Das Filmjahr 2014

  • Der Jahreswechsel ist immer der Zeitpunkt für Rückblicke und Bestenlisten. Ich habe jetzt spaßeshalber mal meine eigene gemacht und stelle hier hier meine Top 10-Filme von 2014 vor. Natürlich absolut subjektiv.



    Platz 10: Boyhood
    Ja, ich weiß, dieser Film steht in nahezu allen Bestenlisten auf Platz 1 und wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den diesjährigen Oscar als bester Film gewinnen. Trotzdem kann ich den Hype nicht nachvollziehen. Das heißt nicht, dass der Film schlecht ist, er ist sogar richtig gut. Aber eben auch nicht mehr. Ich habe ein bisschen den Eindruck, bei den vielen Lobeshymnen wird eher das technische Experiment, einen Film über 12 Jahre hinweg zu drehen, honoriert, als der Film selbst. Der Inhalt besteht aus einer Folge von Szenen, wie sie das Leben so mit sich bringt, und unterscheidet sich nicht substanziell von einem Videoabend bei Onkel Fritz, außer dass die Darsteller sehr gut sind. Es gibt viele Alltäglichkeiten, Begegnungen, angedeutete Konflikte, die aber nie vertieft werden, da die nächste Szene schon wieder ein Jahr später spielt. Man erhält aber einen Einblick in den US-amerikanischen Alltag, den ich erhellend und sympathisch fand, und der dazu beitragen kann, Klischees abzubauen.


    Platz 9: Mr. Turner
    Ein opulenter Film mit viel historischem Detail, der zeigt, dass geniale Künstler nicht zwangsläufig ein außergewöhnliches Leben führen, sondern auch nur gewöhnliche Menschen mit Schwächen und Gemeinheiten sind. Der Film wertet nicht, sondern stellt dar. Er zeigt die Einsamkeit Turners, dessen neue Ideen auf weitgehendes Unverständnis stoßen, er zeigt aber auch, wie er Menschen gebraucht und verbraucht, wie zum Beispiel seine Haushälterin. Insgesamt ein Film mit beeindruckenden Bildern (im doppelten Wortsinn), der sich Zeit lässt und viel Zeitkolorit lebendig werden lässt, manchmal vielleicht etwas zu detailverliebt.


    Platz 8: 12 Years a Slave
    Da die Filmjahre in Deutschland und den USA sich nicht decken, sind der Oscar-Gewinner von 2014 und der wahrscheinliche Gewinner von 2015 in der gleichen Liste. „12 Years a Slave“ ist ein wichtiger, vielleicht sogar notwendiger Film mit einer sehr richtigen Botschaft. Er beruht auf wahren Ereignissen und er hat ein beeindruckendes und großartiges Darsteller-Ensemble, aus dem für mich Lupita Nyong’o und Michael Fassbender besonders herausragen. Trotzdem fehlte mir etwas zum wirklich ganz großen Film. Aber so ging es mir bei bisher allen Werken von Steve McQueen. Ich glaube es liegt am Erzählrhythmus.

  • Platz 7: Nightcrawler
    Dieser Film ist definitiv kein Feel-Good-Movie, sondern handelt auf der dunklen Seite der Seele. Der Film lebt vor allem von seinem Hauptdarsteller Jake Gyllenhaal, der hier als besessener Möchtegern-Reporter, der über Leichen geht, die bisher beste Rolle seiner Karriere spielt. Dazu kommen die Sensationsgier des Publikums und die Skrupellosigkeit der Fernsehsender, wobei die Dame vom Frühstücksfernsehen für meinen Geschmack etwas zu eindimensional geraten ist.


    Platz 6: Gone Girl
    Ein böser Thriller und ein echter Mindfucker. Wenn man glaubt, man weiß jetzt, was wirklich passiert, gibt es eine völlig überraschende Wendung, die alles anders erscheinen lässt. Und das nicht nur ein Mal. Zugleich ist der Film eine Mediensatire. Mehr will ich über die Handlung nicht sagen. Nur noch, dass ich das Ende genial finde. Und zwar genau aus dem gleichen Grund, warum viele es als unbefriedigend empfinden. Nur andersherum betrachtet. Wer den Film noch nicht kennt, sollte ihn beim Mal ersten möglichst unbelastet sehen.


    Platz 5: Who am I
    Den hatte ich ursprünglich gar nicht im Fokus. Aber meine Tochter war auf der Premierenvorführung und schwärmte in den höchsten Tönen davon. Nicht nur weil sie Fotos mit Elyas M'Barek, Tech-Nick und all den anderen mitbrachte. Deshalb gingen wir nochmals mit ihr rein. Für mich die Überraschung des Jahres. Ein deutscher Film, der witzig und spannend das Thema Computer-Hacking in einen Thriller verpackt und das Ganze ironisch mit etlichen Filmzitaten anreichert. Auch dieser Film ist ein Mindfucker. Nichts ist wie es scheint, oder vielleicht doch? Und auch hier sollte man über die Handlung vorher möglichst wenig wissen, dann wirkt er am besten.

