Eine "schöne Bescherung"

  • In welch extrem mittleren Jahren wir derzeit leben (müssen), habe ich gerade jetzt – so kurz vor Weihnachten – mal wieder gleich im „fatpack“ demonstriert bekommen. Aber ich will mal nur bei Hildegard bleiben. Kennenlernen durfte ich sie vor knapp eineinhalb Jahrzehnten – da war sie relativ frisch auf der Straße, ausgetauscht von ihrem Göttergatten gegen ein zwanzig Jahre und dreißig Pfund jüngeres Exemplar der holden Weiblichkeit. Während ihrer Nachtschichten als Krankenschwester hatte ihr Mann auf einer „Nebenbaustelle“ Nachtschichten aushäusig geschoben, später auch noch Tagschichten, und schlußendlich Tagundnachtschichten daselbst. Er ließ sie mit völlig überzogenem Konto und einer Latte Miet-, Strom- und diversen anderen Schulden einfach sitzen. Wie sehr er sie vergötterte, bewies auch, daß er wie bei den altgriechischen Tieropfern (Θεογονία 550-52)bescheiden nur mit den wenigen Wertsachen verschwand, Hildegard aber den größeren Haufen des Hausrates überließ – schließlich konnte er sich bei seiner neuen „Flamme“ ins „gemachte Nest“ setzen (legen…was auch immer). Das Sozialamt sah sich nicht in der Pflicht, rechtzeitig zu helfen – das hätte der Verursacher (der Noch-Ehe-Mann) zu richten, der natürlich nicht im Traum daran dachte. Es kam, wie es kommen mußte: Räumungsklage, zu spätes Reagieren des SHT (der nach der Räumung einer Wohnung ja auch nicht mehr mit den Mietkosten belastet werden konnte – welch glückliche Fügung), Räumung… und die Jahrzehnte gewachsene Kulturhülle einer sitzen gelassenen Frau ging zu Bruch. Das Vertrauensverhältnis zum Sozialamt war nun für Jahre nachhaltig derart gestört, daß sich Hildegard weigerte, mit einer dergestalten Verwaltung überhaupt noch etwas zu tun zu haben. Der Verwaltung war das nur recht, sparte das doch erhebliche Kosten und Mühe. Hildegard wurde nun ständiger Gast der Dresdner Nachtcafes im Winter und irgendwelcher Abrißhäuser im Sommer, ihre Kulturhülle bestand aus einem wetterfesten Anzug, der sowohl gegen die Kälte wie auch gegen die Hitze gut war – sagt man jedenfalls so. Mir fiel sie auf, weil ich sie immer in demselben Kunst-Stoff sah, und eigenthümlicherweise erzählt sie gerade mir jedesmal, was sie wieder erlebt hatte – weil ich zuzuhören vermag. Da hier in Dresden nicht nur ein Jahrhunderthochwasser das nächste, sondern auch ein Rekordsommer den nächsten jagt, wurde Hildegard bei großer Hitze wegen Kreislaufproblemen zur Stammkundin bei ihren ehemaligen Kollegen im Krankenhaus, bis sich dieses weigerte, sie wieder in die Obhut der Obdachlosigkeit zu entlassen. Hildegard war zu schwach, sich der Hilfe zu erwehren. Aber es kam, wie es kommen mußte: binnen kürzester Zeit verschwanden sie und ihre neue Wohnung im Zuständigkeitsstreit zwischen SHT und Arbeitsamt. Das Sozialamt meinte, sie könne nach 15 Jahren Arbeits- und Obdachlosigkeit ja wieder arbeitstechnisch funktionieren. Das Arbeitsamt konnte sie nicht so einfach aus der Statistik fort-bilden, fort-schicken (in Österreich gibt es dafür sog. „Möbilitätsberater“) oder sonstwie verschwinden lassen, also verweigerte man einfach die Zuständigkeit. Und Hildegard wurde wieder die Wohnung geräumt…
    Vor kurzem lief die Aufbewahrungsfrist für ihre Möbel und persönlichen Sachen ab, so daß eine Versteigerung durch den OGV auf dem (ehemaligen) „Industriegelände“ (zwischen Dresden und Klotzsche) am Freitag (oder Samstag?) vor einer Woche angesetzt wurde. Hildegard begab sich dorthin. Sie wurde aufgefordert, zu gehen, aber sie bestand darauf, zu bleiben – es wäre ja eine öffentliche Veranstaltung. In der Hoffnung, sie würde schon irgendwann verschwinden, schob man die Lose mit ihren Dingen immer weiter nach hinten. So konnte sie beobachten, wie sich die Leute mit dicker Brieftasche noch günstigst an den letzten Habseligkeiten überschuldeter Armer bereichern konnten. Wie die Geier hätte man sich vor allem auf die wertvolleren Dinge gestürzt, die in der Regel für einen Appel und ein Ei versteigert wurden. Als nun nur noch Hildegards Lose übrig blieben, mußten diese nun notgedrungen auch ausgerufen werden. Hildegard stellte klar, daß es sich um ihre Sachen handelte, und daß sie diese gerne wieder haben würde. Damit hatte sie nun ein Tabu gebrochen und wurde von der „Sicherheit“ hinausgeworfen. Ihre Hoffnung auf eine noble Geste seitens der Justiz oder eines „edlen Spenders“ hatte sich nicht erfüllt. Sie erfuhr aber hinterher wenigstens noch, daß ihre Sachen nicht verkauft wurden – diese waren ja auch nicht viel wert. Also begab sie sich gleich vorigen Montag wieder zur Justiz, um nach dem Verbleib ihrer Sachen zu fragen. Diese wären jetzt auf einer Mülldeponie – wo, darüber gäbe es keine Auskunft. Hildegard zieht nun wieder in ihrem Kunst-Stoff durch die Straßen… zum Glück ist es ja jetzt zu Weihnachten nicht zu heiß, und es gibt Stellen, sich zu wärmen. Aber die nächste Sahara-Hitze und der nächste „Flattermann“ (so nennt Hildegard ihre „Herzkasper“) kommen bestimmt, und Klimaanlagen für Arme gibt es in Dresden noch nicht… Für mich stellt sich die Frage, was diese armen Menschen verbrochen haben sollen, daß sie derart enteignet und entrechtet werden – sie werden da noch schlechter gestellt als wirkliche Verbrecher, die durch eine Haft – oder Bewährungsstrafe nicht auch noch zusätzlich enteignet werden. Und ich sehe weit und breit keinen Journalisten oder sonstigen Vertreter der „Schwarzen Zunft“, der statt reißerischer Armutsstories hier mal Petitionen für die Armen verfassen würde – und das sicherlich deswegen, weil die Armen ihn nicht entgelten könnten. Goethe schrieb schon: „Ein gesunder Mensch ohne Geld ist halb krank.“ Und da hatten wir noch keinen Kapitalismus. Was ist dann ein kranker Mensch ohne Kapital heute im Kapitalismus? Die Armen werden immer ärmer, und die Reichen immer reicher. Die Staatsdevise lautet offenbar: Immer mehr Millionen für die Reichen und Armut für immer mehr Millionen. Seit ich denken kann, leben wir in einem mittleren Jahr – es ist zum Glück noch nicht so schlimm wie nächstes Jahr, aber… Es ist, als hätte Gott am sechsten Schöpfungstag zu den Reichen gesagt: „herrschet…über alles Getier, das auf Erden kriecht“ (Genesis 1,28) – und die Armen mit zu dem kriechenden Getier gezählt. Ganz in diesem Sinne wünsche ich Euch (nach einem „Rohen Ostern“ )
    „Röhliche Weihnachten“ und eine „schöne Bescherung“ (natürlich schöner als die von Hildegard)
    Walter Hilton

  • Walter Hilton - du lässt mich hier so ein wenig sprachlos zurück - was soll diese Geschichte hier in diesem Forum?
    Wir sind kein Forum in das man Geschichten einstellt. Ist es keine Geschichte, was ist es dann und was soll es dann hier?

  • Ulli - ich nehme Deinen Beitrag mal als konstruktive positive Kritik und versuche Dir in diesem Sinne auch zu antworten.


    Das ist KEINE Geschichte, sondern leider die nackte Wahrheit. Es ist meine Art, den Kollegen von der "schwarzen Zunft" fröhliche Weihnachten zu wünschen - also nichts als "Geplauder", wozu ich ja auch auf die dafür zuständige "Spielwiese" (direkt neben dem "Kindergarten") gegangen bin. Das muß niemand wirklich ernst nehmen.


    In den 70ern erntete ich von den privilegierten DDR-Schriftstellern eher solche Reaktionen wie: "Ihre Erfahrungen müßte ich haben..." - kein Wunder bei diesen Leuten aus dem Elfenbeinturm in Wolkenkuckucksheim ("Schreibende Arbeiter" ohne Arbeiter, sozialistische Literatur mit Westlizenz für Devisen etc.).


    Deine Sprachlosigkeit vermag ich nicht einzuschätzen - ich befürchte, verbessert hat sich die Lage seitdem wohl eher nicht...


    MfG


    Walter Hilton