William Gibson: Mustererkennung

  • ASIN/ISBN: 3423209445


    Cayce Pollard, eine junge amerikanische Marken-Spezialistin (eine sogenannte Coolhunterin), bekommt nach Erledigung eines Auftrags in London einen merkwürdiges Angebot. Seit einiger Zeit tauchen im Internet geheimnisvolle Filmclips auf, um die sich schnell ein Kult gebildet hat. Cayce gehört zu den Anhängern dieses neuen Kults. Man tauscht sich in Foren aus und diskutiert über den Urheber und die Intention dieser Filmschnippsel. Ihr Auftraggeber möchte, dass sie herausfindet, wer hinter diesen Clips steckt. Cayce nimmt dieses Angebot an und macht sich auf die Suche.


    Schon im Vorfeld hat es einen Einbruch in die Wohnung gegeben, die ihr von einem Freund zur Verfügung gestellt wurde. Bei Recherchen in Japan wird sie überfallen, kommt aber dank eines Selbstverteidigungstrainings und eines Mannes, der ihr von ihrem Auftraggeber an die Seite gestellt wurde, davon. Einige merkwürdige Figuren, die Cayce in London eher zufällig kennen lernt liefern dann schließlich das Detail, dass sie nach Moskau und zur Lösung des Rätsels führt - nach gut 3/4 des Buches. Dann gibt es aber noch einmal ordentlich Verwirrung, durch Kidnapping und Flucht und abschließend sitzen alle beisammen und fädeln sämtliche Handlungsfäden der Geschichte zusammen.


    Wer Gibson von seine Neuromancer-Trilogie her kennt, betritt am Anfang mit diesem Buch bekanntes Gelände.


    Zitat

    Es ist die matte, gespenstische Unstunde, limbische Impulse schwappen durch die graue Substanz, erratische Regungen des Stammhirns funken inadäquates Reptilienverlangen nach Sex, Nahrung, Betäubung, obwohl im Augenblick nichts davon real verfügbar ist.


    Gleich der zweite Satz erinnert an die Schreibtechnik, die in den 80ern des vorigen Jahrhunderts Cyberpunk genannt wurde. Aber dieser Stil verliert sich schnell. Er ist auf den ersten 50 Seiten noch deutlich vertreten und tritt dann bis zum vollständigen Verzicht hinter die Handlung zurück. Die Hauptperson - Cacye Pollard - wird nach und nach von Gibson deutlich herausgearbeitet, gewinnt an Profil und steht irgendwann nicht nur als Schattenfigur in einer konturlosen Welt - wie bei den Neuromancer-Romanen - da, sondern wird als emotionale Person deutlich, der man die unterschiedlichen Handlungsweisen abnimmt. Ein nicht unwesentliches Motiv in ihren Handlungen ist ihr Vater, ehemaliger US-Geheimdienstmitarbeiter, der am 11.9.2001 in New York einfach verschwand. Auf dieses Ereignis wird mehrfach eingegangen und da der Roman im Jahr 2002 spielt (da wahrscheinlich auch geschrieben) und im Jahr 2003 veröffentlicht wurde, dürfte er sicher zu denjenigen zählen, die als erste dieses Ereignis literarisch verarbeitet haben.


    Das Internet (Gibsons Cyberspace) spielt natürlich eine nicht unerhebliche Rolle. Die Filmclips werden über diesen Weg verbreitet, diese Verbreitung über eine diffizile Verschlüsselung registriert, die Fans finden sich über das Netz in Foren zusammen und immer ist irgendwie und -wo ein Computer zur Hand, um Mails auszutauschen, Leute auszuspionieren und Informationen zu verbreiten. Gibson hat dabei eine deutliche Präferenz für Apple: in der Wohnung in London findet Cayce einen Cube vor und sie selbst ist dann ständig mit einem iBook unterwegs. Als Gegenpol spielen ältere Artefakte der Computergeschichte eine nicht unerhebliche Nebenrolle: die Curta von Hertzstark, eine mechanische Vier-Spezies-Rechenmaschine, die im KZ Buchenwald perfektioniert und nach dem Krieg in Serienproduktion hergestellt wurde - sowie der ZX 81, der kleine Foliencomputer des englischen Computerpioniers Sinclair, der Anfang der 80er Jahre für kaum 400 DM eine nicht unwesentliche Verbreitung fand. Eine Curta führt dann auch im Laufe der Handlung zur richtigen Adresse.


    Das Buch ist nicht der spannende Thriller, als den es auf dem Cover angepriesen wird. Keinesfalls ist es aber langweilig. Wenn man sich an Gibsons Abkürzungen gewöhnt hat (CPUs z.B. sind Cayce Pollards Units - die Klamotten, die sie anzieht) und sich nicht mehr an den vielen Markennamen stört (von denen ich zumindest die meisten nicht kenne - aber sie gehören deutlich zu diesem Buch, da dies der Hintergrund ist auf der diese Story funktioniert) dann liest sich das Buch flüssig und glatt weg.


    Eine empfehlenswerte Lektüre, bei der der Hauch Verschwörungstheorie am Ende so verpufft wie das Unbehagen an der Markenorientierung dieses Romans.


    Was mir allerdings gehörig auf die Nerven ging, ist das Wort Serotonin. Ständig gab es eine Bemerkung zum Serotonin-Spiegel, zum Serotonin-Mangel oder in anderen Kombinationen. Ohne dieses Wort hätte das Buch auch funktioniert, vielleicht sogar noch ein Stück besser.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann