II - warum Missbrauchsszenen und Vergewaltigungen in erotischen Texten vorkommen und ihre Bedeutung haben


  • Dass es einem Markt für Gewaltdarstellungen bis zur Unerträglichkeit gibt, ist schon seit den kreativen Ausschmückungen christlicher Märtyrerlegenden bekannt. Die Frage nach der Funktion, dem Sinn und der Absicht solcher Darstellungen sollte aber genauer hinterfragt werden, erst diese Differenzierungen würde m.M.n. eine sinnvolle Diskussion über Wert und Werte solcher Darstellungen ermöglichen.


    Du übersiehst, das in den Texten des Alten Testaments schon fleißig vergewaltigt und gemordet wird, beispielsweise Genesis 34, 1-31. Diana, Tochter Leas und Jakobs, wird vergewaltigt, worauf - nach bereits ausgehandeltem Sühnepreis - die Söhne Jakobs die komplette männliche Bevölkerung der Stadt ermordeten und Frauen und Kinder entführten. Das geht fleißig so weiter in den biblischen Büchern. Und nicht nur dort. Die Literatur anderer Völker zu dieser Zeit ist ähnlich mit Gewaltszenen durchsetzt. Man kann also sagen, dass die Menschheit, seit sie schreiben kann, eine Freude daran hat, Gewaltdarstellungen zu liefern.

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    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Korrekt.
    Und was den Juden und Christen der doch harmlose Turmbau zu Babel ist, war den Griechen die Schindung des Marsyas , hier schön dargestellt von Luca Giordano . Es ist nun aber relevant, dass Giordano das Gebot, sich besser nicht über einen Gott zu stellen, diese Story malend in die griechische Antike verlegt. Da wird eben kein aus dem Suff erwachter Kommissar Wallander zur gehäuteten Leiche eines kleinen Lohnbuchhalters namens Sven Marsiasson gerufen, die ein Spaziergänger an einem kleinen Fuss im Süden Schwedens gefunden hat und schon vor der eigentlichen Veröffentlichung anhand der Vorbestellungen als Stoff für einen Weltbestseller ausreicht.


  • Ein Motiv für Gewaltdarstellung und -konsum fehlt mir dabei noch: Es ist bequem. Verspritz ein paar Liter Blut, richte den Fokus auf ein paar grausame Details - und jeder hat begriffen, dass es dramatisch ist, Nervenkitzel inklusive. Um so etwas zu finden, brauche ich nur in eigenen Texten zu blättern - und sehe: Es ist billig zu schreiben und klingt dann eben auch so. So erkläre ich mir die dramatische Zunahme an Serienmördern in der Literatur.

    Ich weiß gar nicht, ob es so billig ist :achsel
    Ich neige dazu, dir zuzustimmen. Mit acht Litern Blut im Kühlschrank der Heldin ist es einfacher, den Leser zum Schaudern zu bringen, als mit dem Schatten, der neben dem ihren erscheint.
    Andererseits ist es nicht unbedingt einfacher zu schreiben. Mir persönlich geht das nicht so. Ich muss mich dazu massiv überwinden, meinen Ekel, mein Mitleid ... ich kann mir mit sowas Bauchschmerzen schreiben, wenn es hart auf hart kommt, aber ich weiß auch, dass ich meine Figuren und mich nicht schonen darf. Wenn acht Liter Blut notwenig sind, fließen acht Liter Blut! Basta!


    Zitat

    Siehst Du in der erotischen Literatur eine ähnliche Veränderung? Oder
    war die Beschreibung von Gewalt in den entsprechenden Subgenres schon
    immer ähnlich?

    Das weiß ich nicht. ich beschäftige mich noch nicht lange mit erotischer Literatur und habe es für mich - fürs erste - auch wieder abgehakt. Ich habe das Gefühl, in dem Bereich alles mal gelesen zu haben - war interessant und hat mir viel gebracht, aber inzwischen interessieren mich andere Genre wieder mehr.
    Ich glaube, dass es inzwischen viel einfacher ist, an alle Varianten dieses Genres zu gelangen: Für einen BDSM-Roman musste man früher in den Sexshop gehen oder beim Buchhändler am Tresen bestellen, inzwischen läd man sich den anonym und unsichtbar auf den Reader. Natürlich werde alle Extreme dadurch häufiger konsumiert und angeboten, dadurch fällt das Tabu langsam ab.