  • Platz 4: Dallas Buyers Club
    Großes Darsteller-Kino: Matthew McConaughey und Jared Leto haben ihre Oscars verdient bekommen. Geschichten über AIDS sind immer tragisch, aber dieser Film schafft es das Thema ohne Pathos und Rührseligkeit und auch ohne Schwulen-Selbstbespiegelung rebellisch und streckenweise sogar witzig zu erzählen. Dabei wird aber nichts beschönigt oder verharmlost. Der Tod ist immer präsent, die Figuren kriechen nur nicht zu Kreuze.


    Platz 3: Interstellar
    Ein Film, den man am besten auf der größtmöglichen Leinwand sehen sollte. Chris Nolan hatte ganz offensichtlich vor, sich mit Kubricks „2001 – A Space Odyssee“ zu messen. Diese Dimension erreicht er zwar nicht, aber dennoch ist „Interstellar” ein großartiger Film, ein Science Film, der Endzeit- und Weltraum-Science-Fiction vereint, und der die Grenzen seines Genres überschreitet. Fantastische Bilder ohne Effekte-Schnickschnack, große Themen und tiefe Gefühle, und der Versuch allen Ernstes die Relativitätstheorie anschaulich werden zu lassen. An manchen Stellen wäre etwas weniger doch mehr gewesen, aber alles in allem drei überwältigende Stunden.


    Platz 2: Wolf of Wallstreet
    Martin Scorsese und Leonardo di Caprio in Höchstform. Der Film vermittelt den ganzen Irrsinn des Phänomens Wallstreet weil er völlig in der Perspektive der Hauptfigur bleibt und so sein Spiel mit dem Zuschauer treibt. Niemand schafft es wie Scorsese den Zuschauer in eine heimliche Komplizenschaft mit den gemeinsten Typen zu ziehen, und niemand kann Unsympathen so liebenswürdig darstellen wie Leonardo di Caprio. Da wird beschissen, gekokst und gef**ckt auf Teufel komm raus und alles auf höchst unterhaltsame Weise. Vom Stil her erinnert der Film am meisten an „Goodfellas", auch wenn er dessen Genialität nicht ganz erreicht.

  • Platz 1: The Grand Budapest Hotel
    Das ist für mich der Film des Jahres. Der skurrile und eigenwillige Stil Wes Andersons ist nicht jedermanns Sache und manche seiner bisherigen Filme fand ich auch gelinde gesagt etwas überkandidelt. Aber er steigert sich mit kleinen Ausrutschern von Mal zu Mal. „Moonrise Kingdom“ war ausgezeichnet, „Grand Budapest Hotel“ ist perfekt. Jede Einstellung ist bis ins letzte Details durchstilisiert. Ich habe den Film inzwischen vier Mal gesehen und entdecke immer wieder neue Bezüge. Die Liste der Darsteller ist atemberaubend, selbst kleine Nebenrollen sind hochkarätig besetzt. In Monsieur Gustave hat Ralph Fiennes die Rolle seines Lebens gefunden. Aber das alleine ist es noch nicht. Waren Andersons Filme bisher meist perfekt komponierte Spielereien, so wagt er sich in „Grand Budapest Hotel“ mit den Mitteln seines extravaganten Humors an ein ernstes Thema: Diktatur und Gewalt. Und es funktioniert. Der Film ist ein unterhaltsames Plädoyer für reine Mitmenschlichkeit und die Besonderheit jedes Einzelnen.

  • Hallo Siegfried!
    Toll deine Liste! Schön zu lesen. Ich war leider nicht sooo viel im Kino. Manches geht dann aber im fortgeschrittenen Jahr über DVD. So auch Grand Budapest Hotel, den ich ebenfalls unglaubich gut fand.
    Visuell ein Ereignis. Die Figuren so wundervoll überzogen (Dimitri alias Adrian Brody oder die Nussknacker"fresse" von Willem Dafoe! Einzigartig) und die Geschichte spannend, amüsant und liebenswert bis zum Schluss! Ein großer Wurf, dieser Film!


    Weitere Best-of's waren für mich Jim Jarmuschs "Only Lovers left alive", ein poetischer Abgesang auf den Versuch der Menschheit, durch Kultur irgendwie das Tier in sich zu verstecken.
    Für diesen Augen- und Ohrenschmaus hatte ich bereits zwei Kinotickets gekauft, als ich Megaerkältung mit Reizhusten bekam. Also sobald möglich im Heimkino gesehen. Schade.


    Außerdem toll war American Hustle! Da fehlen mir immer noch die Worte zu. Selten ein so spielfreudiges Ensemble in so witziger Geschichte agieren sehen. Und die Musik! Die Kostüme! Cool!

    [buch]3866855109[/buch]


    "Sinn mag die äußerste menschliche Verführung sein." - Siri Hustvedt

  • Zitat

    „Grand Budapest Hotel“ ist perfekt

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    Interstellar habe ich nur unter Vorbehalt weiterempfohlen. Nicht nur wegen der unnötigen Länge. Aber das Endzeitszenario der Welt ist gerade in seiner Alltäglichkeit spitzenmäßig in Szene gesetzt. Davon hätte ich gerne noch mehr gesehen.

  • Vielen Dank, Siegfried!!!
    Bei Boyhood stimme ich dir zu, ein guter Film, aber kein Jahrhundertwerk :-) Und ansonsten habe ich jetzt einige gute Tipps bekommen und das Wort Mindfucker gelernt. Ein tolles Wort. Es sollte viel häufiger verwendet werden, finde ich.