Peter Henisch: Vom Wunsch, Indianer zu werden

  • Wie Franz Kafka Karl May traf und trotzdem nicht inAmerika landete


    ASIN/ISBN: 3596128684


    Auf dem Schiff nach Amerika im Jahr 1908 fällt dem Ehepaar Burton ein junger Mann auf, der an der Reling steht und sich der Seekrankheit hingibt. Sie versuchen ihn aufzumuntern, kommen ins Gespräch und plötzlich stellt sich heraus, das der junge Mann sich im „Schreiben“ versucht. Damit wird er dem Herrn Burton interessant, denn das macht der selbst hauptberuflich. Tatsächlich verbergen sich hinter den Burtons Karl und Klara May und der junge Mann an der Reling, der sonst im billigen Zwischendeck untergebracht ist, heißt Kafka. Franz Kafka. Nach diesem ersten Gespräch bemüht sich Karl May, den jungen Mann im Zwischendeck wiederzufinden. Er hat Fragen und fühlt sich zu dem jungen Mann hingezogen. Man bleibt im Gespräch und auf Anregung Mays beginnt Kafka mit einem neuen Stoff zu spielen. Widerwillig, denn eigentlich will er nicht mehr schreiben. Schließlich ist er ja auch abgehauen, hat eine Dienstreise nach Böhmen genutzt, um nach Bremen zu verschwinden und auf ein Schiff nach Amerika zu gehen.
    Aus diesem „Spiel“ entstehen die ersten Sätze des Romans Amerika. Dann überredet May den jungen Kafka, an einer spiritistischen Sitzung teilzunehmen. Seine Frau sei ein ausgezeichnetes Medium. Kafka zögert und sträubt sich, Klara übrigens auch. Trotzdem kommt es zu dieser Sitzung, die dann aus dem Ruder läuft, weil weder der von May gerufene Columbus noch Winnetou erscheinen, sondern Kafkas Vater. Die Folge ist, dass sie Kafka nur mit Mühe davon abhalten können vom Schiff zu springen. Er will zurückschwimmen nach Prag, will es seinem Vater zeigen. May setzt die berühmte Schmetterhand ein. Dann liegt Kafka halbbetäubt auf dem Bett in der Kabine der Mays, in den Armen Klaras. May, der das alles nicht mehr versteht, sitzt mit einer Flasche Cognac im Sessel in der abgedunkelten Kabine dabei …


    Zitat


    May trinkt und lauscht, wie Klara und Franz atmen.
    Manchmal kommt es ihm vor, als ob sie gemeinsam den Atem anhielten.
    Himmelherrgott, er hat es sich ja gedacht, daß es einmal passieren muß … Aber muß es denn ausgerechnet hier und jetzt sein und ausgerechnet mit diesem Judenbengel?


    Peter Henisch webt in diese Novelle wesentliche Elemente aus den Biografien der beiden Dichter ein. Sie werden nicht platt erzählt sondern in Erinnerungen und Gedanken eingeflochten. Etwa die Probleme, die Franz Kafka mit seinem Vater hatte in der Erscheinung während der spiritistischen Sitzung. Mays Jugend, die in mehrfach ins Gefängnis brachte, in rechtfertigendem Reflektieren, während Klara und Franz in der Kabine in seinem Beisein intim wurden. Henisch schafft es, die zwischen Realität und Phantasie hin und her lichternde Wahrnehmung von May geschickt einzublenden.


    Es ist ein Vergnügen, dieses Novelle zu lesen, obwohl alles nicht wahr ist. Kafka ist nie nach Amerika gefahren und auch Karl May nicht begegnet, aber so wie die Geschichte geschrieben wurde, hätte sie möglich sein können, und diese Geschichten, die immerhin hätten möglich sein können, das sind sowieso die besten.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann