Jürgen Grässlin: Das Daimler-Disaster

  • Das hätte ein wirklich gutes Buch werden können, die Ingredienzien für einen Wirtschaftskrimi mit realem Hintergrund sind alle vorhanden:


    - das größte deutsche Industrieunternehmen, das seit 20 Jahren eine Katastrophe nach der anderen produziert;


    - kein Mensch will den SMART


    - noch viel weniger Käufer woll(t)en den Maybach


    - die Beteiligung an Mitsubishi war eine Katastrophe


    - die Übernahme von Chrysler kostete Geld und Energie


    - das Flagschiff Mercedes hat seit Jahren Qualitätsprobleme


    - und die Aktie ist seit 10 Jahren hauptsächlich am Fallen.


    All das, die unheilvolle Verzahnung mit der Deutschen Bank und schließlich ein unfähiger Vorstandsvorsitzender hätten die Bühne für ein Wirtschaftsbuch der Sonderklasse abgeben können. Es ist leider keines geworden.


    Was herauskam ist eine polemische Abrechnung zwischen dem Autor (Vorsitzender der kritischen Aktionäre von DC und Schrempp-Biograph), die persönlich-beleidigende Züge trägt.


    Grässlin benennt die Problme richtig, aber er analysiert zu wenig. Ermüdend und repetitiv bleibt er an der Oberfläche stehen. Alle Probleme, ob klein oder groß, sind ein Disaster. Im Gesamtbild unbedeutende Einzelereignisse wie die Geschichte des Spediteurs Schweinle, der durch DC angeblich um Firma und Vermögen kam, werden zu Riesengeschichten aufgeblasen.


    Aber wenn der Autor einmal wirklich analysieren sollte, dann tut er es nicht.


    Beim Maybach vermisst man eine saubere Break-even-Analyse und einen Vergleich mit den Konkurrenten.


    Beim SMART wäre zu analysieren gewesen, wo die Probleme dennn nun wirklich lagen - bei der Zielgruppe? Beim Design? Beim Image? Warum blieb der SMART trotz eines gigantischen Marketingaufwands ein Ladenhüter, während BMW mit dem Produzieren des Mini kaum nachkommt? Beide Autos sind unpraktisch, unwirtschaftlich und überteuert - also warum haben die Bayern den Schwaben die Nase voraus?


    Nicht alles an diesem Buch ist schlecht. Grässlins Kritik an der Umweltpolitik des Konzerns liest sich bedrückend. DC kämpft seit Jahrzehnten in mächtigen Verbänden gegen Rußfilter und Motoren, die weniger Benzin verbrauchen. Die Versuche, durch Lobbying und Klagen Umweltverordnungen weltweit zu verhindern, gehen regelmäßig schief. Wenn die Verordnungen dann trotzdem kommen, hat DC meist nicht die entsprechende Technik anzubieten - siehe Rußfilter.


    Und während Toyota mit dem Hybrid-Antrieb des Prius von Rekord zu Rekord eilt und weltweit Preise einheimst, steht DC auf diesem Gebiet mit leeren Händen dar.


    Stil und Gestaltung des Buches sind nicht viel besser als sein Inhalt. Grässlin schreibt einen hektischen Stil, der polemisch am Inhalt klebt und dem Leser nie ein souveränes Urteil gestattet. Der SMART heißt ständig Bonsai-Benz, der Maybach Bonzen-Benz. Wer das zehn Mal gelesen hat, findet das weniger komisch als der Autor. Dass Grässling mit der Zeitenfolge auf Kriegsfuß steht ("Schweinle behauptete, ihm seien wiederholt Deals angeboten worden, die er nicht annahm" S. 165) und auch sonst kein elegantes Deutsch schreibt, rundet das Gesamtbild nur ab.


    Mir fehlt schließlich der Vergleich mit anderen Industrieunternehmen. Grässlin hätte Jürgen Schrempp mit Jack Welch vergleichen und Mercedes in der Gegenüberstellung mit Toyota und BMW zeigen sollen. Das wäre wirklich intreressant gewesen!


    ASIN/ISBN: 3426272679

  • Zitat

    Original von Th. Walker Jefferson


    - kein Mensch will den SMART


    Ach! Und was sind dann das für kleine Dinger, die mich auf der Autobahn gelegentlich überholen und bei denen ich manchmal - wenn ich sie auf einem Rastplatz wieder entdecke - mühsam S - M - A - R - T entziffern kann?


    :achsel


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Zitat

    Original von Horst Dieter
    Ach! Und was sind dann das für kleine Dinger, die mich auf der Autobahn gelegentlich überholen und bei denen ich manchmal - wenn ich sie auf einem Rastplatz wieder entdecke - mühsam S - M - A - R - T entziffern kann?
    Horst-Dieter


    Nun das sind SMARTs. Aber: DC hat eine Produktionskapazität von 200.000 Einheiten pro Jahr, davon drücken sie etwas mehr als die Häfte in den Markt. Jede Industrieanlage braucht eine Auslastung von mindestens 80% um auch nur den Break-even zu erreichen. Der SMART verliert jedes Jahr ein paar hundert Millionen €.


    Einige wollen ihn also schon - aber viel zu wenige.

    Fare thee well! Thomas W. Jefferson
    I am mad, bad and dangerous.

  • [URL=http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,396714,00.html]Inder sollen Smart retten[/URL]

    Neue Verkaufsgerüchte um die Krisenmarke Smart: Eine führende europäische Auto-Zeitung berichtet, DaimlerChrysler verhandle mit dem Piaggio-Konzern. Die Italiener wollten die Marke kaufen und die Produktion nach Indien verlagern.


    bo

  • Zitat

    Original von bogart
    Neue Verkaufsgerüchte um die Krisenmarke Smart: Eine führende europäische Auto-Zeitung berichtet, DaimlerChrysler verhandle mit dem Piaggio-Konzern. Die Italiener wollten die Marke kaufen und die Produktion nach Indien verlagern.[/I]
    bo


    DC wird SMART ganz sicher verkaufen. Eine Geschäftseinheit, die mehrere hundert Mio. € Verlust einfährt, muss verkauft, verschenkt oder geschlossen werden. Da Dieter Zetsche Jürgen Schrempp ersetzt hat, wird das geschehen.


    Sollen Italiener oder Inder den SMART kaufen. Die werden auch noch dazu lernen. Irgendein Dummer wird sich schon finden, der diese Marketing-Totgeburt kaufen wird.


    Indien hat ja in seiner Verfassung eingeschrieben, dass es ein sozialistisches Land ist. Viellicht ist damit auch gemeint, dass man die Verluste der reichen Länder ausgleicht. Das wäre eine ganz neue Definition der Partnerschaft zwischen Industrie- und Schwellenländern. Auch der Begriff "Schwellenländer" ("Dritte Welt" ist ja politisch unkorrekt) könnte so neu definiert werden. Offenbar sind "Schwellenländer" keine Länder, die die Schwelle zur reichen Industrienation bald überschreiten, sondern im Gegenteil in Sichtweite des Reichtums in Armut vor der Schwelle verharren - ad infinitum. Eine beneidenswerte Perspektive!