ISBN: 3442554330
„Lesen Sie Tiefsee“ steht auf dem Cover meiner gelbstichigen Ausgabe von 1985. Dazu „Nichts ist spannender“. Möglicherweise eine Untertreibung.
Vor der Küste Alaska sickert ein Nervengift in das Eismeer, das schon in kleinsten Mengen bei Berührung tödlich ist. Dirk Pitt, Vietnamveteran und Mayor einer Bergungsorganisation, wird von höchster Stelle beauftragt, die Quelle des Nervengiftes zu lokalisieren und unschädlich zu machen. Der Job ist schnell erledigt. Doch stellt ihn die Lösung vor ein neues Rätsel: die Giftfässer lagerten in einem Boot, dem sämtliche Identifizierungsmerkmale fehlen. Pitt geht dem Geheimnis auf eigene Faust nach – während er sich einem neuen, ebenso brenzligen Auftrag widmen muss. Diesmal wurde der US-Präsident mit samt seiner Jacht und zwei Senatoren entführt. (Im Buch sind erst 50 Seiten vergangen.) Pitt findet heraus, dass sowohl das in Alaska geortete „Todesschiff“ als auch die Entführung des Präsidenten zusammenhängen und alle Fäden bei einer koreanischen Reederei zusammenlaufen. Es geht um nichts geringeres, als durch die Manipulation des Präsidentenbewusstseins aus den USA eine Diktatur zu machen.
Zugegeben: das Buch ist nichts für Leute, die bei einem Informatiker mit Zopf oder bei französischen Agenten, die sich über ihre „Rendezvous“ unterhalten, „Klischeealarm!“ schreien. Auch in Sachen „Action“ gibt es packendere Bücher. Zum Beispiel Matthew Reillys „Ice Station“. Aber das Buch macht einen Riesenspaß. Es liest sich so, wie sich ein James Bond Film aus den Sechzigern „anfühlt“. Ein bisschen grobkörniger aber in den Farben auch satter als Technicolor. Es ist ein naives Buch. Es wurde in einer Zeit geschrieben, in der man schon ernüchtert genug war, einen Computer nicht mehr als „Elektronengehirn“ zu bezeichnen, aber sich zu einem schnöden „Rechner“ noch nicht durchringen konnte. Konkret: der amerikanische Präsident ist „gut“, es gibt aufrechte und unbestechliche Männer – und Frauen (sie tragen aber– häufig – Hotpants oder enge Kostüme) und am Ende kommt immer die Kavallerie. Darüber mag man heutzutage müde lächeln, aber während der Blick über die zerflederte „taz“ schweift ertappt man sich bei dem Gedanken: schön wärs doch – nicht nur wegen der Hotpants. Clive Cussler erschreibt mit Sicherheit keine „plastischen Charaktere“ – aber er versteht es uns zu Augenzeugen unglaublichster Handlungsfäden zu machen: Wir sehen eine Spitze rauchende, koreanische Grand Dame die in ihrem Rollstuhl sitzt und von ihrem Büro im World Trade Center aus, das „Schicksal der freien Welt“ in ihren langen, dünnen Fingern hält. Wir sehen einen Raddampfer aus dem US-Bürgerkrieg, der mit altertümlichen Kanonen ein als Forschungsschiff getarntes Kriegsschiff angreift. Wir sehen KGB Neurologen, die im Hirn des US-Präsidenten herumprogrammieren – und wir können gar nicht anders, als Cussler zu folgen. Sehen heißt glauben. 476 Seiten lang. Die sollte man gelesen haben.