich die Liebe zu einem Mann dar, eine homosexuelle Liebe, die auch eine sexuelle Seite hat, die, typisch Shakespeare, gleichzeitig verhüllt und offen ausgesprochen wird:

    Zitat

    Die Natur – so spricht das Ich seinen Geliebten an – „hängte dir was an:
    Ein Ding, das keinen Wert besitzt für mich.
    Gab sie das Ding dir, Frauen zu entzücken,
    Schenk mir die Liebe; sie magst du beglücken.“
    (20. Sonett)


    Aber das Problem ist: Der geheimnisvoll Besungene ist zwar schön und reich und adlig, aber auch eitel und, ja, muss man wohl so sagen: gefühlskalt. Die Liebe wird nicht recht erwidert. So bleibt dem Ich nichts anderes übrig, als seine Liebe, sein Glück und sein Unglück in über 100 Sonetten zu besingen.
    Doch dann taucht plötzlich eine ominöse „dark Lady“ auf, die seinen Kopf gehörig verdreht und für die restlichen rund 30 Sonette sorgt. Diese Dame ist so hässlich, dass sie wieder schön ist; aber das arme Ich findet auch bei ihr letztlich kein Glück, weil sie nichts von Treue etc. hält und, mit einem Wort, ein ganz schönes Luder ist.
    Da steht nun unser Freund betroffen da. Was soll er jetzt vom Leben und allgemein von den Kräften halten, die angelblich das Innerste der Welt zusammenhalten? Er wendet einen Trick an; er sagt: Auch wenn meine Liebe von den wirklichen Menschen nicht erwidert wird, so gibt es sie trotzdem:

    Zitat

    Die Liebe „ist die Boje, die kein Sturm versenkt,
    Die unerschüttert steht im Zeitenstrom“.
    (116. Sonett).


    Von diesem Trotzdem – sei es nun Spott, Ironie oder Verzweiflung – handelt immer wieder neu jedes einzelne der 154 Sonette von Shakespeare.
    PS: Ich empfehle wärmstens die zweisprachige Ausgabe mit der Übersetzung von Christa Schuenke.
    (Es gibt übrigens zwei Ausgaben; ich habe die Taschenbuchausgabe verlinkt, weil ich nicht erkennen kann, ob die gebundene Ausgabe auch über den empfehlenswerten Anhang verfügt.)
    [buch]3423124911[/buch]

    ASIN/ISBN: 395494104X


    "schönheit ist das versprechen, daß das werden kann, was wir uns wünschen." (Ronald M. Schernikau: Die Tage in L.)