Moral und virtuelle Hunde

  • Hallo allerseits,


    kennt ihr Nintendogs für den Nintendo? Es geht dabei darum, virtuelle Welpen "aufzuziehen". Ein bisschen so, wie ein Tamagotchi nur weitaus realistischer. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich druckse gerade an einem Artikelentwurf herum - weiß noch nicht so Recht, wohin "die Reise geht". Es wäre sehr hilfreich, wenn sich einer von euch mit Philosophie / Theologie auskennt und bspw. weiß, ob es Philospohen / Theologen gibt, die sich mit Fragen der Moral hinsichtlich Tamagotchis / virtueller Hunde beschäftigt haben. Im Sinne von:
    Ist es böse, virtuelle Hunde verwahrlosen zu lassen? (Kein Ahnung warum - weil die INtention dies zu tun, schon einen charakterlichen Mangel offenbart?)


    Ach ja: Natürlich wird es genau diese Fragestellung vielleicht nicht geben, ;-)
    aber vielleicht etwas Ähnliches im ZUsammenhang mit Robotik. Vielleicht weiß ja jemand eine Kurzgeschichte von Asimov zu dem Thema.


    Ich bin etwas ratlos und würde mich über Literaturhinweise freuen.


    Dankeschön,


    Sven

  • Hallo Sven,


    ich habe zwar nicht wirklich eine Antwort auf Deine eigentlichen Fragen, aber möchte trotzdem noch was dazuwerfen, was sicherlich auch in die grundsätzliche Richtung geht.


    Beim Computerspiel "Die Sims" ist u. a. auch möglich seine Kreationen ziemlich unangenehme Dinge erleben zu lassen. In irgendeinem Artikel eines Computermagazins gab es sogar eine Art Top Ten der schlimmen Dinge. Zum Beispiel ist es möglich seinen Sim verhungern zu lassen, wenn man einfach alle Türen in dem Raum entfernt in dem sich der Sim gerade befindet. Der Sim kann erstens nicht mehr auf die Toilette und erleichtert sich irgendwann einfach auf dem Boden (was ihm ziemliches Unbehagen bereitet) und verhungert schließlich irgendwann. Genauso ist es möglich einen Sim ertrinken zu lassen, wenn man einfach die Leiter des Schwimmbeckens entfernt.


    Das und mehr solcher Dinge wurde also sicherlich von sehr vielen Spieler ausprobiert. Ob das allerdings Rückschlüsse auf den moralischen/ethischen Zustand der Spieler Rückschlüsse zulässt wage ich allerdings zu bezweifeln.


    Gruss,


    Bernd

    "Der erfolgreiche Abschluss infamer Aktionen steigert Ihren Bekanntheitsgrad, was für Ihren Feldzug zur absoluten Weltherrschaft unglaublich wichtig ist." (aus dem Benutzerhandbuch des PC-Spiels Evil Genius)

  • Zitat

    Original von Sven
    Ich bin etwas ratlos und würde mich über Literaturhinweise freuen.
    Dankeschön,
    Sven


    Hallo Sven,


    1. Du frägst nicht nach Moral, sondern nach Ethik. Eine moderne philosophische Ethik hat mit Theologie nichts zu tun. Theologen glauben, dass es ohne Gott keine Ethik gibt, aber das ist Blödsinn. Alle ethischen Ansätze im 20. Jhdt. sind entweder rational (E.S. Moore), kommunikativ-diskursiv (Habermas), praktisch (Hans Jonas) oder bauen auf einer Theorie der Gerichtigkeit auf (John Rawls). Alle diese Werke sind dick, schwer zu verstehen und intellektuell sehr anspruchsvoll.


    2. Deine beste Lösung ist Peter Singer. Das ist eine australischer Ehtiker und Tierschützer, der heute in Princeton lehrt. Für Dich ist das die ideale Kombination. Du machst das so: Du stellst die kühne Hypothese auf, dass virtuelle Tiere wie reale zu betrachten und ergo auch zu behandeln seien. Das begründet Du so: Du sagst, wer sich virtuell inhuman verhält, wird dies vielleicht real auch so zu tun. Man nennt sowas einen "Analogie-Schluss". In der Ethik, die keine Wissenschaft ist, ist das logisch vollkommen zulässig.


    3. Den Rest holst Du dir von Singer. Du bist mir jetzt bitte nicht böse, wenn ich schreibe, dass Du mit dem Buch von Singer auch Deine Probleme haben wirst, aber im Vergleich mit der schweren Artillerie von oben (1.) ist das gar nichts.


    ASIN/ISBN: 3499199106


    Weitere Thesen auf Anfrage!

