Erotik - ja, nein, warum überhaupt und wie?

  • Hallo zusammen,


    wie haltet Ihr das mit der Erotik in Euren Geschichten? Muss Sex ein Bestandteil sein und in bestimmten Genres definitiv in den Roman rein? Wenn ja, warum ist das so?


    Ich habe z. B. im Moment bei meinem Romanprojekt das "Problem", dass u. a. die fehlende Erotik angemahnt wurde - auch mit der Begründung, daß ich bei einem Thriller wohl nicht um so eine Szene herumkommen würde.


    Gruss,


    Bernd

    "Der erfolgreiche Abschluss infamer Aktionen steigert Ihren Bekanntheitsgrad, was für Ihren Feldzug zur absoluten Weltherrschaft unglaublich wichtig ist." (aus dem Benutzerhandbuch des PC-Spiels Evil Genius)

  • Hiho,


    schwere Frage. Ich habe in meinen Büchern bislang immer erotische Szenen drin, allerdings lasse ich gerne rechtzeitig den Vorhang fallen :verleg2
    Im meinen jetzigen Projekt habe ich erst vor vier Tagen eine erotische Szene geschrieben, die sehr viel "expliziter" war, aber m.E. passt das in das Projekt (ob es an der Stelle wirklich passt, werde ich wohl erst in einigen Wochen entscheiden :braue).
    Ich denke, es muss passen. Wenn Sexualität/ Liebe eine Rolle spielt :seren , in welcher Form auch immer (bei meinem aktuellen Projekt geht es nicht gerade um die große, erfüllte Liebe ;), vielmehr spiegeln sich in diesen Szenen andere Probleme, die mein Protagonist mit sich und der Welt hat :schaf), kann man m.E. auch irgendeine erotische Szene einbauen:
    Wohlgemerkt kann, unpassend fände ich es, wenn die Helden in einem Triller vor lauter schießwütigen Gegnern, weltzerstörerischen Verschwörungen und fiesen Schurken kaum mehr aus noch ein wissen, aber zwischendurch immer mal wieder ins Bett hupfen, "weil's dazu gehört".


    Meine zwei Cent :D


    Viele Grüße :pcwink
    Heike

  • Huhu, Bernd.


    Zunächst einmal würde ich Sexszenen und erotische Szenen unterscheiden. Natürlich gibt es Schnittmengen, aber letzteres betrifft die explizite Darstellung (Schilderung) von Sex, wohingegen ersteres eine (aufkommende) sexuelle Spannung betrifft. Man kann erotisch erzählen, ohne Schwänze und Muschis aufzuzählen.


    Erotik rüberzubringen, das ist nicht leicht. Manch einer versucht es mit Versatzstücken oder Allgemeinplätzen, und im Ergebnis ist es unfreiwillig komisch (und mitnichten erotisch). Manch ein anderer baut so lange einer derartigen Szenerie, daß alle Erotik verpufft. Das ist wirklich schwer, und mir fällt auch ad hoc kein Beispiel für prickelnde Erotik innerhalb eines brauchbaren belletristischen Werkes ein, aber ich denke nach. Später oder morgen. :D


    Sex sollte verhältnismäßig sein und der sonstigen Figurenzeichnung entsprechen. Zwei Kneipenkumpels, die sich nur mit "Ey, Alta" anreden, gehen genausowenig zusammen in die Oper, wie ein Pärchen, bei dem das spontane Begehrensfeuer ausbricht, Stunden mit dem Vorspiel verbringt (klar, für alles gibt es Gegenbeispiele und Ausnahmen). Das Mauerblümchen, das "ihn" schließlich kriegt, wird nur in Ausnahmefällen nach knallhartem Analsex schreien. Undsoweiter.


    Und wie "genau", also detailreich man schildert - mmh. "Er drang in sie ein, und sie fanden rasch ihren neuen, gemeinsamen Rhythmus" kann genügen, aber es kann auch Sinn machen - und das sollte es - den "Vorgang" ausführlich zu schildern. Hängt vom Setting ab, von den Figuren, von der Entwicklung. Alles Fragen, die man nicht pauschal beantworten kann.

  • Interessante Frage. Im Grunde genommen ergibt sich die Antwort ganz individuell aus der Geschichte, die du erzählen willst. Genauso wie die Antwort auf die Frage, wie oft deine Figuren sich mit Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, Erholung, Bewegung, Arbeit usw. beschäftigen sollen. Wenn es etwas zur Entwicklung von Charakteren und Handlung zu tun hat -- nur her damit. Und zwar in der Ausdehnung und Ausführung, in der es für diese Aspekte notwendig ist. Auf der Skala von dezentem Ausblenden bis zur expliziten, ja sogar pornographischen Schilderung gibt es viele Möglichkeiten, von denen die angemessenste zu wählen ist, wie Tom bereits ausführte.


