Aus aktuellem Anlass: "Phantome" von Robert Prosser

  • Der Roman "Phantome" von Robert Prosser hat es in diesem Jahr auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft. Ich lese noch an dem Buch und möchte gar keine stringente Rezension dazu schreiben. Aber die Verurteilung heute von Mladic am Europäischen Gerichtshof bewegt mich wegen dieses Romans ganz besoners. Denn "Phantome" erzählt vom Krieg in Bosnien. War das eigentlich einfach ein Krieg? Der Roman beginnt zwar etwas merkwürdig mit einem jungen Sprayer aus Wien, der dann mit irgendwelchen Freunden, die aus Bosnien kommen, nach Srebrenica fährt, um dort den Jahrestag des Massakers zu erleben, eher so etwas wie ein Event. Doch Srebrenica verändert alles, die Menschenmenge der Trauernden, die auch so unfassbar wütend sind.
    Aus mehreren Perspektiven entwickelt sich dann eine Geschichte, die so bewegend, spannend, traurig, so gut erzählt und so aktuell ist, dass mir wirklich beim Lesen die Luft weg bleibt. Gewalt wird nicht explizit ausgebreitet, kaum Blut, keine Vergewaltigungen, aber die Gewalt ist da, sie wird in jedem Satz spürbar, sie durchdringt alles. Die ethnischen Säuberungen, der Völkermord, die Bedrohungslage, all das wird aus der Sicht der Davongekommenen erzählt, die in einer Turnhalle in Wien auf Nachrichten der Verschwundenen und Vermissten warten. Sie streunen durch die fremde Stadt, verstört, traumatisiert, heimatlos, und harren der Dinge, die kommen mögen.
    Und dieses Buch schafft all das mit großer Differenziertheit, ohne die ganz einfachen Wahrheiten. Da gibt es zum Beispiel auch Jovan, einen serbischen Studenten, der sich voller Angst in einem Schützengraben wiederfindet und sehr bald desertiert. Er flüchtet nach Belgrad, sieht dort, wie am Markt die geplünderten Sachen verkauft werden, wie ganze Familien aufbrechen nach Bosnien mit Anhängern und Transportern, denn da gibt es jetzt etwas zu holen. Jovan wurde gerade aufgegriffen und wird einfach zurückgeschafft an die Front.
    Ein wunderbares Buch, das wie nebenbei tiefen Einblick gewährt in die Seele der Vertriebenen, Gestrandeten, die ihre Welt haben zerbersten sehen, die ihre Angehörigen vermissen und plötzlich nur noch "Moslems" oder "Serben" sind, ohne sich je so gefühlt zu haben, und die eigentlich nur in ihr altes Leben zurück wollen, aber Pommerland ist nun einmal abgebrannt.
    Große Literatur. Wo war dieser Autor bis jetzt? Er hat im Verborgenen Preise eingeheimst.