Der/Die kann's besser als ich - Manuskripte von Kollegen lesen

  • Hallo zusammen,


    wem geht's ähnlich? Da liest man das Manuskript (oder schon mal ein paar gerade fertig gewordene Kapitel) eines Kollegen/einer Kollegin und denkt sich: "Oh Mann, dagegen sehen meine Texte nicht wirklich gut aus. Ich bin so schlecht, ich bin ein Blender."


    Was gegen dieses obskure Gefühl des Ich-kann-nix tun? Sollte man überhaupt was tun? Woher kommt's, wohin geht's? Fragen über Fragen.


    Los, sprecht zu mir. Erzählt von Euren Erfahrungen mit den Texten, die Ihr zwecks Meinungsaustausch, Korrektur, etc. von Kollegen bekommt.


    Gruss,


    Bernd

    "Der erfolgreiche Abschluss infamer Aktionen steigert Ihren Bekanntheitsgrad, was für Ihren Feldzug zur absoluten Weltherrschaft unglaublich wichtig ist." (aus dem Benutzerhandbuch des PC-Spiels Evil Genius)

  • Ich denke, das liegt daran, das man sein eigenes Geschreibsel gar nicht wirklich beurteilen kann. Bei fremden Texten sieht man dagegen sofort, was gut ist (und natürlich auch, was nicht). Mir geht es jedenfalls so.

  • Hallo Bernd!
    Ja, wem geht es nicht so? Da liest man mal ein paar Kapitel eines Mitstreiters zur Probe und denkt sich nur noch "WOW!" und ist drauf und dran, seinen Griffel endgültig niederzulegen. Was man dabei oft vergisst: es ist meistens EIN Satz, eine bestimmte Formulierung, die einen aufhorchen lässt. Versucht man das aber nachzumachen, dann merkt man, dass es gar nicht funktioniert, nicht in Deine Story, nicht zu Deinem Stil passt. Und man stolpert über genausoviele Fehlerchen und Dinge, die man selber besser geschrieben hätte. Eine schlaue Freundin von mir meinte mal ganz unbeeindruckt: "Jeder schreibt sein Ding".


    Also nicht neidisch sein, sondern sich über gelungene Sachen anderer Autoren freuen. Sich inspiriert fühlen, aber nicht entmutigen lassen. Neulich hat mich der Stil eines anderen Autoren wirklich nachdrücklich beeindruckt, ich weiß gar nicht mehr, welches Buch das war. Auf jeden Fall fand ich das so toll, dass ich ganz unverblümt versuchte, in meinem MS im gleichen Stil zu schreiben. Es haute hinten und vorne nicht hin, passte weder zum Plot noch zu meinem restlichen Stil. Also gönne ich diesem Autor seinen göttlichen Stil von ganzem Herzen und mache weiter "mein Ding", so gut ich es eben kann.

  • Hallo Bernd,


    darf ich Dir aus meiner Zeit als Journalistin erzählen? Geht das auch?


    Ich habe des öfteren Texte von Kollegen gelesen, bei denen ich dachte: So gut werde ich NIE! Mein Wortschatz ist kleiner, auf die vielen genialen Wendungen wäre ich selber nicht gekommen. Ich schreibe nicht so witzig, nicht so poetisch, nicht so philosophisch. Ich schreibe Durchschnittstexte, und der / die andere ist GUT.


    Manchmal habe ich am nächsten oder übernächsten Tag versucht, diesen Stil zu imitieren (ich wäre doch so gerne eine richtig intellektuelle Journalistin gewesen :D).
    Herausgekommen ist jedesmal ein völlig unausgegorener Mist. Weil ich versucht habe irgendeiner völlig unklaren Vorstellung nachzueifern, was man machen muss, um zu schreiben wie besagtes Idol des Vortags. Meistens habe ich am Ende meine Texte selber nicht mehr verstanden.


    Dann habe ich das Zeug gelöscht und mir gesagt "Schreib es, wie Du es kannst. Offensichtlich gibts ja Leute, denen das gefällt".


    Klingt jetzt banal, aber eigentlich ist das eine der wesentlichen Erkenntnisse, die ich aus solchen Frustrationen mitgenommen habe. Jeder hat seinen eigenen Stil. Sicher, es gibt Leute, die können einfach gar nicht schreiben. Es gibt aber auch Leute, die nicht singen und nicht Malen können.
    Zu denen, also denen, die nicht schreiben können, gehörst Du aber meines Wissens nicht. Es käme also darauf an herauszufinden, was DU kannst, wo Dein persönlicher Stil liegt. Meistems kommt einem der eigene Stil unglaublich durchschnittlich vor, mir geht das zumindest oft so.


