Stefan Merrill Block: aufziehendes gewitter

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    Es gibt einige guter Romane über Menschen in psychiatrischen Einrichtungen, etwa über frühe Formen der Psychiatrie und Untersuchungen an einem Wolfskind (T.C. Boyle - Das wilde Kind), als Kriminalroman, in dem aber realistisch die Verhältnisse der „Irrenanstalten“ geschildert werden (Glauser: Matto regiert), als fulminante Komödie mit dem tragischem Ende einer Lobotomie in einer amerikanischen Anstalt der 50er Jahre (Ken Kesey: Einer flog über das Kuckucksnest) oder in Form einer Heilung (Hanna Green: Ich habe dir nie einen Rosengarten versprochen). Um nur mal die besseren zu nennen. Diesen hat sich jetzt ein weiterer Roman hinzugesellt: aufziehendes Gewitter, der zweite Roman von Stefan Merrill Block.


    Frederick und Katherine lernen sich während des Krieges kennen, heiraten noch, während Frederick bei der Marine ist und bekommen vier Töchter. Frederick ist ein gut aussehender junger Mann, voll großartiger Pläne. Aber bereits während der Militärzeit kommt er in klinische Behandlung wegen einer manischen Depression. Das führt später dazu, dass er zu viel trinkt und immer wieder Ausfälle hat, mit anderen Frauen Verhältnisse anfängt und auch sonst seine Frau enttäuscht. Die hält trotz allem zu ihm, bis zu jener Nacht, in der er wieder einmal stockbetrunken durchdreht, nur mit dem Mantel eines Gastes bekleidet zum Highway rennt und bei jedem entgegenkommenden Auto seinen Mantel aufschlägt. Viele lachen vermutlich über diesen im Regen stehenden nackten Mann, nur zwei ältere Damen sind schockiert und rufen die Polizei. Wenig später findet sich Frederick im »Maryflower Home for the Mentally Ill« wieder. Auf Zureden ihrer Familie stimmt Katherine zu, dass Frederick dort zwecks Ausheilung seiner Krankheit bleiben soll und auf Zureden von Katherine unterschreibt Frederick selbst. In was für eine Zwickmühle er sich dadurch gebracht hat, stellt er bereits wenig später fest, aber da ist kein Entkommen mehr möglich. Der Kontakt zur Familie wird ihm untersagt und seiner Frau geraten, dies ebenfalls zu lassen, weil der Patient nur so zu einer wirklichen Gesundung kommen könne. Nach einem grausigen Selbstmord eines Pfleglings wird die Klinikleitung ausgewechselt. Der Aus Harvard abgeworbene Albert Canon organisiert das Heim neu. Das alte Personal wird weitgehend entlassen, Freiheiten, die einzelne Insassen genossen haben werden rigoros beschnitten. Mit ausgesuchten Fällen - zu denen auch Frederick gehört und der Dichter Robert Lowell - beginnt der neue Chef selbst eine Therapie. Doch es wird nicht besser - das Gegenteil tritt ein.


    Der Autor hat wieder auf die eigene Familie zurückgegriffen, um diesen Roman zu schreiben. Frederick und Katherine sind die Großeltern mütterlicherseits. Trotzdem ist es keine Dokumentation, denn viele Informationen sind einfach nicht mehr zu beschaffen. Der Autor bringt sich als erzählende Distanz zwar immer wieder ein, bekennt im Nachwort aber, dass der Roman von seinen Großeltern nur inspiriert ist. Auch das Bild des Dichters Robert Lowell in diesem Roman beruhe nicht auf Fakten (mit der Ausnahme, dass er wirklich in dieser Anstalt untergebracht war) sondern sei Fiktion. Lediglich einige seiner Gedichte, sowie Briefzitate und Bilder seiner Großeltern seien »echt«. Auf den Innenseiten des Buchcovers vorne und hinten sind die Protagonisten - Frederick und Katherine, sowie der Autor - abgebildet. Auf dem ersten Bild, auf dem F. und K. zusammen zu sehen sind, lachen Sie den Betrachter an, allerdings ein wenig zurückgenommen, so als würden sie sagen wollen: Wir kennen uns ja noch nicht. Allzu vertraulich wollen wir am Anfang nicht sein. Auf den anderen Bildern schauen die beiden dem Betrachter ernster entgegen. Das Drama, das in Ihnen steckt, und das im Buch beschrieben wird, ist aus ihren Blicken und Minen schon zu ahnen.


    Wie schon in dem vorangegangenen Roman verwebt Block in diesem Buch noch andere Geschichten. Die wichtigste ist die des Linguistikprofessors Schulz, der eingeliefert wurde, weil er Stimmen einer Sprache hörte, die er nicht versteht und die er zu entschlüsseln sucht. Der tiefere Grund ist aber der, dass er seine ganze Familie verloren hat. Zuletzt seine Frau und den ungeborenen Sohn, als seine Frau nach Europa aufbrach, um die Familie mit zusammengeliehenem Geld aus einem litauischen Judenghetto zu retten.


    Ich habe das Buch in relativ kurzer Zeit gelesen. Es hat mich gefesselt, obwohl manche Passagen, insbesondere die, in denen der Autor seine Protagonisten reflektieren lässt - oder sich selbst - schon ein wenig den Hang zur Langatmigkeit haben. Wer rein auf Spannung aus ist, wird an diesen Stellen vielleicht scheitern. Für mich dürften diese Stellen aber nicht fehlen, da sie mir die Möglichkeit gaben, die Personen nicht nur oberflächlich zu erleben.


    Wie sein erstes Buch gibt es für diesen (überwiegend im Präsens geschriebenen Roman) von mir die unbedingte Leseempfehlung.

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    ASIN/ISBN: 3831335559


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    Emanuel von Bodmann