Günter Grass war bei der Waffen SS?

  • Das jedenfalls las ich heute in einer mitteleuropäischen Tageszeitung.


    Auch vernahm ich aus dem Text, man mache Günter Grass Vorwürfe, dies nicht schon früher und vor vielen Jahren erklärt und zugegeben zu haben.


    Hielt er den Mund aus Scham, bei der Waffen SS gewesen zu sein?


    Oder hatte er Schiß vor einem vermeintlichen Komplott irgendeiner geheimen Bruderschaft, der seiner Schriftstellerkarriere ein vorzeitiges Ende beschert hätte?


    Das fragt sich Reinhard, der Beislwirt aus Bahia


  • Eben gesehen im TV, in seiner Autobiographie, die in 4 Wochen auf den Markt kommt (ein Schelm, wer Böses über das Timing denkt...) schreibt er von "nachwachsender Scham". Tja, so ist das.

  • Zitat

    Original von Lackinger


    Naja, besonders schlau bin ich durdh das Lesen des Interviews nicht geworden.
    Im Gegenteil!
    Jetzt habe ich vielleicht sogar mehr Fragen als zuvor.
    Ob Grass mit diesem Bekenntnis mehr im Schilde führte als mechandising? Ich hege da gewisse Zweifel.


    Weißt du, was mich amüsiert? Dass nun gewisse Rechtslastige, die leider auch in unserem Bekanntenkreis (historisch bedingt) zu finden sind, umdenken werden/müssen. Bisher haben sie von dieser linken Zecke nichts lesen wollen, ob sie sich sein neues Buch kaufen? :evil

  • Einem politisch offenbar zimelich blinden Sechzehnjährigen würde wohl kaum jemand diese unselige freiwillige Meldung ernsthaft vorwerfen. Seine viel zu späte Offenbarung aber kann doch nur die Frage aufwerfen, ob da nicht vielleicht abgewartet wurde, bis Zeitzeugen, die unter Umständen einer bereinigten Lesart widersprechen könnten, dahingeschieden sind. - Frage mich überhaupt, warum die über all die Jahre die Klappe gehalten haben?

  • Man sollte dem Mann nachträglich den Sieg bei der Tour de Nobel aberkennen. 8)


    Ganz gewiß wäre Grass' Karriere anders verlaufen, wäre das von Anfang an bekannt gewesen. Das Bonmot von der "nachwachsenden Scham" ist ein lyrischer Euphemismus für ein (künstlich?) gespaltenes Gewissen. Gerade bei einem lautstarken Sitten- und Moralwächter, der immer, gerne auch ungefragt, den Schnabel aufriß, kann das nicht als Jugendsünde ad acta gelegt werden. Aber es geht hier nicht um Moral oder geschichtliche Aufarbeitung, sondern um die Verkaufszahlen der Autobiographie.


    Ich habe Grass noch nie gemocht, menschlich wie literarisch. Jetzt verachte ich ihn.

  • Zitat

    Original von Tom
    Man sollte dem Mann nachträglich den Sieg bei der Tour de Nobel aberkennen. 8)


    Ganz gewiß wäre Grass' Karriere anders verlaufen, wäre das von Anfang an bekannt gewesen. Das Bonmot von der "nachwachsenden Scham" ist ein lyrischer Euphemismus für ein (künstlich?) gespaltenes Gewissen. Gerade bei einem lautstarken Sitten- und Moralwächter, der immer, gerne auch ungefragt, den Schnabel aufriß, kann das nicht als Jugendsünde ad acta gelegt werden. Aber es geht hier nicht um Moral oder geschichtliche Aufarbeitung, sondern um die Verkaufszahlen der Autobiographie.


    Ich habe Grass noch nie gemocht, menschlich wie literarisch. Jetzt verachte ich ihn.


