Weihnachten droht und ihr müsst schenken

  • Liebe Freunde,


    und wieder ist ein Jahr vorüber, die Galaxien dehnen sich aus, das Universum rast auseinander, Gott hat seine Schöpfung schon lange nicht mehr im Griff und grollt nun irgendwo hinter dem Andromedanebel. Und in all diesem kosmischen Gedöns kommt nun auch noch Weihnachten. Wie jedes Jahr rasen wir auch dieses Jahr wieder ein Jahr dem Tod entgegen.


    Vor dem Tod müssen allerdings noch Geschenke besorgt werden, denn a) war das schon immer so, b) ist das auch noch heute so, c) ist die Binnenkonjunktur ohnehin total im Eimer und d) werden wir, wenn wir nichts schenken, noch weniger geliebt als ohnehin schon. Also schenken - nur was?


    Die bedauernswerten Idioten unter uns die, wie ich, die Süddeutsche Zeitung hartnäckig abonniert haben, finden da ja jedes Jahr eine Riesenliste der SZ-Redakteure, in der die Bücher und CDs vorstellen, die sie selbst nicht gelesen/gehört haben, die aber irgendwie eindrucksvoll klingen und bei den Verlagen sowieso nur rumliegen.


    Diese Bücher, wie gesagt, gibt es in der SZ, also brauche ich sie hier nicht mehr vorzustellen, also stelle ich Euch einige Nebenwerke des Kunsthandwerks vor, die mir in diesem Jahr ganz gut gefallen haben:


    1. Die Beethoven-Klaviersonaten mit Gulda


    Gulda - Beethoven


    Beethoven, fleißig wie er war, hat 32 Klaviersonaten geschrieben. Ihr kennt natürlich immer nur die Mondscheinsonate, und daraus auch nur den ersten Satz, selbstverständlich in der legendären Aufnahme von Richard Clayderman. Es gibt aber noch 31 weitere Sonaten – und die sind alle hörenswert. Und es gibt auch noch andere Pianisten als Richie C.


    Und nun gibt es alle Sonaten und die fünf Klavierkonzerte in einer der Standardaufnahmen des 20. Jahreshunderts mit dem österreichischen Pianisten Friedrich Gulda für – ich darf das gar nicht schreiben – 20 Euro. Ich habe die Sonaten (ohne die Klavierkonzerte) mit 16 für 109 US$ bei Rose Records in Chicago gekauft und damals (1977) konntest Du in Chicago für 50 US$ ein Auto kaufen. Den Aufnahmen merkt man an, dass sie aus den 60er Jahren sind, der Flügel klingt im Diskant metallisch und zu hart und die Bässe könnten auch sonorer sein, aber a) merkt Ihr das gar nicht und b) ist es im Bereich des Tolerablen.


    2. Bruce Springsteen: The Ghost of Tom Joad


    Bruce


    Das war für mich eine Überraschung: dass Springsteen so ein schönes, sanftes, balladeskes Album aufgenommen hat. Das ist ein Unplugged-Album mit 11 leisen, zarten Liedern über amerikanische Alltagsmythen. Es sind Lieder, die von einem Vietnamesen erzählen, der für die Amerikaner in Vietnam gekämpft hat und nun in Texas lebt, von der Eisenstadt Youngstown in Ohio, wo nichts mehr läuft, und von einem Typen, der seinen Ehekonflikten aus dem Weg geht, indem er Appaloosas (eine Pferderasse) trainiert. Bisschen konservativ, patriotisch, aber das ist Bruce ja immer, aber hier ist er auch noch schön lyrisch leise und die Texte sind gut.


    3. Albrecht Fölsing:Albert Einstein


    ASIN/ISBN: 3518389904


    Es ist ja (noch) das Einstein-Jahr und da ich grundsätzlich tue, was die große Masse tut, musste also auch ich eine Einstein-Biografie lesen.
    Ich habe mich nicht für die mit viel Aufwand promotete Kurz-Biografie von Jürgen Neffe entschieden,

    ASIN/ISBN: 3498046853


    weil mir die zu dünn war. Bei Einstein muss einer schon mindestens 1000 Seiten schreiben, und das hat Fölsing getan.


    Fölsings Buch ist ein schöner Ziegelstein und man braucht ein bisschen Durchhaltevermögen, um sich bis zum Ende zu fräsen. Dafür wird man aber mit einem Buch belohnt, das gut recherchiert und gut geschrieben ist. Obwohl selber Physiker, ist Fölsing nicht in der Lage, einem Laien die Theorien Einsteins auch nur in Ansätzen verständlich zu machen, aber das ist bei Einstein ja schon fast die Regel.


    Psychologisch-briographisch ist Fölsing bis etwas über die Mitte des Buches hinaus hervorragend – aber dann entwickelt er plötzlich eine Abneigung gegen Einstein. Einstein, so Fölsing, hat ab ca. 1925, als die allgemeine Relativitätstheorie veröffentlicht war, wissenschaftlich nichts Großartiges mehr geleistet und die Quantentheorie nicht verstanden bzw. sogar bekämpft. Zudem hat Einstein, obwohl lebenslanger Pazifist, an militärischen Erfindungen gearbeitet (er hat einen Kreiselkompass erfunden, der auf U-Booten zum Einsatz kam) und das ist, laut Fölsing, ja sehr inkonsequent. Ich bin mir vollkommen sicher, dass Einstein, hätte er Albrecht Fölsing geheißen, bestimmt nie an militärischen Erfindungen gearbeitet hätte – aber eben auch nicht an der Relativitätstheorie. Es ist immer ein bisschen schade, wenn man merkt, dass ein Biografie mit der Komplexität seines Objektes überfordert ist – trotzdem bleibt das eine Biografie, die einem einen guten Einstige in das Thema Einstein ermöglicht.


    4. Vicram Seeth An Equal Music und A Suitable Boy


    Vicram Seth ist ein Brite indischer Herkunft, der wirklich gute Romane schreibt.


    ASIN/ISBN: 1857990889
    ASIN/ISBN: 0753807734


    ASIN/ISBN: 3453165152
    ASIN/ISBN: 3499229994


    A Suitable Boy muss mit 1474 Seiten einer der längsten englischen Romane seit Clarissa Harlow sein. Es ist die Geschichte von vier indischen Familien im Indien der 50er Jahres des 20. Jhdts. Kern der Geschichte ist die Suche einer indischen Mutter nach einem Ehemann für ihre Tochter, die Verwirrungen, die daraus erwachsen. Dazu gibt es mindestens fünf Nebenplots teils tragischen, teils recht humorvollen Charakters. Seth hat nicht den Mut Tolstojs zum großen Drama, weshalb der Schluss ein etwas enttäuschendes Happyend darstellt – aber im GuG ist das ein vorzüglicher Schmöker, der nirgends trivial ist und einem eine ganze Menge über indische Musik, Politik und indisches Dorfleben vor 60 Jahren mitteilt. In der deutschen Übersetzung ist das Buch noch 500 Seiten länger; ich nehme an, der Übersetzer hat aus Honorargründen selber noch einige Kapitel angefügt.


    An Equal Music ist die Liebesgeschichte zwischen einem britischen Geiger und einer Pianistin, die dabei ist taub zu werden und dann nicht mehr auftreten kann. Seth erzählt hier eine eigentlich reizvolle, recht ungewöhnliche Geschichte ein bisschen konventionell, aber mit viel Liebe zur (klassischen) Musik und einigen schönen skurrilen Einfällen.


    5. Ray Monk: Bertrand Russel


    ASIN/ISBN: 0743212150


    Ich weiß nicht, ob in diesem Forum sich noch ein großer Bertrand Russel-Fan verbirgt, aber ich bin einer, schon immer. Ray Monk ist ein englischer Philosoph, der eine Biografie von Wittgenstein geschrieben hat (ganz hervorragend!) und nun also Russel, der ja, bis sie sich zerstritten hatten, Wittgenstein Mentor war.


    Bis ich Monks großen Zweiteiler las, war ich ja immer irgendwie davon überzeugt, dass Russel (Mathematiker, Philosoph, vier Ehen, über 100 Bücher, Literaturnobelpreis, 98 Jahre alt geworden) so etwas wie das erfüllte Leben schlechthin gelebt haben müsste. Nach der Lektüre dieser Biografie bin ich mir nicht mehr so sicher. Russel hat, als er seine großartige mathematische Phase abgeschlossen hatte, ja zig populärphilosophische Bücher geschrieben, die meisten haben irgendwie damit zu tun, wie man richtig und glücklich lebt. Die Fakten, die Monk präsentiert, sind anders: mörderischer Streit mit Frau 2 und 3, ältester Sohn (und Schwiegertochter) geistig unstabil, später in geschlossenen Anstalten, Sohn von Frau 3 nach Scheidung 30 Jahre lang nicht mehr gesehen, Schwiegertochter entmündigt, deren Kinder als Adoptivkinder angenommen, eine Adoptivtochter stirbt durch Selbstverbrennung usw. Mit einem Wort: alle Ingredienzien einer griechischen Tragödie. Da war sogar Ludwig Wittgenstein normaler.


    6. Karajan und Solti


    Eine Biografie, eine Autobiografie.


    ASIN/ISBN: 3552051716


    Das Buch über Karajan ist elegant geschrieben, sehr ausführlich, absolut kenntnisreich – aber nicht sehr kritisch. Osborne kommt nie auf die Idee , dass Karajans Festhalten am immer gleich Repertoire die klassische Musik und ihre Aufführungen nachhaltig beschädigt haben könnte.


    Solti über Solti


    ASIN/ISBN: 346340317X


    Ein hervorragendes Buch. Schlicht und ehrlich erzählt er sein Leben. Und was das schönste ist – in diesem Buch werden meine Vorurteile kompetent bestätigt: die Wiener Philharmoniker (und viel andere Orchester auch) sind nicht auf dem ersten Schlag da. Aber das darf man natürlich nie zu jemand sagen. Aber Solti schreibt das! Was für ein Wohltat nach 30 Jahren!


    7. Hans Werber Sinn: Ist Deutschland noch zu retten?


    ASIN/ISBN: 3548367119
    ASIN/ISBN: 343018536X


    Eines der besten Wirtschaftsbücher, die ich kenne. Sinns Theorien sind klar: der ausufernden Sozialstaat und die Gewerkschaften im besonderen, die viel zu hohen Lohnabschlüsse über Jahrzehnte und die Politiker aller Couleurs, die das toleriert haben, sind schuld am Niedergang Deutschlands. Sinn ist eloquent, kämpferisch und verfügt über ein unglaubliches Faktenwissen. Für einen Nicht-Wirtschaftswissenschaftler wird das Buch jetzt vielleicht nicht so ganz einfach zu lesen sein, aber man sollte es lesen. Ich habe diese Theorie, die ja auch andere Autoren wie Horst Siebert vortragen, nirgendwo so klar dargestellt gesehen. Die Basar-Ökonomie ist sein neuestes Buch und präzisiert seine bekannten Thesen.


    Diese Bücher und CDs könnt ihr also bedenkenlos Euch und anderen schenken. Auch wenn die Beschenkten diese Bücher und CDs nicht mögen (was recht wahrscheinlich ist), rufen diese Werke doch Respekt und Achtung hervor.

  • Hallo,


    herzlichen Dank für die guten Anregungen. Aber ... wer schenkt mir das jetzt? 8)


    Grüße


    Helmut


  • Du musst es halt bestellen! Dein Buch ist/wäre auch auf der Liste, wenn ich es nicht ohnehin schon dauernd an Gastronomen bzw. Gastronomen in Spe verschenken würde.


    Letzte Woche habe ich es glatt einem Restaurantmanager, der jetzt selbst eine Gastronomie pachtet, überreicht und dann gesahgt: in drei Tagen machen wir eine kleine Prüfung. Bis dahin müssen sie den Stoff durchgearbeitet haben. Da hat er geschaut!

    Fare thee well! Thomas W. Jefferson
    I am mad, bad and dangerous.

  • Zitat

    Original von Th. Walker Jefferson



    Letzte Woche habe ich es glatt einem Restaurantmanager, der jetzt selbst eine Gastronomie pachtet, überreicht und dann gesahgt: in drei Tagen machen wir eine kleine Prüfung. Bis dahin müssen sie den Stoff durchgearbeitet haben. Da hat er geschaut!


    Hähä, das Gesicht hätte ich gern gesehen! =)


    Grüße


    Helmut, der SEHR damit einverstanden ist, dass du sein Buch verteilst!