    Sex ist eine Körperfunktion wie Essen; wenn man die Aussehen und/oder Tätigkeit von Kiefer, Zähnen und Zunge explizit beschreibt, dann hat das einen Grund, ebenso wie explizite Beschreibungen der Tätigkeiten der anatomisch sichtbaren Geschlechtsmerkmale. Dasselbe gilt für das Innenleben der Figuren beim Anblick von Nahrungsmitteln bzw. anderen Menschen und/oder beim Essen bzw. beim Sex
    Erotik spielt sich im Kopf ab; die "human sexual response" ist eine Fülle physiologischer Aktivitäten des Körpers, die vom Gehirn gesteuert wird, psychologisch gesehen speziell von der Phantasie. Es ist also eine kognitive Tätigkeit. "Erotisch" nennt man Reize, die eben diese "response" auslösen. Das ist individuell sehr verschieden und ohnehin gesellschaftlich und kulturell vorgeprägt.


    Eine Szene kann durchaus erotisch sein, ohne daß eine sexuelle Handlung beschrieben wird, ebenso gibt es Schilderungen sexueller Handlungen, die geradzu bar jeder Erotik sind. Auch das sind zwei Grade auf einer Skala vieler Möglichkeiten.
    Außerdem entspricht der Grad auf dieser Skala, den der Autor gewählt hat, nicht automatisch dem Wirkungsgrad, den es auf den Leser hat, da die Skalen individuell unterschiedlich sind. Es gibt Menschen, die sensibel auf erotische Andeutungen reagieren, und andere, die nur explizite Darstellungen als Erotik bemerken (wieder zwei Grade auf einer Skala voller Möglichkeiten).


    Ich nehme allerdings an, du zielst auf die Darstellung sexueller Handlungen innerhalb einer geschichte ab, nicht auf das Phänomen Erotik. Und da gibt es nur einen Gradmesser: Überlege dir, was deine Geschichte so, wie du sie erzählen willst, braucht, m.a.W.: was für deine Erzählabsicht notwendig und sinnvoll ist -- alles andere überlasse der Phantasie deiner Leser!


    Um herauszufinden, ob die erwünschte Wirkung eintritt, wirst du mit try & error arbeiten müssen: Lege es deinen Testlesern vor und warte die Reaktionen ab.
    Du solltest die Probanden allerdings nicht vorher instruieren, auf was sie achten sollen, denn du weißt ja: Die Versuchsanordnung bestimmt das Ergebnis. :zwinker

  • Hallo, Tom


    Wenn ich da bitte mal kommentieren darf?

    Zitat

    Original von Tom
    Man kann erotisch erzählen, ohne Schwänze und Muschis aufzuzählen.


    Meiner Meinung nach ist das eher ein "Muss" als ein "Kann".


    Zitat

    Original von Tom
    (…) mir fällt auch ad hoc kein Beispiel für prickelnde Erotik innerhalb eines brauchbaren belletristischen Werkes ein …


    Mir schon. Guckst du da oder hier.


    Schöne Grüße von blaustrumpf

  • Zitat

    Original von Bernd
    Muss Sex ein Bestandteil sein und in bestimmten Genres definitiv in den Roman rein? Wenn ja, warum ist das so?


    naja, sex "gehört in einen roman rein" (vermutlich), wenn sexuelle beziehungen dort eine rolle spielen sollen. :P und dann fragt sich noch, ob das erotisch sein *soll*. ansonsten verstehe ich die frage irgendwie nicht. :dumm wieso sollte ein thriller prinzipiell nicht ohne dieses element auskommen können? und zielt deine frage auf die allgemeine publikumserwartung, d.h. den mainstream ab? sex sells? ich würde jedenfalls nie auf die idee kommen irgendwo eine erotische bzw. sexszene einzubauen, nur weil irgendwer meint, das müsse da rein. :sulk entweder es ergibt sich aus der geschichte oder eben nicht.

    Frau: "Warum müssen Frauen immer still sein?"
    Mann: "Weil sie dann länger schön bleiben."
    (Der Hexer, 1964)

  • Zitat

    Original von Berit
    sex sells?