    Echt, so krass??
    Ich mag seine Graphik. ;)

  • Man sollte sich mal klar machen, dass er als Siebzehnjähriger ganz kurz vor Kriegsende, als Deutschland längst im Chaos versunken war, mal zwei Monate lang mit einer SS-Uniform über die Äcker gestolpert ist. Knapp zwei Monate!


    Was bedeutet das eigentlich? Nichts! Wer kann denn heute, gestern oder morgen von sich behaupten, dass er es anders gemacht hätte, dass er in diesem Alter nicht ebenfalls "empfänglich" gewesen ist u.s.w.


    Ich gehöre wirklich nicht zu denen, die etwas verharmlosen wollen. (Z.b. fand ich die Deutschlandfähnchen während der WM ganz widerlich, weil genau zu spüren war, wie die Hände, die diese Fähnchen an ihren Autos befestigten, ganz gierig waren, endlich wieder mal Fähnchen schwenken zu dürfen - wenn auch nur ganz Kleine für den Anfang)


    Ich finde die Empörung scheinheilig und kann sie nicht nachvollziehen. Natürlich wäre seine Karriere vielleicht anders verlaufen, wenn er es früher gesagt hätte. Und auch das ist wohl ein Zeichen von Schwäche, aber was legen wir da eigentlich für Maßstäbe an einen Normalsterblichen!


    Die Blechtrommel ist trotzdem ein gutes Buch, und dass der Mann, der es geschrieben hat, auch nur ein Mensch mit Fehlern und Schwächen ist, das hätten wir doch eigentlich auch schon vorher wissen können, oder?

  • Huhu, Pearl.


    Zitat

    Echt, so krass??


    Ja.


    @Lyrx: Ein Siebzehnjähriger ist ein Siebzehnjähriger, fraglos. Aber jemand, der zu seiner Zeit als Siebzehnjähriger jahrzehntelang schweigt, um das Lügengebäude seiner moralisch-sittlichen Wächterschaft aufrechtzuerhalten, ist mies.


    It's not the fall that hurts, it's when you hit the ground. (The Caesars)

  • Hallo,


    also jetzt möchte ich auch mal etwas weniger süffisantes in den Thread schreiben.


    Ich finde es nicht gerechtfertigt, Grass Pazifismus und Werk dermassen in den Dreck zu ziehen.
    Es ist undifferenziert und verhältnislos zu sagen, Grass hätte jemanden belogen.
    Ich glaube nichtmal, dass die bloße Information der Öffentlichkeit über seine SS-Zugehörigkeit als Siebzehnjähriger zu einem früheren Zeitpunkt irgendwelche Auswirkungen gehabt hätte.
    Ich bin jetzt nicht für oder gegen die Person, aber die Verumtung liegt nahe, dass der Zusammenhang im Kontext der Information über die Nazizeit und Grass Schaffen offensichtlicher ist, als es die Öffentlichkeit wahrnehmen möchte.
    Dass er geschwiegen hat, um abzuwarten bis mögliche Zeitzeugen gestorben sind, ist übelste Unterstellung - wie kommst Du zu dieser Behauptung, Jutta?


    Einzig der Vorwurf, die deutsche Volksseele mit ihrer mechanischen Naziempörung zu benutzen, um seine Autobiografie verkaufsträchtig in den Vordergrund zu rücken, könnte ich ihm anlasten, wenn es nichts schlimmeres gäbe.

  • Zitat

    Original von Tom
    @Lyrx: Ein Siebzehnjähriger ist ein Siebzehnjähriger, fraglos. Aber jemand, der zu seiner Zeit als Siebzehnjähriger jahrzehntelang schweigt, um das Lügengebäude seiner moralisch-sittlichen Wächterschaft aufrechtzuerhalten, ist mies.
    [


    Hat sich Grass eigentlich jemals selbst als moralisch-sittlicher Wächter empfunden, oder projezieren wir das auch in ihn hinein?


    Warum kann nicht einer, der eventuell viele Wahrheiten ausgesprochen hat, auch mal Lügen?