    Das ist erst mal positiv, denke ich, auch wenn es neue Probleme schafft, mit denen man dann umgehen muss.
    Ich glaube nicht, dass ich vor zehn Jahren unter meinem Namen Jugend- und Kinderbücher hätte schreiben dürfen. (Ich schreibe keine Kinderbücher, kann ich nicht, aber mein Verlag hätte das gerne. Ungeachtet dessen, dass ich sehr erotiklastige Fantasy-Romances schreibe und ungeachtet dessen, dass mein Erotikpseudonym ein offenes ist.)


    Ob die Romane heute schlimmer oder brutaler sind als damals zu
    Sexshop-Zeiten, weiß ich nicht. Massive Grenzüberschreitungen gab es
    immer: Siehe das Kamasutra, das ich in einer Version kenne, die darüber
    berät, wie man seine Braut beim ersten Mal behandelt, wenn sie noch sehr
    jung ist. Sehr jung bedeutet unter 14.

    2 Mal editiert, zuletzt von Mulle ()

  • So, nun habe ich den geschlossenen Thread noch in Ruhe nachgelesen und fürchte, ihr habt da echt ganz gewaltig aneinander vorbei geredet.
    Ich fasse mal zusammen, was ich verstanden habe:


    Alexandra kann nicht nachvollziehen, warum man in sexuell erregender Absicht beschreiben muss, wie eine Figur vergewaltigt oder gefoltert wird.
    Bei vielen angekommen ist: Alexandra kann nicht nachvollziehen, wie man SM schreiben kann.


    Nur besteht da ein Unterschied: SM basiert auf Freiwilligkeit und auf Vertrauen, alle Beteiligten können jederzeit abbrechen.
    Bei einer Vergewaltigung - und das ist hier das Thema! - ist das Gegenteil der Fall.


    Warum Vergewaltigungen trotzdem einen Platz in der erotischen Literatur haben können (von müssen habe ich nie gesprochen!), ahbe ich zu erklären versucht.


    Dem hier - Zitat Manuela:





    möchte ich widersprechen.
    Du unterscheidest hier E-Literatur von Unterhaltungsliteratur, Manuela. Deine Worte treffen einen Porno, einen erotischen Roman und einen Krimi gleichermaßen.
    Genre haben nicht den Anspruch wie e-Literatur, soweit sind wir uns einig. Ein erotischer Roman kann aber, verglichen mit jedem andere Unterhaltungsgenre dasselbe leisten. Er kann humorvoll unterhalten, zum Nägel kauen spannend sein, die Geschichte und psychologische Entwicklung von Figuren erzählen, ... Wenn er das nicht tut nichts davon tut, handelt es sich entweder um einen schlechten Roman (die gibt es in jedem Genre) oder, unter gewissen Umständen, einfach um einen Porno; der einzig und allein der sexuellen Motivation dient. Und auch das hat seinen Zweck. Gehört nur, meiner Meinung nach, nicht dahin, wo jedes Kind es sich für kleines Geld unkontrolliert auf seinen Kindle laden oder gleich in der Produktbeschreibung durchlesen kann.

  • Einen schönen Nachmittag,
    beim überfliegen und eintauchen in diesem Disput ist mir nicht klar, ob der Ausgangspunkt der Diskussion eine ganz konkrete Szene oder ein ganz bestimmtes Buch war. Es scheint mir aber eher ein Diskutieren im allgemeinen Bereich zu sein, was die Sache äußerst schwierig, laut und verletzend macht. Vielleicht wäre es leichter (wenn auch nicht unbedingt leiser) der oder diejenige, die diese Diskussion angeregt hat, (ich nehme an, es war Alexandra?) die Szene, den Ausschnitt oder das Buch ganz konkret zu benennen, um damit ein direktes Auseinandersetzen am „Schriftstück“ zu ermöglichen. Vielleicht kommt die Sache dann auch wieder in "fachlichere" Bahnen. Alles andere, finde ich, ist ein heilloses Durcheinander an Meinungen und Ansichten die sich auf irgendwelche diffusen Und zumeist völlig verschiedene Dinge beziehen...

  • Liebe Dorit,


    genau dass ist das Problem, wenn ein Thread geschlossen und ein neuer eröffnet wird. Ausgangspunkt war ein bestimmtes Buch und auch wenn hier eine ganz bestimmte Fragestellung diesem neuen Thread vorangestellt sind, kochten die Emotionen bereits so hoch, dass alles munter durcheinander gerät.