    Aber ich glaube, es geht wirklich um diese Standortbestimmung, darum, die eigenen Fähigkeiten, aber auch die eigenen Grenzen zu kennen und letztere zu einem gewissen Grad zu akzeptieren.


    Wer zwar gut, aber nicht wie ... sagen wir mal Thomas Mann schreibt, der sollte es auch nicht versuchen. Wenn er's versucht, wird nämlich aus dem, was vielleicht gut sein könnte, erst richtig Mist. Verständlich ausgedrückt?


    Als fiktionale Autorin wäre ich schrecklich gerne "literarisch", aber ich fürchte, ich muss mich damit abfinden, dass ich einen eingängigen Unterhaltungsstil habe. Schief geht das wohl erst, wenn ich versuche, "mehr" zu sein.


    Ich hoffe, es hat Dir weitergeholfen :)


    Edit: Ich sehe eben, Rockers Antwort geht in eine ähnliche Richtung. Er war nur schneller :D.


    Liebe Grüße
    Anja

  • Zitat

    Original von Anja
    Meistems kommt einem der eigene Stil unglaublich durchschnittlich vor, mir geht das zumindest oft so.


    Exakt, das ist der Punkt. Denn deinen eigenen Stil kennst du im Schlaf, der ist quasi ein Teil von dir. Der Stil von jemand anderem kommt dir evtl. nur deswegen genial vor, weil nicht dein Stil ist, also fremd und teilweise unerwartet. Und du denkst - nicht ganz zu unrecht - so etwas könnte ich nie schreiben ;)


    LG Christian

  • Hello again!
    So, jetzt drehen wir die ganze Sache nochmal andersrum und lassen den besagten gottgleichen Kollegen einen von Deinen Texten lesen, Bernd. Was meinst Du, wird passieren? Wird er eventuell auch zu Hause sitzen und sich die Krätze ärgern, weil er niemals Deinen Stil hinbekommen wird? Glaubst Du nicht? Weil Du keine Probleme hattest, so zu schreiben, wie Du nunmal schreibst? Ergo es jeder können müsste?


    Falsch gedacht! Der Kollege wird sehr wahrscheinlich ebenso unter diesen Neid- und Minderwertigkeitsgefühlen leiden. Weil er nur seinen Stil kann, nicht aber Deinen! Es sei denn, er hat ein übersteigertes Selbstwertgefühl ... was ihn wiederum zu einem schlechten Schriftsteller machen würde. Es ist doch genau dieser Selbstzweifel, dieser ewige Kampf um jedes Wort, der uns wachsen lässt, der uns besser werden lässt.


    Ich bringe seit drei Monaten nur noch gelegentliche Blogeinträge zustande. Glaub mir, ich weiß was Zweifel sind. Und wenn ich aus dieser Krise erwache, werde ich ein litararischer Gott sein! Oder zumindest werde ich wieder annehmbare Texte schreiben, oder so ähnlich ...

  • Ich frage mich das beim Lesen anderer Texte eigentlich nicht. Jedenfalls läuft meine Anerkennung nicht auf so direktem Weg zur äh Komplexbildung. Ich stelle mir beim Lesen weder die grundsätzliche Frage nach meinem Können, noch beantworte ich sie so grundsätzlich mit der Verschiedenheit des Stils. Es sind mehr die kleineren Dinge, die Erzähltechnik, die Dialoge, der Figurenaufbau, der Sprachwitz, etc., die mich beschäftigen.


    Und wenn da etwas sehr elegant umgesetzt ist, einfach gut gemacht, wenn es mir imponiert, dann schau ich schon, wie ich sowas auch erreichen kann. Wichtig ist dabei halt imo, dass man adaptieren nicht mit kopieren verwechselt.


    Den "eigenen Stil" halte ich ehrlich gesagt für eine Phrase. Als ich zum ersten Mal bei den 42ern auftauchte, hab ich in speckigen Bandwurmsätzen geschrieben und dabei einen zähen Adjektivbrei nach dem anderen abgelassen - damals nannte ich das den "eigenen Stil".
    Mit der Zeit hat sich meine Ansicht gewandelt: Es gibt natürlich Unterschiede in der Schreibe, aber die Bezeichnung "eigener Stil" erscheint mir dafür ein bißchen zu überhöht, der Kontrastregler zu übersteuert. Manchmal, so kommt es mir vor, um den eigenen Claim abzustecken, oder gar einzumauern.
    Aber warum nicht beim Buddeln und Goldwaschen ab und zu nach dem Horizont Ausschau halten?


    Gruß ...


