Michel Houellebecq: Die Möglichkeit einer Insel

  • Unterhaltsam gescheitert


    Die zynische Fernsehkomiker Daniel hat Millionen damit verdient, in seinen Shows sämtliche Tabus zu brechen, sich über alle Randgruppen zu mokieren und die Grenzen des vermeintlich guten Geschmacks permanent zu überschreiten. Paradoxerweise brachte ihm das eine Kategorisierung als Sittenwächter ein; seine latente Misanthropie erkannte niemand – oder es wollte sie niemand wahrhaben. Nun, mit Mitte vierzig, zieht sich Daniel aus dem Geschäft zurück, und er zieht sich aus dem Leben zurück, als erst die Liebe zu Isabell, der verständnisvollen, wesensnahen Ehefrau scheitert, weil ihr körperlicher Verfall sämtliche Lust vernichtete, und anschließend die zur jungen, promisken Esther, die sich ihrerseits abkehrt, um jüngere Männer zu lieben. Daniel gerät in die Sekte der Elohomiten, die – scheinbar – daran glauben, daß das Menschengeschlecht von Aliens initiiert wurde (eben jene Elohim), daß die Unsterblichkeit technisch machbar ist, aber einen Verzicht auf die Geißel des Seins – die Lust – bedingt.
    In einer Parallelhandlung lesen und kommentieren zwei stoffwechseloptimierte, begehrensfreie Nachfolgeklone Daniels (nämlich Nummer 24 und 25) Jahrhunderte später seinen Lebensbericht (den wir ebenfalls lesen). Die Menscheit ist vernichtet, bis auf wenige Wilde, die in den Ruinen herumgeistern, in denen es immerhin zweitausend Jahre nach dem Kollaps noch Plakate und T-Shirts aus der Jetztzeit gibt. Belanglose Details, denn die dramaturgische und argumentative Verfehlung dieses Buches liegt tiefer.


    Houellebecq ist sicher kein Dummer, aber seine Argumentationsketten wollen trotz aller intellektualisierenden Geschwätzigkeit und einem reichhaltigen Zitatenschatz aus Wissenschaft und Philosophie nicht überzeugen. Daniel1 mit seiner Misanthropie und der Erkenntnis der langfristigen Glücksunfähigkeit des triebgebundenen Menschen wird als Archetyp für eine Zukunftswelt skizziert, aber es scheitert, weil von falschen Voraussetzungen ausgegangen wird. Daniels Lebensbericht, der zynisch, nachgerade bösartig, deprimierend und völlig aussichtslos daherkommt, zeichnet schlußendlich eher das Bild einer manischen Frustamsel als dasjenige eines erkenntnisbeseelten Weltverstehers, gar Propheten. Die sehr symptombezogenen und extrem subjektiven Mini-Essays, die Daniels Lebensbericht immer wieder durchsetzen, befassen sich weder kategorisch, noch individuell mit Ursachenforschung, aber sie tun, als ob. Der Protagonist, den man noch mehr als in den Vorgängerbüchern für ein Alter Ego des Autors halten muß, steigert sich in wortreiche Anklagen gegen alles und jeden, gegen Sozialstrukturen, Zivilisation und Fortschritt, sucht aber das Problem nie bei sich selbst – wo es in großer Offenkundigkeit zu finden ist. Der Projektion fehlt das Subjekt.


    Nichtsdestotrotz liest sich „Die Möglichkeit einer Insel“ über weite Strecken recht gut und versöhnt zuweilen sogar mit seinem widerwärtigen Vorgänger „Plattform“, weil gelegentlich Empathie zum Helden aufkommt. Einige Absätze, Formulierungen und Argumentationsfolgen sind fesselnd, interessant, sogar erhellend; diese bleiben aber in der Minderheit. Die Majorität besteht – wie gehabt – aus haßtriefenden, aufgesetzten und wissentlich falschen Behauptungen, Anmerkungen und Beobachtungen, die einer Weltsicht entspringen, um die man Houellebecq sicherlich nicht beneiden muß. Zudem nervt das Buch zuweilen durch seine zähe Dramaturgie, gegen Ende wird es schlicht langweilig.


    Fazit: Der Versuch, mit der Gesellschaft, mit Religion, Popkultur, Zivilisation und „menschlichem“ Miteinander abzurechnen, ist gescheitert, aber die intelligenteren Passagen und durchaus gefühlvollen Selbstbetrachtungen retten „Die Möglichkeit einer Insel“. Wenn man die überzogen provokanten Abschnitte mit dem nötigen Abstand reflektiert und manch eine Fußnote augenzwinkernd überliest, bietet das Buch durchaus einen gewissen Lesespaß, vorausgesetzt, man nimmt es nicht allzu ernst.


    ASIN/ISBN: 3832179283

  • Sorry Tom,


    aber über diese Rezension kann ich mit Verlaub nur leise kichern. "Möglichkeit einer Insel" ist zwar nicht der stärkste Roman von MH, da bleibt "Elementarteilchen" sicher unerreicht, aber von Scheitern kann keine Rede sein. Im Gegenteil, der Roman ist stringent, natürlich aus der misanthropischen Weltsicht des Autors, der den Protagonisten aus seiner Sicht sprechen lässt. Dass gewisse schonungslose Wahrheiten, die MH immer wieder ausspricht, schwer zu ertragen sind, spricht eher für als gegen ihn.


    Auch das "widerwärtige" an "Plattform" kann ich nicht nachvollziehen. Der ist schon eher prohetisch zu nennen (siehe Terroranschläge auf Bali!).


    Tschuldigung wenn ich es so hart sage, aber von Scheitern sprechen meistens diejenigen, die es selbst nicht hinkriegen.


    Naja, MH polarisiert und das ist auch gut so.


    Lieben Gruß
    Gerd

  • Hallo, Gerd.


    Zitat

    Dass gewisse schonungslose Wahrheiten, die MH immer wieder ausspricht, schwer zu ertragen sind, spricht eher für als gegen ihn.


    Mit Verlaub, es spricht eher gegen gewisse Leser, daß sie hier "Wahrheiten" vorzufinden glauben.


    Zitat

    Auch das "widerwärtige" an "Plattform" kann ich nicht nachvollziehen. Der ist schon eher prohetisch zu nennen (siehe Terroranschläge auf Bali!).


    Sprachlich und dramaturgisch armselig; inhaltlich mediokrer Dünnschiß. Was natürlich Geschmackssache ist. =)


    Zitat

    Tschuldigung wenn ich es so hart sage, aber von Scheitern sprechen meistens diejenigen, die es selbst nicht hinkriegen.


    :rotfl2


    Selbstverständlich. Allerdings habe ich mich nie im Wettbewerb mit Houellebecq gesehen. Wozu auch? Er besetzt den Posten des selbstbezogenen, ignoranten Aufrührers auf dem (vermeintlichen) Vernichtungsfeldzug recht gut, und auf den Job bin ich auch nicht scharf.


    Polarisieren? Ich fühle mich nicht polarisiert. Jedenfalls nicht mehr als bei Easton-Ellis oder meinetwegen Matthias Praxenthaler. Polarisiert werden möglicherweise jene, die nicht verstehen, daß es um Unterhaltungsliteratur geht, um Kunstprodukte, bei denen der Verkauf im Vordergrund steht, und nicht die Bekehrung der Leser.

  • Hi Tom,


    du amüsierst mich immer mehr. Hätte gar nicht gedacht, dass du dich so aufregen kannst. "armeslig" finde ich ganz andere Sachen.
    Ich freue mich für MH, dass er damit reich geworden ist. Und ich fühle mich auch keineswegs bekehrt.
    Ihn zu lesen lohnt sich und da gehört er zu einer seltenen Spezies.


    Gruß
    Gerd

  • Huhu, Gerd.


    Freut mich, Dich zu amüsieren. Meine Aufregung hält sich allerdings in Grenzen - sie geht sogar gegen Null. Über Bücher zu streiten, die andere geschrieben haben, das hat kategorisch viel mit Religions- und Glaubensdiskussionen gemein: Selten von Erfolg gekrönt, da die wiedergegebene Meinung dem Leseeindruck entspringt, und der läßt sich im Nachhinein selten ändern.


    MH schreibt sicherlich interessante, originelle, unkonventionelle Bücher, aber letztlich reitet er auch nur eine Masche, wie andere vor und mit hoher Wahrscheinlichkeit noch mehr nach ihm. Jedenfalls ist das kein Thema, an dem ich mich tagelang festbeißen müßte. Dafür gibt's zu viele und zu viele gute - bessere - Bücher. M.M.n. 8)

  • Zitat

    Original von longjog70
    Dass gewisse schonungslose Wahrheiten, die MH immer wieder ausspricht, schwer zu ertragen sind, spricht eher für als gegen ihn.


    Was sind eigentlich diese "schonungslosen" Wahrheiten und "Widerwärtigkeiten"?


    sorry, ich habe nur ein Buch von ihm gelesen, das einzige, was ich da in Erinnerung behielt, war ein studienrat mit feuchten, aber nicht sehr aufregenden Fantasien (waren die Fantasien schonungslos? Oder widerwärtig? Wohl eher albern und gewöhnlich) und dass es sich leicht lesen lies, aber eigentlich nichtssagend war. Ein wenig so, wie Toms Rezi klingt.


    Dann kam die Aufregung, die "Bücher" um eins von MHs Werken veranstaltete (sie ernannten es zum überflüssigen Buch, weil was über Sex drin stand, was sie nicht mochten. Was, weiß ich nicht mehr, war ziemlich albern, der Artikel).


    Hans Peter, der die Aufregung nicht ganz versteht. Oder ist MH doch der King einer neuen Sekte?

  • Hallo, Hans Peter.


    Zitat

    Oder ist MH doch der King einer neuen Sekte?


    Ich habe mein Exemplar von "Die Möglichkeit ..." leider nicht hier, aber ich hatte einige Seiten markiert, auf denen Behauptungen aufgestellt werden, die mit den folgenden (sinngemäß, nicht wortwörtlich) zu vergleichen sind: Es geht, zum Beispiel - wie so oft - um Sex mit Jugendlichen; Houellebecqs Protagonist vertritt die Ansicht, daß Sex mit Menschen straffrei und üblich sein sollte, sobald diese die Pubertät verlassen haben. Nach der Adoleszenz wäre die sexuelle Reife gegeben, und somit auch die Notwendigkeit, Geschlechtsverkehr zu haben, und zwar nicht nur mit seinesgleichen (altersmäßig). Außerdem führt Houellebecq aus, daß unsere Gesellschaft - zuvorderst die Medien - mehr und mehr mit dem Bild des begehrlichen, "knackigen" Jugendlichen arbeitet, es aber zugleich denjenigen, die diesem Begehren nachgeben möchten, dramatisch erschwert, sogar verweigert, dies auf legalem Wege zu tun. Irgendwo heißt es da lapidar "Heutzutage hat jeder schon einen Prozeß wegen Pädophilie hinter sich." Was er zu sagen versucht, das läßt sich vereinfacht so ausdrücken: Die immanente Triebhaftigkeit wird sinnloserweise einem völlig bedeutungslosen sozialen bzw. zivilisatorischen Prozeß geopfert, und damit auch jeder einzelne, dem das Ausleben dieser Triebhaftigkeit verwehrt wird - zu seinem großen Unglück, und das ist der Kern der Sache. Die Argumentationsketten, die zu solchen Schlüssen führen, sind durchaus intelligent aufgebaut, und ich verstehe auch, daß es Leute gibt, die derlei zustimmen - übrigens ohne sie dafür zu verurteilen. Aber die Ausgangslage, die Basis für diese Betrachtungen, ist m.E. (sogar objektiv) falsch, weil Houellebecq einfach die Sicht auf die Dinge umkehrt, Ursache und Ergebnis vertauscht. Die Gründe für die Ächtung des Geschlechtsverkehrs von Erwachsenen mit Heranwachsenden und Minderjährigen liegen in einem kollektiven Lernprozeß, der Erkenntnis des Schadens, der durch derlei angerichtet wird; die Freiheit des einzelnen findet seine Grenze in der Freiheit des anderen, wofür der Freiheitsbegriff aber verstanden werden muß (und das ist eben erst ab einem gewissen Alter, zugegeben ab keinem festsetzbaren, gegeben). Der Verzicht (und es ist ja nicht für alle männlichen Menschen, um die es in der Hauptsache geht, ein wirklicher Verzicht) hat eine Gesamtentwicklung erkauft, die eine freiere, glücklichere Entfaltung des Systems und seiner Individuen ermöglicht, ohne daß jene wirklich geschädigt würden, die verzichten müssen, da es befriedigenden Ersatz zuhauf gibt. Anders gesagt: Man stirbt nicht daran, kein Kind beschlafen zu dürfen.