    Haut nach neuern Studien auch nicht mehr so hin wie früher, als Sex noch etwas war, womit man eine ganze Generation schockieren konnte: [URL=http://www.sueddeutsche.de/,wl4/wissen/artikel/43/67975/]Werbung: Erotik ohne Anreiz[/URL] (André Anwar in SZ vom 12.1.2006).

  • Hi Bernd,
    ich blende immer früh ab, bin literarisch eher prüde.
    Aber ich habe definitiv einen Erotik-Tipp: Kirsten Fuchs, "Die Titanic und Herr Berg", das ist explizite Erotik, ziemlich direkt und derb, aber auch immer gleichzeitig die Figuren glänzend charakterisierend. Habe selten jemand gelesen, der so gut darüber schreiben kann (in der expliziten Variante).
    Viele Grüße von Daniel

  • Hallo Bernd,


    ich habe erotische Szenen bisher immer (verweichlicht) umgangen, das ist mir zu heftig, mich da ranzuwagen.


    Als ich zum ersten Mal "Das Aquarium" von Thommie Bayer gelesen habe, bin ich regelrecht rot geworden...Und das in meinem methusalischen (?) Alter ;)


    LG Sarah

  • Weil's zum Thema paßt: Ich habe gestern Abend eine erotische Geschichte fertiggestellt, die im April im Ferienreader "Summerlove" bei Aufbau erscheint:


    ASIN/ISBN: 3746621739


    Mein Lektor hat sie heute bereits korrigiert (und für gut befunden). Es ging darum, tatsächlich "explizit", sogar "drastisch" zu werden. Die Story handelt von einer gelangweilten Ehefrau, die nach Geburt des ersten Kindes vom eigenen Mann alleine in den Urlaub geschickt wird. Sie trägt den Titel "Don Johann". Ich bin recht zufrieden mit dem Ding, aber es war nicht leicht, explizit erotisch zu sein (also ohne Andeutungsebene auszukommen), ohne die Grenze zur Pornographie zu überschreiten. Diese Biege habe ich durch einen recht ironischen Unterton hinbekommen, wie ich hoffe.


    Nunwohl, weil's zum Thema paßte. 8)

  • Zitat

    Original von Berit


    Am Fiesesten ist, dass die Masche auch noch zieht! *g*


    Hauptsache, ihr habt übers Forum bestellt! =)


    Da schau her: Tom mal wieder im Verein mit Selim Özdogan! ;)

  • Zitat

    Original von Bernd


    Ich habe z. B. im Moment bei meinem Romanprojekt das "Problem", dass u. a. die fehlende Erotik angemahnt wurde


    :streichel1


    Der Leser will doch mündig sein, oder?
    Na also. Wenn einer Sex an einer Stelle sucht, wo keiner ist, soll er eben das Buch für eine Weile zur Seite legen und sich welchen besorgen. Ich gehe ja auch nicht her und suche in einem Buch nach Kaffee, wenn ich in Wahrheit welchen trinken will.
    Mich wundert, dass die Verlage ihrer Kundschaft ein so einfaches Konzept nicht zutrauen (aber vielleicht trinken die Leute im Verlag auch nie Kaffee...).


    :braue

  • Erotik und Sex sind fürwahr schwierige Dinge für einen schreibenden Menschen.
    Allzuschnell rutschen einem Schlüpfrigkeiten in die Tasten.
    Mit Gewalt verhält es sich genauso.
    Am treffendsten wirkt es, meiner unbescheidenen Meinung nach, wenn Erotik, Sex und Gewalt erst im nachhinein klar wird... und der Groschen erst beim Schließen der Szene fällt.
    Ich habe immer einen bunten Vorhang parat, oder zeige nur Silhouetten.
    Ein bisserl "österreichischer Schmäh" schadet auch nicht.

  • Grundsätzlich habe ich immer Probleme mit Dingen wenn Irgendwer meint das "MUSS" sein. Das gilt auch für die Erotik.
    Ich finde auch: Wo`s passt, gerne, wo nicht, lass ich sie weg.


    Ebenso verhält es sich mit der Art der Darstellung. Ich habe auch Kurzgeschichten geschrieben, die sicherlich die Grenze zur Pornographie überschritten haben, aber bei denen ging es ausschließlich um dieses Thema.
    Subtiler wird es da in anderen Geschichten, wo eine Andeutung ausreicht.
    Probleme habe ich mit beidem nicht, aber es sollte dem Autor überlassen bleiben, solange er die eigene "Schere im Kopf" unter Kontrolle hat.