    Für mich ist es geradezu ein wesentliches Element des Menschseins, dass es das rein Gute eben genauso wenig gibt, wie das rein Böse.


    Das gilt eben auch für Grass! Und deswegen finde ich es eben auch merkwürdig, wenn eine Person als Ganzes demontiert wird, weil sie an einer Stelle versagt hat (Und sogar aufrichtig dazu steht!)

  • Ein kulturelles TeSSto-Pflästerchen, nettes Bild 8)


    Ansonsten habe ich mir nie viel aus Grass gemacht. Ich hab ihn auch kaum als die moralische Instanz oder so wahrgenommen, zu der er jetzt vielleicht auch zu guten Teilen hingebogen wird. Irgendwie scheinen mir wieder mehr die Alten aufeinander ziemlich sauer. Der Walser hat ja schon auf den Ranicki eingeprügelt, dann der Ranicki wieder auf den Walser, jetzt prügelt sich der Fest mit dem Gra-SS und andersherum. Soll heißen: Ich bin im Allgemeinen saufroh, nicht in dieser Zeit geboren worden zu sein, habe genug Haffner gelesen um zu wissen, dass man auch in jungen Jahren das Nazireich durchschauen kann, und beobachte den öffentlichen Streit der Alten mit einem gewissen Schulterzucken, besonders, wenn es wieder mal darum geht, wer von ihnen am Ende doch der beste Deutsche war/ist.


    Gruß ...


    Jo

    Einmal editiert, zuletzt von Joachim Off ()

  • Da fällt mir ein: Ich war früher mal, mit so 13-15 Jahren, des öfteren mit ein paar Skins unterwegs, hab mich ganz gut mit denen verstanden und so. Sollte ich das lieber vor meinem Nobelpreis oder danach zugeben? Was meint ihr?


    Gruß ...


    Jo

  • vielleicht begibst du dich einfach auf die Suche nach diesen Skins, bekehrst sie zu einem schönen gutbürgerlichen Leben (falls sie das nicht schon ohnehin führen) und heftest dir dies als Leistung an die Gutmenschenbrust... :D


    Jaellekatz

  • Zecken sowieso nicht ;)


    Nein, ich hab mich da freiwillig gemeldet und das dann wieder vergessen. Und als die dann das Asylheim angezündet haben, da stand ich zufällig dabei, weil ich mal daheim rausmusste ... keine Ahnung, wie das geschehen konnte :down


    Spaß beiseite: Ich hatte Kontakte, durch die ich daran vorbeikam, eins aufs Maul zu kriegen.


    Gruß ...


    Formationstänzer Jo

  • Zitat

    Original von Tom
    Man sollte dem Mann nachträglich den Sieg bei der Tour de Nobel aberkennen. 8)


    Ich habe Grass noch nie gemocht, menschlich wie literarisch. Jetzt verachte ich ihn.



    Hallo Tom,


    ...deine Subjektivität (wenn ich so sagen darf) macht dich leider blind, es geht da nicht magst ihn oder nein, es geht um sein Werk – man sollte LyrIch von dem „real existierenden Ich“ unterscheiden können...


    Jeder von uns hat seinen Ballast, den mehr oder weniger geduldig / mehr oder weniger verheimlicht mitschleppt - wie du dich moralisch mit Schriftsteller abrechnen möchtest,
    werden wir nur noch mittelmäßige, lokale Autoren lesen...


    ...meine gut sortierte Bibliothek bliebe dann ohne Ezra Pound (sympathisierte italienische Faschisten) , Knut Hamsun (Nobelpreis 1920 – er sympathisierte Hitler), Jorge Luis Borges (Freundschaft mit südamerikanischen Diktatoren sowie mit dem Franco in Spanien), Ivo Andric (Nobelpreis 1961 – kollaborierte mit Deutschen während 2. Weltkrieg),
    deutsche Schriftsteller und Philosophen möchte ich hier nicht erwähnen...und noch viele, viele Andere...


    mit freundlichen Grüßen
    @miro:rose