ASIN/ISBN: 3518017470 |
Um seinen 50. Geburtstag herum steckte Hermann Hesse in einer heftigen Krise. Sie als Midlife Crisis zu titulieren wäre nicht richtig. Obwohl es so etwas durchaus auch war, steckte bei einem empfindsamen und wachen Geist wie Hesse doch deutlich mehr dahinter. Seine erste Ehe war beendet, wenngleich die Scheidung auch noch auf sich warten lies. Indienreise (1911), Übersiedlung in die Schweiz nach Bern (1913), Kriegsgefangenenfürsorge und Auseinandersetzung mit dem Weltkrieg, die ihm, da er dies öffentlich machte, eine heftige und andauernde Hetzcampagne einbrachte (1914), familiäre Schicksalsschläge, eigene Erkrankungen (ab 1916) und der Umzug in das Tessin (1919) bereiteten sozusagen alles vor für diese persönliche und innere Krise Hermann Hesses um seinen 50. Geburtstag herum. Die Liebschaft und Ehe mit Ruth Wenger trug ebenfalls nicht dazu bei, dass Hesse ausgeglichener wurde. Hinzu kam, dass er obwohl ein erfolgreicher, viel gelesener und gefragter Schriftsteller, finanziell kaum unabhängig war. Die eigenen Lebensumstände, Krieg, Geldentwertung, Weltwirtschaftskrise sorgten u.a. dafür, dass sich kaum ein sicheres Einkommen, geschweige denn ein Vermögen anhäufen konnte.
Nachdem Hesse mit Siddhartha seine Auseinandersetzung mit der indischen Kultur und dem Buddhismus literarischen Ausdruck verliehen hatte, mit Kurgast und der Nürnberger Reise seiner Krankheit und seiner Situation als Dichter in der Öffentlichkeit Tribut gezollt hatte, stand der Steppenwolf an. Bevor Hesse mit der Niederschrift begann, hatte er dies bereits in Gedichten thematisiert, etwa in Steppenwolf
ZitatIch Steppenwolf trabe und trabe,
die Welt liegt voll Schnee,
Vom Birkenbaum flügelt der Rabe,
Aber nirgends ein Hase, nirgends ein Reh!
…
Oder in Ahnungen
Zitat
Manchmal tut mir leid, daß ich dies Leben
Eines Steppenwolfes allzu spät begonnen.
Hätt ich jünger schon mich ihm ergeben,
wär es eine Quelle vieler Wonnen.
…
Unüberhörbar ist das Thema Tod in diesen Gedichten. Kaum eines, in dem es nicht um Sterben oder Tod geht. Manchmal ist es der Lebensekel, der daraus hervorlugt, manchmal die schiere Verzweiflung, manchmal auch die Sehnsucht nach Ruhe oder Schutz vor dem Alltag, dem er nicht mehr gerecht werden kann. Im Im Sterbelied eines Dichters schreibt er:
ZitatAlles anzeigenBald geh ich heim,
Bald geh ich aus dem Leim,
Und meine Knochen fallen
Zu den andern allen,
Der berühmte Hesse ist verschwunden,
Bloß der Verleger lebt noch von seinen Kunden.
…
Wenn er dann wieder auf die Welt komme, bloß nicht als Dichter, denn …
ZitatAlles anzeigenIch aber saufe und fresse,
Heiße nicht mehr Hesse,
Liege bei den jungen Weibern,
Reibe meinen Leib an ihren Leibern,
Kriege sie satt und drücke ihnen die Gurgel zu,
Dann kommt der Henker und bringt auch mich zur Ruh.
…
Mit den »jungen Weibern« hat er es ja überhaupt. Seine zweite Ehefrau (1924 - 1927) war deutlich jünger als er und seine dritte ist es später dann auch. Während er in einzelnen Gedichten das Thema »Altwerden« selbstkritisch abhandelt, drängt es ihn nach Tanz und Abenteuer in anderen Gedichten, wohl merkend, dass es ihm nicht immer gut bekommt. so in Frohe Nacht
Zitat…Jetzt schon bei grauendem Morgen lieg ich im Bette,
Trage Giselas Duft noch blühend in allen Sinnen,
Summe den Shimmy, denke an Fanny und hätte
Nichts dagegen, nochmals diese Nacht zu beginnen.
Oder in Armer Teufel am Morgen nach dem Maskenball
Zitat
Ich hab kein Glück. Zuerst war alles gut,
Sie saß auf meinem Knie und war ganz Glut,
Dann ist sie mit dem Pierrot fortgelaufen,
Und ich, vor Wut, fing wieder an zu saufen.
…
Eher das Selbstmitleid spricht aus Fieber
ZitatAlles anzeigen…
Meiner Geliebten schicke ich viele Küsse
Auf Augen, Mund, Hals, Nacken, Kniee und Füße,
Ich habe sie mehr geliebt, als sie ahnt,
Und habe mehr von ihr gelitten,
Als ich sonst auf Erden zu leiden fand.
…
Und auch in anderen Gedichten kommt dieses Selbstbedauern in dieser Sammlung vor, etwa in Weinerlich, was dann durch Kontraste wie in Der Wüstling oder Morgen nach dem Maskenball wieder neutralisiert wird:
ZitatAlles anzeigenGewissermaßen hattest du ja recht.
Dein dummes Auto knattert um die Ecke,
Indes ich dasteh und die Lippen lecke -
Pfui Teufel, schmeckt die Morgensonne schlecht!
…
Gewissermaßen wünsch ich dir das Beste:
Daß du und er in eurem Fiat-Wagen
Die Hälse brechen und daß eure Reste
Ein Hund beschnüffle … Was ich wollte sagen:
Bleib mir gewogen! Werde mir gestohlen!
Ich geh nach Haus. Der Teufel soll dich holen.
Alkohol war für Hesse in dieser Zeit Ablenkung und Tröster zugleich und wurde nicht in homöopatischen Dosen genommen. Davon sprechen Gedichte wie Besoffener Dichter, Kopfschütteln
Zitat…
Immer weiter tanz ich, fall ich sink ich,
Spiel und Trunk und Wollust hingegeben,
Täglich mehr verkomm ich und ertrink ich
In dem angenehmen Luderleben.
… in Zu Johannes dem Täufer sprach Hermann der Säufer, oder in Cognac
Zitat
Vergebens hab ich allen Cognac ausgesoffen,
Kaum daß ich eine Stunde schlief! …
Hesse nennt diese Gedichtsammlung »Ein Stück Tagebuch« und tatsächlich kann man es als solches lesen. Es kommen auch konkrete Menschen drin vor. Seine (noch) Frau Ruth, seine (schon) Geliebte Ninon, der Abend mit Doktor Ling womit der Psychotherapeut und Jung-Schüler Josef Bernhard Lang, der auch zum Freund wurde in dieser Zeit, gemeint ist. Hesse selbst nennt diese Zeit eine jener »Etappen des Lebens, wo der Geist seiner selbst müde wird, sich selbst entthront und der Natur, dem Chaos, dem Animalischen das Feld räumt«. In einem Nachwort schreibt Hesse am Ende:
Zitat
Liebe Freunde, es ist mir an eurem Urteil nichts gelegen. Viel aber liegt mir an eurer LIebe. Erhaltet sie mir, auch wenn Ihr meine Verse nicht billigt.
1928 erschien die Sammlung als eine kleine Auflage von wenig mehr als 1000 Exemplaren. Inzwischen ist sie in der Bibliothek Suhrkamp in einer eigen Ausgabe und in den Sämtlichen Werken in Band 4 erhalten.
ASIN/ISBN: 3518411047 |