    Jo

  • Hallo zusammen, 8) ich ticke da so ähnlich wie jessiter. Einen eigenen Stil gibt es nicht so richtig!
    Ja natürlich, jeder schreibt so gut wie er kann und jeder hat so seine Eigenarten beim Schreiben. Aber da von Stil zu reden ...?

    Zitat

    Wichtig ist dabei halt imo, dass man adaptieren nicht mit kopieren verwechselt.

    Das ist der Knackpunkt. Die Ideen der anderen beeindrucken mich auch immer stärker als meine eigenen (manchmal jedenfalls!) warum das so ist, keine Ahnung. Vielleicht sollte man einen Psychologen zu diesem Thema befragen!! =)


    Auf jedenall ist es enorm wichtig, viel zu Lesen. Denn nur so können wir unsere eigenen Arbeiten verbessern, uns eben weiter Entwickeln.


    Ich Arbeite zur Zeit an meinem neuen Roman. Die Idee trage ich jetzt schon seit gut 15 Jahren mit mir herum, ehe ich nun endgültig damit angefangen habe. Wenn ich mir nun die Planungen von damals mit der heutigen Umsetzung vergleiche ... meine Güte. Da ist ein Gigantischer Fortschritt zu sehen, wirklich!!! :wow


    Und Neid auf andere, dass ist nicht nötig. Dafür seid ihr doch alle viel zu gut ... !!! :dichter

  • Vielleicht zur Verdeutlichung. Mir geht es hier nicht um Neid, sondern um das Gefühl "Wow, das ist viel besser. Was ich schreibe klingt so banal." Das hat wenig mit eigenem Stil zu tun, auch nicht mit fehlender Anerkennung. Ich könnte mir aber vorstellen, dass Christian und Anja weiter oben bereits den richtigen Punkt getroffen haben: Vielleicht ist man zu nah an der eigenen Schreibe, um (außer bei ein paar lichten Momenten) so richtig überzeugt davon zu sein, wie man das eben manchmal bei Texten von Kollegen ist.


    Und dazu gleich eine Anschlußfrage. Von wem lasst Ihr Eure Texte gegenlesen? Breit gestreut, oder nur von ein zwei Leuten?


    Gruss,


    Bernd

    "Der erfolgreiche Abschluss infamer Aktionen steigert Ihren Bekanntheitsgrad, was für Ihren Feldzug zur absoluten Weltherrschaft unglaublich wichtig ist." (aus dem Benutzerhandbuch des PC-Spiels Evil Genius)

  • Jo und Stef,


    ich denke durchaus, dass jeder seinen eigenen Stil hat. Nur erkennen den meistens die anderen besser als man selber. Ich habe auch immer einfach nur geschrieben, bis mir irgendwann Leser gesagt haben, sie würden meine Artikel (häufig, nicht immer) auch ohne Namen erkennen.
    Natürlich darf man nicht einen "eigenen Stil" forcieren.


    Und der eigene Stil ändert sich ja. Es wäre ja fürchterlich, wenn ich heute noch schriebe wie mit zwanzig.


    Liebe Grüße
    Anja

  • Hallo Anja, 8)
    aber ob man das als eigenen Stil bezeichnen kann? Ich weiß nicht so recht ... ist ja auch eigentlich egal.


    Hallo Bernd, 8)
    kann das gut nachvollziehen, dieses Gefühl das der Quatsch den man da soeben zu Papier gebracht hat eigentlich nichts taugt. Aber das Buch von diesem Autor was ich da letztens gelesen habe ... Wau ...!!!!
    Aber das liegt, wie du schon selber gesagt hast, am fehlenden Abstand zur eigenen Arbeit ... würde ich sagen. Noch heute habe ich selber ein verdammt großes Problem, meine Texte vernünftig zu überarbeiten, weil ich es einfach nicht schaffe sie ganz ohne Vorurteile zu Lesen. Beim Lesen rutsche ich nach wenigen Minuten immer wieder in die Rolle des Autors ... X(


    Gegenlesen der Texte! Nun, dass ist ja so eine Sache. Familie und Freunde fallen da schon unter den Tisch weil da die Objektivität fehlt. Bisher habe ich mir immer einen Lektor gesucht, der für mich die Texte gelesen hat, inklusive Anmerkungen!!! :D
    Das geht eigentlich ganz gut ... !!!


    Gruß Stefan

  • Gegenfrage, Stef: Was würdest Du denn dann als "eigenen Stil" bezeichnen? Immer vorausgesetzt, Du gehst grundsätzlich doch davon aus, dass es Autoren mit eigenem Stil gibt. Vielleicht kommt man damit der Sache näher :).
    Ich könnte Dir ad hoc Autoren nennen, die einen ganz unverkennbar eigenen Stil haben.


    Allerdings überlege ich gerade, ob man dieses Thema nicht abspalten sollte. Mit Bernds Frage hat das ja gar nichts mehr zu tun.


    Liebe Grüße
    Anja

  • Bernd: Ich geb zu, dass ich schon ziemlich überzeugt von dem bin, was ich ablasse - deshalb kenne ich das Gefühl wahrscheinlich wirklich nicht. Mein Prob ist eher, dass ich manchmal ein bißchen zu überzeugt davon bin, weil man auf diese Weise auch mal gern gründlich Schiffbruch fährt :down .


    Anja: Das mit den Artikeln überrascht mich ein wenig. Ich bin auch Zeitungsleser, die Stuttgarter Nachrichten + selten die Zeit. Weder bei der Tages-, noch der Wochenzeitung würde ich beim Artikelzuordnen auch nur einen Cent auf mich setzen.


    Wenn du den eigenen Stil so auffasst, also als was dynamisches, könnte ich mit leben, obwohl ich das anders nennen würde.


    Zum Gegenlesen: Also ich lass gerade noch nicht so viel gegenlesen. Euch 42er bei Kurzgeschichten oder Romanauszügen, dann manchmal Freunde, die was von Sprache verstehen oder ein Gefühl für eine gute Story haben, aber selbst nicht schreiben.


    Gruß ...


    Jo

    Einmal editiert, zuletzt von Joachim Off ()

  • ...eigentlich ist alles schon gesagt. Und Anja: GENAU das kenne ich aus meiner Redakteusenzeit auch noch. =)
    Ich lasse mich schnell beeindrucken von Manuskripten von Kollegen. Allerdings sollte man vielelicht an zwei, drei Dinge denken:
    Wie lange hat der Kollege gehirnt, bis ihm diese Formulierungen eingefallen sind? Wieviel Schweiß hats gebraucht? War es wirklich ein Spaziergang?
    Und: warum gibt er mir das Manuskript zum Gegenlesen? Ganz sicher nicht, weil ich ein Depp bin, der nichts kann.
    Und: Der eigene Auswurf ist immer nur eine Rohfassung. Erst wenns durch ein gutes Lektorat ging, ist es fertig.
    Klingt gut, gell. Hilft mir aber auch nicht immer. Ich glaube, das Zweifeln am eigenen Können gehört eben dazu. Das beweist, dass man denkt und lernfähig ist (sollte es zumindest).
    Ich möcht noch einen Satz von meiner Omma nachschieben, die zu sagen pflegte: "Die anderen machen es nicht besser oder schlechter, sie machen es nur anders".
    Zum Gegenlesen: ich habe einen kleinen Kreis von Adleraugen. Der eine kann gut auf den Stil schauen, der nächste auf Grammatik udn Rechtschreibung, der Dritte ist ein allwissendes vielstudiertes Genie. Auf jeden Fall aber weiß ich bei allen Testlesern, dass sie unverblümt sagen, was Schrott ist.
    Liebe Grüße
    Silke

  • Hallo Anja, 8)
    ich denke schon das die ganz großen einen eigenen Stil haben, so zum Beispiel ein P.K.Dick, S.King, E.A.Poe oder ein H.P.Lovecraft (sind nur ein paar ausgewählte.... :wow).
    Bei denen können wir über einen eigenen Stil reden ... doch mit solchen Autoren werde ich mich mit meinem jämmerlichen geschreibsel niemals auf einer Stufe stellen. Ich weiß dass ich da etwas zu Papier bringe, was einigermaßen Lesbar ist ... doch das ist im Moment auch schon alles.


    Einen Namen dafür habe ich leider nicht ... aber ich würde es etwa -Ausdrucksweise- oder -Schreibart- nennen. Stil ist einfach zu hoch gegriffen, Stil ist etwas fest definiertes.


    Und soweit bin ich noch nicht!! Habe ich mich da so einigermaßen verständlich ausgedrückt...? :rolleyes


    Gruß Stefan :baby

  • hallo bernd,


    ich denke dein gefühl spricht dafür, dass du die richtige wahrnehmung hast. denn du erkennst bei anderen das, was du selber nicht kannst. aber jeder hat andere fähigkeiten beim schreiben. somit würde ich davon ausgehen, dass der autor, der dafür deine sachen liest, dasselbe gefühl haben sollte, wenn er auch diese wahrnehmung hat.


    wenn du's nicht so wahrnehmen würdest, könntest du dir schwerlich was bei anderen abschauen.


    viele grüße,
    michael