    Wobei Mulle sich ja bemüht hat, ganz sachlich an der Ausgangsfrage festzuhalten.

    "Man muss immer noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können." Nietzsche

  • Naja, Ausgangsfrage war weniger ein Buch (das hat Alexandra, von der die Frage ausging, ja nicht gelesen) sondern eher die Frage: Warum bringt man Missbrauch, Folter und Vergewaltigung (bitte NICHT mit freiwilligen SM-Praktiken verwechseln) in einem erotischen Roman unter.
    Wer will das lesen - warum?, und warum schreibt man so etwas?


    Ein bestimmtes Buch war nur der Stein des Anstoßes ... und ich würde es wirklich begrüßen, wenn wir das hier rauslassen könnten.

  • Fernsehkrimis zeigen Mord und Totschlag, und sie tun dies in erster Linie, um zu unterhalten. Wenn es im "Tatort" ausschließlich um Ladendiebstahl - und nicht immer wieder um Mord - ginge, hätte die Serie vermutlich kaum noch Zuschauer. Zuweilen erfolgt diese Darstellung äußerst drastisch und verstörend, verzichtet also nicht auf Details, zeigt sogar nachgerade schockierende Bilder. Das könnte man einem wie auch immer gearteten "Aufklärungsauftrag" zuordnen, und sicherlich gelingt es solchen Serien gelegentlich auch, für "wichtige" Themen zu sensibilisieren, aber als Argument dafür, unschöne Vorgänge zu zeigen (und überhaupt dramaturgisch zu verwenden), wäre das ziemlich halbseiden. Es geht um Kick und Thrill, es geht um Gefühle beim Zuschauer, es geht um Quoten. Mord ist unterhaltsam. Viel unterhaltsamer als Ladendiebstahl, aber auch weitaus "eleganter" und vielschichtiger als beispielsweise alles, was in der Drogenszene geschieht - mit der der durchschnittliche Sonntagabendzuschauer auch überfordert wäre.


    Mit dem Begriff "Erotik" habe ich so meine Probleme. Erotik ist nach meiner Definition etwas, das entsteht, und nicht etwas, das man vorgeben könnte. Erotik ist ein Gefühl, und in diesem Fall eine Reaktion. Wenn also irgendwo Erotik draufsteht, ist das für mich Sex(literatur/film). Gut möglich, dass es Leute gibt, auf die das erotisch wirkt, aber ein Witzbuch ist noch längst kein Lachbuch. Ich habe noch nie ein Witzbuch in den Händen gehalten, über das ich lachen konnte. Und nur wenige Sexbücher, die ich erotisch fand.


    Dies nur am Rande. Wenn also in Sexbüchern drastische Szenen vorkommen, die etwas zeigen, das im richtigen Leben Straftatbestände erfüllen würde, dann geschieht das nach meinem Dafürhalten hauptsächlich, weil man weiß, dass es eine Käuferschicht für derlei gibt. Das macht es weder richtig noch falsch; fiktionale Literatur darf vieles, und man kann Autoren nicht dafür verhaften, was die Leser empfinden (oder gar tun), die diese Texte kaufen und lesen. Man kann den Autoren natürlich ziemlich widerwärtige Effekthascherei vorwerfen, oder gar so weit gehen, ihnen zu unterstellen, sie würden der Neigung zu besonders widerwärtigem Verhalten Vorschub leisten, aber Autoren haften nicht für ihre Leser. Andererseits sei natürlich auch die Frage gestattet, was beispielsweise eine ausführlich beschriebene Vergewaltigungsszene in einem Buch, das ausschließlich sexuelle Praktiken beschreibt (also Pornografie ist), zu suchen hat. Der Autor muss beim Schreiben eine Absicht verfolgt haben. Das wäre geeignet, ihn zu diskreditieren; verboten ist es dennoch nicht, und es gehört auch nicht verboten. Weil es ohnehin nur Fiktion ist. Und weil der "Tatort" eben auch Morde zeigt, an denen sich möglicherweise bestimmte Zuschauer aufgeilen.


    Ansonsten ist das eine akademische und fruchtlose Diskussion. Unterhaltungsprodukte werden hergestellt, weil es Nachfrage gibt. Das meiste davon ist Mist, auf die eine oder andere Art. Salopp gesagt: Die Missbrauchsszene im Sexbuch macht diesen Kohl nicht fett. Ein solcher Text dürfte aber keinen Indizierungsantrag überleben.