    Solche Beispiele finden sich en masse. Das Tier Mensch, von dem Houellebecq so gerne und so lange redet, das existiert nicht mehr, wenigstens nicht mehr in dieser Form. Das plakative Marktgeschreie vom Menschen im Zivilisationskorsett, das sein Menschsein verhindert, formuliert eine reizvolle, aber trügerische (und auch nicht sonderlich neue) These, die viele andere längst - und weitaus klüger - widerlegt haben. Aber, wie gesagt: Ich kann auch nachvollziehen, daß es Leser gibt, die atemlos nickend bestätigt sehen, was sie schon immer als Ursache für das persönliche Unglück empfunden haben. Insofern hat den Einwurf mit dem Sektierertum was für sich: Einfache Antworten, augenscheinlich fundiert formuliert, haben schon immer Anhänger gefunden. Man könnte, wenn man wollte, Houellebecq als den Coelho des gebildeten Mittelschichtlers bezeichnen.

  • Weiter so, das wird ja immer besser. Tom, wenn du weiter so machst, sage ich bald Iris Radisch zu dir, die stößt ins gleiche Horn, wenn es um MH geht.


    Ich gehöre weder einer MH Sekte noch sonst einer Sektiererei an. Ich kenne keine Stelle bei ihm, wo er zu Sex mit Minderjährigen aufruft o.ä.


    @hpr: ich habe nicht von widerwärtig gesprochen, das war Tom. Schonungslose Wahrheiten hingegen gibt es zuhauf, lies einfach mal.


    Tom: Und der mit dem "gebildeten Mittelschichtler" war auch sehr gut.
    Aber du hast recht, streiten über die Romane anderer bringts nicht auf Dauer, zu sehr Geschmackssache.


    Eins würde mich brennend interessieren: Die "besseren" Bücher, von denen du sprichst. Oder deine Lieblingsbücher dwer letzten 10 Jahre. na wie wärs?
    Raus mit der Sprache.


    Gruß
    Gerd

  • hallo tom,


    ich habe zwar das aktuelle MH werk nicht gelesen, will mich aber dennoch zu denjenigen gesellen, die eine lanze für ihn brechen.


    die plattform fand ich gar nicht unappetitlich. lesen heißt für mich in andere welten einzutauchen, v.a. in solche die einem im realen leben nicht so zugänglich sind. ich kann daher ein zynisches buch sehr gut finden, ohne mir seine inhalte und ansichten zuteil machen zu müssen. MH verdeutlicht sehr schön wie auch eine gedankenwelt, die viele verteufeln, in sich geschlossen und konsistent sein kann. er treibt viele aktuelle entwicklungen auf die spitze und ich bin mir nicht mal sicher was seine intention dabei ist. er zeigt wie gut menschliche abgründe mit alltäglichem zusammenpassen, wenn sie als maskierte normalität daherkommen.


    was ich bei MH etwas albern finde, ist, dass alles immer im GLOBALEN inferno enden muss. so hätte ich die schriften des protagonisten in "elementarteilchen" lieber unspektakulär am straßenrand verschimmeln und das paar in der plattform an banalen beziehungsproblemen scheitern lassen statt in einem großen attentat zu sterben.


    sein neues werk muss ich vielleicht nicht mehr lesen, weil sich diese muster abnutzen, wenn sie sich wiederholen.


    viele grüße,
    michael

  • Hallo, Michael, hallo, Gerd.


    Um nicht falsch verstanden zu werden - ich lese Hullebeck =) ja gerne, sonst hätte ich nicht alle Bücher gelesen ("Elementarteilchen" ist tatsächlich das beste), aber inhaltlich ist vieles absoluter Schrott, und "Plattform" m.E. sogar vollumfänglich. Das ändert nichts daran, daß der Mann fantastisch schreiben kann und ganz sicher intelligent ist.


    Wo allerdings sind die "Wahrheiten" bei solchen Abschnitten zu suchen?


