ASIN/ISBN: 3869306092 |
An einem Sonntagmorgen liefert ein Vater seine Tochter bei Verwandten ab, weil die Mutter schon wieder schwanger ist und dringend der Entlastung bedarf. Der Vater selbst, ein Spieler und Trinker, ist da wohl wenig Hilfe. Die Verwandten aus der Familie der Mutter, zu denen das Mädchen gebracht wird, haben selbst keine Kinder.
Zitat
»Wie lange sollen sie sie denn dabehalten?«
»Können sie sie nich‘ so lange dabehalten, wie sie wollen?«
»Sag, was du willst. Machst du doch eh immer, oder?«
Die Erzählung spielt in Irland. Wie alt das Mädchen ist, wird nirgendwo gesagt. Da aus der Sicht des Mädchens erzählt wird, ist das aber bald klar. Sie geht bereits zur Schule, aber wohl erst im ersten oder zweiten Jahr. Die Kunst des indirekten Erzählens beherrscht die Autorin grandios. Sei es in Dialogen oder eher reflektierenden Absätzen - die Autorin erreicht immer, was sie will, ohne all zu direkt zu werden. Auch die Veränderung, die mit dem Mädchen vorgeht, liest man eher aus »dem Klang der Erzählstimme« heraus und nicht aus direkten Andeutungen oder gar Aussagen.
Sie kommt sehr verschüchtert an, fühlt sich nicht richtig aufgehoben in dieser Welt, wo man sie herum schiebt, ohne sie zu fragen. Entsprechend nässt sie sich auch in der ersten Nacht bei der neuen Familie ein. Am Ende des Sommers steht eine ganz andere Persönlichkeit da, eine, die Sicherheit gefunden hat weil die neue Familie ihr etwas zu geben verstand, das sie in der eigenen nie bekam: Aufmerksamkeit und Zuwendung. Das sie dabei noch ein Geheimnis der neuen Familie erfährt, auch eher nebenbei, trägt sicher auch zu ihrem neuen Selbstbewusstsein bei, obwohl es auch ein Element zur Verunsicherung enthält.
Claire Keegan, Jahrgang 1968, hat bislang drei Bücher veröffentlicht: zwei Bände mit Kurzgeschichten (1999/2007) und diese Erzählung (2010), die im Original »Foster« heißt und bei uns in einer Übersetzung durch Hans-Christian Oeser unter dem Titel »Das dritte Licht« erschien. Obwohl dieses Buch auf keiner Buchauslage zu finden ist, durch keinen großen Werbeetat in das Licht der Öffentlichkeit gerückt wird, war die 1. Auflage (April 2013) schnell ausverkauft. Ich habe Anfang Juni bestellt und musste eine Weile warten, bis ein Exemplar der 2. Auflage (Juni 2013) bei mir eintraf. Vermutlich war es auch bei anderen so oder ähnlich: Noch während ich die Kurzgeschichtensammlung »Wo das Wasser am tiefsten ist« (Antarctica) las, bestellte ich das Buch, weil ich tief beeindruckt war von der Kunst der Autorin, die Kurzgeschichte mit neuem Leben zu füllen. Da sitzt jedes Wort. Kein Satz ist überflüssig oder steht an der falschen Stelle. Diese letzte Erzählung mit knapp 100 Seiten ist das längste Werk der irischen Autorin und doch, wenn Sie nichts mehr schreibt, hat sie bereits mehr hinterlassen und deutlichere literarische Spuren gesetzt als die meisten der massenhaft dicke Werke in den Markt werfenden Genreautoren.