ASIN/ISBN: 3453064356 |
Am Cliff hängen geblieben.
Es fällt mir schwer, dieses Buch zu rezensieren weil es Teil eines Gesamtwerkes ist, das noch entsteht: „The great and secret show“ – wie der treffendere Originaltitel lautet – ist als Trilogie angelegt. 1993 auf dem deutschen Markt erschienen, ist seit 1994 der zweite Teil „Everville“ in den USA zu bekommen. Eine deutsche Übersetzung steht derzeit – 12 Jahre später – noch aus.
Für mich besteht das Grundproblem darin, dass das Gesamtwerk sehr viel Potenzial verspricht, der erste Band jedoch – „Jenseits des Bösen“– für sich genommen weit hinter meinen Erwartungen an Barker zurückbleibt. Weder ist die Atmosphäre so dicht und die Sprache so präzise und originär wie in „Spiel des Verderbens“ noch sind die Ideen so einzigartig wie in den Bänden von „Das Buch des Blutes“.
Der Versuch einer Zusammenfassung von mehr als 713 Seiten Epos:
Randolph Jaffe ist ein Verlierer, den die ständige Suche nach Gelegenheitsjobs irgendwann in eine Poststelle treibt, in der herrenlose Briefe aussortiert werden. Beim Lesen der Fehlsendungen stößt er auf eine ominöse Organisation, die sich „der Schwarm“ nennt und die der Hüter „der Kunst“ ist. Angetrieben von dem Wunsch, diese nicht näher definierte „Kunst“ zu erlangen, scheut Randolph weder Mühen noch Erniedrigungen und findet in dem so Rauschsüchtigen wie genialen Biologen Fletcher einen Partner, der ihm hilft, den „Nuncio“ zu entwickeln. Das ist eine Substanz, die den Weg zur Erlangung der „Kunst“, abkürzen soll. Dabei verändert sie den Menschen entsprechend seiner Veranlagung: Sprich: Böse Menschen werden „böser“ und Gute „besser“ und landen zudem auf einer neuen evolutionären Stufe. Außerdem gibt es die „Essenz“ – eine Substanz hinter den Grenzen dieser Welt, die der Mensch nur drei Mal zu Gesicht bekommt: bei seiner Geburt, seinem „ersten Mal“ und seinem Tod. Im Laufe des Buchs erfahren wir, dass „der Schwarm“ die Aufgabe hat, die Essenz vor Verunreinigungen zu schützen – und uns vor den „Iad Uboros“, geheimnisvollen Wesen, die in oder hinter der „Essenz“ leben. Um die ganze Sache abzukürzen: Jaffe und Fletcher kämpfen gegeneinander – Gut gegen Böse. Ihre Waffen sind die Fleisch gewordenen Ängste „Terata“ bzw. Träume „Halluzigenien“. Eine Reihe von Charakteren werden zu Zeugen, bzw. Mittätern. Als da beispielsweise wären: der heruntergekommene, aber nicht zuletzt aufrechte Journalist Grillo, die erfolglose aber nicht unterzukriegende Drehbuchautorin deren Namen ich vergessen habe, der Pornosüchtige Immobilienmakler Witt und viele, viele andere.
Ich hoffe, die Zusammenfassung macht deutlich, wie ambitioniert das Buch ist. Es scheint, als wollte Barker eine Systematik kosmischen Grauens entwickeln, die sich wie eine mittelalterliche Weltkarte vorm Auge des Lesers entfaltet: hier das himmlische Paradies, dort das Ende der Welt und da drüben die sieben Kreise der Hölle. Wer mit „Jenseits des Bösen“ durch einen langweiligen Sonntagnachmittag navigieren möchte, erleidet schnell Schiffbruch – besser: verdurstet jämmerlich auf den vielen Längen, die das Buch einem abverlangt. Dabei fängt es spannend an, bei Randolph Jaffe in der Poststelle: „Die Kommunikationslinien kreuzten und überkreuzten sich und warfen ihre Weisen schließlich hier aus“ – und sie landen im Schoß vom Jaffe, der dank dieser Briefe einem kosmischen Geheimnis auf die Spur kommt.
Mir gefällt die Vorstellung dieses Schnittpunktes. Ich musste an eine Art „Interface“ denken, über das Randolph Zugriff auf obskure Informationen hat, die in einer „Black Box“ entstehen – dem „Briefverkehr“. Das erinnerte mich an die Idee von Douglas Adams: die Menschheit ist ein gigantischer Computer. Auch die Überlegungen des größenwahnsinnigen Jaffe haben großen Unterhaltungswert und bewegen sich abseits der Mittelmäßigkeit der Charaktere, mit der man es in diesem Genre üblicherweise zu tun bekommt. Zum Beispiel, wenn er über Selbstmord nachdenkt und zu dem Schluss kommt, das ein Satz im Abschiedsbrief wie: „ich habe mich selbst umgebracht, weil ich nicht der König der Welt sein konnte “ vielleicht wahr ist, aber etwas seltsam klingt. Mit Jaffes Kündigung in der Poststelle verliert das Buch – vor allem an Ironie und an Leichtigkeit. Es ist das humorloseste Buch von Barker, das ich gelesen habe – und gerade seine Mischung aus subtilen Humor und kompromisslosem Horror macht ihn für mich lesenswert. Was den Horror in „Jenseits des Bösen“ angeht, kam er mir zu sehr wie Effekthascherei vor:
Als Barker Tommy-Ray, den „bösen“ kalifornischen Surfer-Sunnyboy, zum Zeugen einer „Show“ macht, bei der sich eine Frau von einem Hund besteigen lässt, fragte ich mich, wann Mutter Theresa ins Spiel kommt, Ghandi oder sonst wer, wo es noch „weh tun“ könnte. Ich glaube, in „Spiel des Verderbens“ wäre mir diese Szene nicht so gestellt vorgekommen. Genauso wenig, wie im Rahmen einer Kurzgeschichte aus dem „Buch des Blutes“. Aber in „Jenseits des Bösen“ war sie zu sehr Selbstzweck. Hier spiegelt sie für mich viel zu deutlich die Bewusstwerdung eines Autors wider, der sich darüber klar wird, dass er im Begriff steht über 700 Seiten Langeweile abzuliefern und der dringend ein paar „Knaller“ braucht – und der sich dazu der billigsten, gerade zu Verfügung stehenden Mittel bedient. Dabei hat er eigentlich alles was er braucht: eine gute – wenn auch nicht neue Idee, interessante Charaktere und die handwerkliche Befähigung. Stattdessen werden seine Figuren von dem ambitionierten Plot erdrückt, an die Seite gedrängt von einem abstrakten „kosmischen“ Grauen, das für mich die Schreckensqualität eines Nachgespensts mit Bettlaken hat: auch wenn tausend mal was von „Vernichtung der Welt“ und „Verunreinigung der Essenz“ geraunt wird: es bleibt Hokuspukus und vor allem leider „Buh“!
Fazit: Ich legte „Jenseits des Bösen“ mit einem Gefühl aus der Hand, als hätte ich einen sehr, sehr langen Prolog gelesen und dann, als die eigentliche Geschichte losgehen sollte, hob sich der Vorhang. Erklärlich natürlich vor dem Hintergrund, das eine Fortsetzung kommen sollte. Aber das macht das Buch nicht packender. Vielleicht wäre es am besten, gleich mit dem zweiten Band einzusteigen. Die Frage ist nur, ob „Everville“ übersetzt wird – und wenn nicht: warum sollte man den ersten Band lesen, der genau da endet, wo es spannend wird?