    (Es geht um vierzehnjährige Mädchen, Seite 72):


    "... und dennoch wäre jeder Mann um die Fünfzig bereit gewesen, für irgendeinen dieser jungen Körper Geld zu zahlen, viel Geld, und sogar seinen Ruf, seine Freiheit, ja sein Leben aufs Spiel zu setzen. Wie einfach doch das Leben war! Und wie ausweglos! [ ... ] Zu jener Zeit wurde das Jugendschutzgesetz verschärft und insbesondere der Sexualverkehr mit Minderjährigen mit immer höheren Strafen geahndet; die Forderung nach medikamentöser Kastration wurde immer lauter. Die sinnliche Begierde bis ins Unerträgliche zu steigern und deren Befriedigung immer mehr zu erschweren, das war das Grundprinzip, auf dem die westliche Gesellschaft basierte. [ ... ] Ich bildete mir nicht ein, daß ich mich den Gesetzen der Natur entziehen konnte; die Tendenz zur Abnahme der erektilen Fähigkeiten des Penis, der Notwendigkeit, junge Körper zu finden, um diesen Mechanismus zu bremsen ..."


    Undsoweiter. Der dieserart zitierfähigen Absätze gibt es viele. Liest sich interessant, hat einen hohen Provokationsfaktor, ist aber inhaltlich völliger Quatsch, wenigstens nicht allgemeingültig - und weit, weit davon entfernt.


    @Gerd: Meine Lieblingsbücher der letzten zehn Jahre? Kriege ich nicht zusammen, aber hier wenigstens einige, die mich in den letzten zwei, drei Jahren sehr beeindruckt haben:


    Matt Ruff - Ich und die anderen
    Philip Roth - Sabbaths Theater
    Don DeLillo - Unterwelt
    John Updike - Erinnerungen an die Zeit unter Ford
    Eckhard Henscheid - Geht in Ordnung ... sowieso ... genau
    Frank Schulz - Morbus Fonticulli oder Die Sehnsucht des Laien
    Thomas Bernhard - Der Atem
    Rainald Goetz - Irre
    Dan Simmons - Die Hyperion-Gesänge


    usw.

  • Hallo Tom,


    ich muss dir recht geben. Bei dieser Stelle ist es selbst mit MH durchgegangen. Aber selbst hier ist er meineserachtens stringent in seiner Argumentation: es geht um die Vergänglichkeit des Körpers; um die Lust, die trotz zunehmendem Alter nicht zu bändigen ist; darum, dass "junge Körper" scheinbar unerreichbar werden; dass sexuelle Leistungsfähigkeit abnimmt; um den Verdruss darüber usw. Das ist schon eine bittere Wahrheit, mit der wir uns alle auseinandersetzen müssen und MH verarbeitet sie (und viele andere) auf provokante Art und Weise.

    Danke für die Bücherliste: Philipp Roth, DonDeLillo und Updike sind großartig, wobei ich für Sabbath Theater noch zu jung bin! (aber allein schon der erste Satz!) Goetz ist mir etwas zu irre. Bernhard hab ich lange nicht mehr gelesen. Henscheid, Schulz, Ruff und Simmons kenne ich nicht, werde ich aber nachholen und bin gespannt.
    Neigst du zu amerkianischen Autoren oder ist das erst die letzten Jahre so?


    Gruß
    Gerd

  • Hallo, Gerd.


    Zitat

    Das ist schon eine bittere Wahrheit, mit der wir uns alle auseinandersetzen müssen und MH verarbeitet sie (und viele andere) auf provokante Art und Weise.


    Immerhin gibst Du mir teilweise recht. Und ich verneine nach wie vor die Prämisse des Romans, die da lautet: Der Verlust der Lust und der Möglichkeit, sie entsprechend (siehe Zitat) zu befriedigen, stellt die Niedergang des individuellen Menschseins dar. Mit Verlaub, das ist m.E. schlicht Unfug - den MH zwar virtuos beweist (innerhalb des Romans), der dadurch aber eben nicht zur Wahrheit wird.


    Zitat

    Henscheid, Schulz, Ruff und Simmons kenne ich nicht, werde ich aber nachholen und bin gespannt.


