Clive Barker "Spiel des Verderbens"

  • ASIN/ISBN: 3453771052


    Kurzbeschreibung (amazon)
    Gerade aus dem Gefängnis entlassen muss Leibwächter Marty Strauss seinen Arbeitgeber, einen der reichsten Männer der Welt, vor dessen schlimmstem Feind beschützen – doch dieser ist kein Mensch. Eine grauenhafte Macht des Bösen ist hinter den beiden her, und ihr Schicksal scheint unausweichlich.



    Meine Meinung:
    Vollwertkost für Leichenfledderer


    Clive Barker serviert das Grauen abgehangen und vakuumverpackt: Seine Beschreibungen sind so eindringlich, wie das Summen eines Fliegenschwarms. So etwa, wenn eine Frau sich in der dunklen Abgeschiedenheit ihres Zimmers in Zentral-London darüber klar wird, dass sie nicht nur tot, sondern im Verwesungsprozess schon weit fortgeschritten ist. Oder wenn er einen Gegner mit den Worten schildert: „(er sah aus) wie ein Mann, aus dem gleich Schmetterlinge hervorquellen. Ihre Flügel schlugen von Innen gegen die Hülle, ihre Emsigkeit zerschmetterte seine Knochen.“


    Auf den ersten Seiten wird klar, was der Roman bietet: Verwesung aus der Madenperspektive. Egal, ob es sich dabei um sozialen, psychischen oder physischen Verfall handelt – der Leser erlebt hautnah die gelangweilten Exzesse der „Reichen und Schönen“ oder die verspießte Dekadenz der „Kleinen Leute“, die mit „Nutten, Drogen und ‚Tausend ganz legalen Steuertricks’“ ihr Los erträglicher machen wollen. Darüberhinaus werden Ehen gebrochen, ein Hotel verbrannt, Unternehmen zugrunde gewirtschaftet, Hunde getötet, Menschen getötet und Kinder gegessen. Barker gelingt es, das Thema „Verfall“ bis in die letzte Metapher zu transportieren – so gekonnt, dass ich mich frage, ob Beschreibungen wie „geduldig wie ein Geier“ nicht allgemeiner Sprachgebrauch sind?


    Manchmal bekam ich den Eindruck, dass Barker seinem „Inneren Zensor“ die Extremitäten abgeschnitten und in den Hintern geschoben hatte: Es kommen Szenen vor, die in der filmischen Umsetzung wie eine Hardcore-Porno-Version von Buttgereits „Nekromantik“ aussehen würden.
    Dennoch habe ich nicht den Eindruck, es ging Barker um den kalkulierten Tabubruch oder um den „Effekt um des Effektes willen“. Seine Motivation ist eher die eines mittelalterlichen Kirchen-Malers, der die Schrecken der Hölle besonders konkret und detailliert darstellen wollte – um den Himmel umso begehrlicher erscheinen zu lassen. Der ist bei Barker nicht mehr, als ein paar kalt funkelnde Sterne über unseren Köpfen und der Hoffnung, dass der nächste Tag nicht ganz so düster wird: Der Horror in
    „Spiel des Verderbens“ ist nichts, was man bezwingen kann - unsere Existenz endet zwangsläufig im Albraum des Verfalls. Die einzige Rettung besteht darin, den Tatschen in Augen zu blicken und sich damit abzufinden. Die Frau, die einsam ihren Verfall bemerkt, gehört zu keinem fiktiven „Monstren-Stadel“, wie beispielsweise bei S. King. Sie ist die mit Implantaten aufgepolsterte, Fett abgesaugte, geliftete und auf RTL II eifrig nach Aufmerksamkeit heischende „Gesellschaftsdame“.


    Clive Barkers „Spiel des Verderbens“ ist ein Buch, das mir im Nachhinein viel besser erscheint, als während des Lesens. Vielleicht deshalb, weil der Horror nicht in portionsgerechten Happen serviert wird, sondern in einem blutigen, verknorpelten Brocken, den man ersteinmal verdauen muss. Umso besser, dass Barker es versteht, sein Thema schmackhaft zuzubereiten und sich auch nicht für den ein oder anderen Witz zu schade ist. Zum Beispiel wie in folgendem Dialog, in dem es um Whiteheads Zeit in Warschau geht:
    „Schrecklich, was sie getan haben.“
    „Die Deutschen?“
    „Die Städteplaner.“
    Der Horror ist allgegenwärtig.