American Gods von Neil Gaiman

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    American God von Neil Gaiman oder
    Pulp Fiction mit Odin


    Was wäre, wenn die Gebrüder Grimm Speed und LSD genommen hätten? Möglicherweise wäre „American Gods“ 150 Jahre früher erschienen. In Deutschland und nicht in den USA.


    Die Story ist fast so schnell erzählt wie das „Glaubensbekenntnis“ aufgesagt: Shadow wird aus der Haft entlassen und seine Zukunft in der Freiheit könnte gut aussehen. Wären nicht nur – erstens – seine Frau und – zweitens – sein bester Freund – bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Ach ja: Und wäre er – drittens – nicht dem eigenartigen Mr. Wednesday begegnet, der ihn als Fahrer und Bodyguard anheuert. Mr. Wednesday ist Allvater Odin aus der nordischen Mythologie und nicht der einzige Gott in den USA. Denn mit den irischen, chinesischen, japanischen, arabischen, deutschen und was weiß ich nicht für Einwanderer, kamen auch deren Götter ins Land der untergehenden Sonne. Hier verlieren sie zusehends ihre Macht an die neuen Glaubensmodelle. Zum Beispiel Geld, Konsum, Medien, das Internet. Wednesday plant die alten Götter wieder an ihren angestammten Platz zu führen und dazu braucht er Shadows Hilfe.


    Ein Buch das gleichzeitig so was von mies und – man muss das mal so sagen – saugeil ist. (Bitte noch ein „Boah!“ dazu denken.) Ich beginne mit dem Schlechten. Dem Stil. Der Sinn zwischen zwei Punkten schlängelt sich oftmals durch Nebensatzkonstruktionen, denen in ihrer ganzen Länge, manchmal, nicht oft, aber eben manchmal, schwer zu folgen ist. Außerdem ist die Hauptperson stellenweise unglaubwürdig. Shadow wirkt anfangs so, als ginge es ihn nichts an, das seine Frau und sein bester Freund gestorben sind. (Also so, wie in „ernsten“ deutschen Filmen, wo die Schauspieler immer gleich spielen, egal ob sie sagen: „Ich liebe dich“ oder „verpiss dich du dumme Sau“.)


    Am Anfang wird dadurch die Lesefreude getrübt. Allerdings nur im ersten Fünftel, ach was, Siebtel, des Buches. Ich hatte das Gefühl, als hätte entweder Neil Gaiman oder sein Übersetzer Startschwierigkeiten. Diese Schwächen zeigen aber umso deutlicher, wie großartig das Buch ist. Ich sag mal so: Der CIpS10PSQ (Coole-Ideen-pro-Seite-10 –Punkt-Schrift-Quotient) ist unübertroffen. Das geht bei Formulierung los. Beispielsweise sagt der Gott des Computers und des Internets – natürlich ein kleiner dicker Junge – „Gebete sind nichts anderes als blödes Spam, das alle Mailboxen verstopft“ außerdem raucht er „Synthetische Krötenhäute“. (Na gut, vielleicht findet so etwas nicht jeder gut) Aber wie wärs damit: „Schatz, während du es mir besorgst, während du mir dein großes, hartes Ding reinschiebst, würdest du mich da wohl ANBETEN?“ (Prostitution ist nur einer der Berufe, denen alte Götter in diesen Tagen nachgehen müssen, um über die Runden zu kommen). Und was sagen Sie zu: „Im Haus roch es muffig (…) und auch ein bisschen süßlich, so als würden die Geister längst verstorbener Kekse hier umgehen.“ Haha, „verstorbene Kekse“ und „süßlich“ verstehen Sie? Und dann die Szene, wo Mister Town und Mister Road … die ist der Hammer! (steht auf Seite 277). Es ist auch eintrauriges Buch. Um ein Gefühl zu vermitteln: Stellen Sie sich vor, Judith Hermann (Sie hat u.a „Sommerhaus später“ geschrieben und wirkt mit Mitte dreißig schon wie eine viktorianische Offiziersfrau aus dem vorvorigen Jahrhundert, die nichts anderes tut, als darüber nachzudenken, aus ihrem Cricket- oder Bridge-Club auszutreten) – also die wäre vom Geist von Fips Asmussen besessen und schriebe dann ein Buch. So ungefähr jedenfalls. Nee, Fips Asmussen ist dann doch zu sehr unter Niveau. Weiiiiiiit darunter. „Galgenhumor“ ist das richtige Wort. Stellen Sie sich über 600 Seiten Galgenhumor vor. Oder besser: „Die russische Seele“.


    Eigentlich ist das Buch eine Sammlung von kleinen abgeschlossenen Geschichten a la Grimms Märchen, die sich zu einem sinnvollen Ganzen fügen. Ich hoffe, es ist nicht zu viel verraten, das sie beim Lesen einem schwulen Dschinn begegnen werden, der in New York Taxi fährt oder einem liebenswürdigen alten Herren, der am laufende Band grandiose, lustige, zum Brüllen komische Anekdoten erzählt aber irgendwie ein wenig …, nein, das wäre zu viel verraten. Diese Geschichten führen uns sicher wie funkelnde Positionslampen durch die ziemlich "abgefahrene" Handlung.


    Das Buch ist ein Roadmovie durch die Götterwelten alter und neuer Kulturen und der Grund, warum ich mich neuerdings frage, woran ich eigentlich glaube? Damit hat es mehr für mein Seelenheil getan als beispielsweise der Konfirmandenunterricht. Und jetzt möchte ich noch einmal zitieren: „Ich war ein Gott, bevor ich zum Kobold wurde“. Cooler Spruch oder? Ich liebe dieses Buch.

  • Zitat

    Original von Sven
    Ich beginne mit dem Schlechten. Dem Stil. Der Sinn zwischen zwei Punkten schlängelt sich oftmals durch Nebensatzkonstruktionen, denen in ihrer ganzen Länge, manchmal, nicht oft, aber eben manchmal, schwer zu folgen ist.


    Bei solchen Sätzen immer wieder -- aber speziell auch zu derlei Kritik an Gaimans Stil fällt mir prompt Ursula K. Le Guins legendäre Sentenz ein:
    »Teachers trying to get school kids to write clearly, and journalists with their weird rules of writing, have filled a lot of heads with the notion that the only good sentence is a short sentence. This is true for convicted criminals.«
    (Ursula LeGuin, Steering the craft) ;)

    ASIN/ISBN: 0933377460



    Sven, wenn du den Amazon-Link einbinden willst, mußt nu auf den Button über dem Textfeld des Editors klicken und in die dann erscheinende Maske die ISBN (ohne Bindestriche) eingeben. :wink1


    Wenn du im Thread auf den Button über deinem eigenen Beitrag klickst, kannst du auch nachträgliche Änderungen vornehmen.