    Henscheid ist ein Faktotum der sog. "Frankfurter Schule", der u.a. Gernhard und Waechter angehörten, seine Romane sind etwas seltsam, aber unglaublich komisch und jedenfalls originell. Schulz hat mit "Kolks blonde Bräute" und "Morbus Fonticulli" den deutschen Kneipenroman auf Literaturniveau gehoben. Ruff ist eigentlich ein Fantasy-Autor, der mit "Ich und die anderen" einen zauberhaften Roman über Bewußtseinsstörungen vorgelegt hat. Simmons ist m.E. der mit Abstand beste lebende Science-Fiction-Autor, auf dessen Fortsetzung zu "Ilium" ("Olympos", erscheint im Januar) ich händeringend warte.


    Was ich ansonsten so - querbeet zumeist - lese, kannst Du den "Buchtips" auf meiner Site (siehe Link in der Signatur) entnehmen. Bei SF/F gibt es m.M.n. wenige deutsche Autoren, die den Amis und Engländern das Wasser reichen können; eine Meinung, die mit Schrott wie "Phainomenon" von H.D. Klein unterfüttert wird. Die großen amerikanischen Erzähler wie Roth, Updike, Pynchon, DeLillo usw. haben kaum Pendants in Europa, allerdings nutzt sich diese Familiensache langsam etwas ab; Roth' letzten ("Verschwörung gegen Amerika") fand ich eher schlecht. Deutsche Autoren wie Juli Zeh, Karen Duve, Frank Schulz und andere lese ich sehr gerne, auch Bücher von Leuten, die sich der Unterhaltung widmen, wie Wiebke Lorenz usw.

  • Hi Tom,


    Juli Zeh ist meine letzte große deutsche Hoffnung. "Spielrieb" ist schoin großartig, aber ich bin sicher, da kommt noch mehr. Kennst du die Romane von Cormac McCarthy (Trilogie: All die schönen Pferde, Grenzgänger, Land der Freien; vorher Verlorene und Abendröte im Westen)? Den sollte man nicht unterschlagen, wenn man von Amerikanern spricht.
    Science Fiction und Fantasy bin ich sehr unbedarft, ist einfach nicht mein Ding. Bin sogar an Herr der Ringe gescheitert, zu langweilig.


    Danke nochmal für die Tipps


    Gerd

  • Hallo, Gerd.


    Zitat

    Kennst du die Romane von Cormac McCarthy


    Bis dato nicht, ist aber notiert. Ich lese als nächstes das hier; "Alles was du brauchst" gehörte auch zu den Büchern, die mich in den vergangenen Jahren ziemlich gepackt haben:


    ASIN/ISBN: 3803131960

  • Zitat

    Original von longjog70
    Juli Zeh ist meine letzte große deutsche Hoffnung. "Spielrieb" ist schoin großartig, aber ich bin sicher, da kommt noch mehr.


    Dieses Buch war m.A.n. literarisch der totale Reinfall. Solch eine Sprachwucht, und dann weitgehend Platitüden -- das hat wehgetan nach Adler und Engel und Die Stille ist ein Geräusch! Wenn sie auf dieser Schiene weitermacht, ist ihr allerdings zumindest die Aufmerksamkeit der Medien sicher.

  • Dieses Buch war m.A.n. literarisch der totale Reinfall.


    Für mich ist es eines der besten Bücher des letzten Jahres. Und was man JZ bestimmt nicht vorwerfen kann ist, dass sie für die Medien oder die Masse schreibt, viel zu intellektuell. Aber ihre Kunst besteht darin, trotzdem witzig und klug zu schreiben. Reinfälle sind jedenfalls was ganz anderes.


    Gruß
    Gerd

  • Zitat

    Original von longjog70
    Und was man JZ bestimmt nicht vorwerfen kann ist, dass sie für die Medien oder die Masse schreibt, viel zu intellektuell.


    Wolltest du mich jetzt in die Massenkiste stopfen? =)

  • Aber nein,


    dachte nur weil du die Medien ins Spiel brachtest. Medien schaffen zwar eine breite Öffentlichkeit, aber helfen zur Vermarktung eines Produktes nur dann, wenn es massentauglich ist. Und das ist Spieltrieb sicher nicht. Ich denke, ca.98% aller Leser schaffen die ersten 20 Seiten nicht.


    Aufmerksamkeit in den Medien ist zudem bei einer Frau wie JZ doch eh garantiert, gerade nach dem Erfolg mit Adler und Engel, egal was sie schreiben würde.


    Gruß
    Gerd