  • Hallo Bernd, Hallo Th. Walker Jefferson,


    in Sachen Sims hab' ich jetzt auch ein bisschen gegoogelt und gut gelacht über die Postings auf diversen Foren, in denen teils ernsthaft darüber diskutiert wird, ob man Sims töten "darf" (ja darf man, weil man hat ja auch alles zusammen 250 Euro dafür ausgegeben), ob es bereits Pädophilie ist, wenn man mit speziellen Codes Sims-Kleinkindern (nicht nur denen) ihrer Klamotten beraubt etc.


    Danke für den Buchtipp. Bin mal gespannt, ob ich da was draus ziehen kann. Ich hatte mir inzwischen überlegt, die kühne These aufzustellen, dass die Macher dieser Spiele allesamt in der Hölle schmoren sollten, weil sie das Programm (Nintendogs) ohne virtuellen Rastplatz zum Aussetzen der nach drei Wochen Spielzeit nervigen Hunde ausgestattet haben. ("In der Hölle schmoren" durch "Anzeige wegen Nötigung" / "Anzeige wegen antidemokratischer Umtriebe" ersetzen - was es dann zu beweisen gilt)


    Schönes Wochenende,


    Sven

  • Hallo Sven,


    es könnte interessant für dich sein, wie in der Philosophiegeschichte Tiere betrachtet wurden. Descartes z.B. sieht sie als eine Art Automaten, da sie seelenlos sind. Für Kant gehören Tiere zu den Sachen, da er nur zwischen Personen und Sachen unterscheidet. Die Ablehnung von Tierquälerei begründet er damit, dass dies zu einer Verrohung des Charakters führen würde.
    Die Diskussion über Tiere als ethische Subjekte gibt es erst in jüngster Zeit. Am wichtigsten ist hier sicher Peter Singer. Da stimme ich Thomas zu.


    Als literarische Anregung fällt mir Philipp K. Dicks Roman „Träumen Roboter von elektrischen Schafen“ ein, der seit der Verfilmung meist unter dem Titel „Blade Runner“ verkauft wird. Hier geht es aber eher um die Abgrenzung von Mensch und Maschine.


    Bei deiner Thematik drängt sich mir aber noch eine ganz andere moralische Frage auf: In welchem Zustand befindet sich eine Gesellschaft, die sich um die Behandlung virtueller Tiere Gedanken macht.


    Liebe Grüße
    Siegfried

  • Zitat

    Original von siegfried
    Die Diskussion über Tiere als ethische Subjekte gibt es erst in jüngster Zeit. Am wichtigsten ist hier sicher Peter Singer. Da stimme ich Thomas zu.
    Liebe Grüße
    Siegfried


    Singer ist ein kontoverser Typ, ganz klar. Er hat sich - in Grenzen - für die Abtreibung behinderter Föten, ja sogar für Euthanasie - in sehr eingeschränkten Fällen - ausgesprochen. Singer packt also furchtlos heiße Eisen an.


    Er ist aber eigentlich Biologe, also kein Philosoph. Aber er war der erste, der die Diskussion über den Tierschutz in den 70er Jahren auf das Niveau einer ethisch-moralischen Ebene gehoben hat. Ich glaube, für Sven wäre das genau der richtige Text.

  • Vielen Dank für die vielen sachdienlichen Hinweise.
    "Die Befreiung der Tiere" gibts leider nicht mehr bei amazon. Aber gegoogelt hab' ich ihn mir und bin dabei auf ein paar hilfreiche Zitate gestoßen. Das Stichwort "Speziesismus" kann ich natürlich wunderbar "verwursten". Danke, danke, danke.


    Auch Kant und Descartes haben mir weitergeholfen. Werd' ich auch gleich mal ein bisschen googeln. Jedenfalls ist das Nichts zwischen meinen Ohren nicht mehr ganz so leer, sondern fülllt sich langsam mit einem weißen Nebel. :-) Äh, ich mein natürlich =)


    Schönes Wochenende,


    Sven

  • Zitat

    Original von Th. Walker Jefferson
    Du stellst die kühne Hypothese auf, dass virtuelle Tiere wie reale zu betrachten und ergo auch zu behandeln seien.


    Vorsichtige Frage auf der Basis dieser Prämisse: Darf man das entsprechende Programm dann noch einfach so beenden oder unterbrechen?
    Schließlich behandelt man diese Individuen dann nicht mit dem Respekt, der Individuen zusteht. Oder doch? 8o


    Zitat

    In der Ethik, die keine Wissenschaft ist, ist das logisch vollkommen zulässig.


    Jetzt pack mal Dewey, Popper und Pierce wieder ins Regal! Es gibt auch andere philosophische Systeme, die die Ethik durchaus als ein wissenschaftliches System handhaben. Und wenn die oben genannten und von ihnen abhängenden Theoretiker keine Sprünge in ihren Schüsseln übersehen hätten, dann gäbe es kein Nachdenken mehr über noch bessere Systeme! :zwinker