Wir reden hier über einen Herrn, dem unbeabsichtigt Sätze herausrutschen wie: Die Serben sind noch größere Opfer als die Juden.
Jetzt habe ich's getan. Ich habe polarisiert. Dabei liegen die Fakten auf dem Tisch, und es geht nur noch um ihre Bewertung. Nur noch? Es scheint mir, das ist die eigentliche Crux.
Als ich hier den Begriff "alternative Fakten" einbrachte, da ging es mir um Kriegsverbrechen. So wie Bora Ćosić im oben verlinkten Artikel in der NZZ ironisch fragt: "Was ist Wahrheit? - (...) Vielleicht hat ja Serbien vor dreissig Jahren gar nicht unzählige Verbrechen an der nichtserbischen Bevölkerung begangen, wie vielleicht auch die anderen nicht etwas Ähnliches an den Serben verübt haben?"
HD benutzt die "alternativen Fakten" zuletzt, um "unlautere Bashings" gegen Handke zu bezeichnen. Der Unterschied ist vielleicht von Belang: Einmal geht es um Fakten (Kriegsverbrechen), das andere Mal um Wertungen (Ist der Handke wirklich so verkommen?).
Die eine Seite argumentiert, dass Handke Fakten verdreht, so etwa der Premierminister Albaniens, Edi Rama. Er schreibt in der Welt, Handke rufe zum Hass auf und verstärke Vorurteile. Überhaupt scheinen mir Menschen mit direktem Bezug zu den Balkankriegen weitaus weniger Verständnis für den diesjährigen Literatur-Nobelpreis zu haben als Außenstehende.
Die andere Seite gibt sich gern abgeklärt. Was war denn eigentlich so schlimm? Und Stockholm hat sich ja auch noch einmal geäußert. (Was ich selbst für eine Schwäche halte. Die Rechtfertigungshaltung von zwei Mitgliedern zeugt davon, dass die Entscheidung nicht für sich alleine stehen kann.)
Und so geht die Debatte ja auch weiter. Der "Standard" schreibt, "mit der Verabschiedung von prinzipiellen Überlegungen und kultivierten Urteilen sabotieren sich Intellektuelle wie Handke selbst – und Institutionen wie die Schwedische Akademie."
Gibt es keine Conclusio? Keine Synthese? Was bringt die Dialektik eigentlich noch, wenn man sie mal braucht?
Wahrscheinlich gar nichts. Höchstens eins fällt mir ein. Im Spiegel formuliert das Tijan Sila in einem Gespräch mit Arno Frank, wo beide Seiten aufeinandertreffen: "Gegenfrage: Warum hat Dich gerade dieser Preis in eine solche Bestätigungslaune versetzt? Wieso gerade Handke? Was ist es an ihm, das Leute in die Bereitschaft versetzt, dieses krasse Nebeneinander von Werk und Scheiße auszuhalten?"
Wenn man also umgekehrt fragt: Warum eigentlich ausgerechnet Handke? Weil „die politische Korrektheit eine krachende Ohrfeige erhalten“ hat? Toms verlinkter Kommentar in der FAZ zitiert Denis Scheck ja gleich zu Anfang.
Vielleicht sollte das die richtige Reihenfolge sein: Man fragt sich, warum jemand den Nobelpreis für Literatur erhält, anstatt ein Ergebnis auf Teufel komm raus verteidigen zu wollen. Was sind die Voraussetzungen?
Wiki schreibt, dass Nobelpreise allgemein „denen zugeteilt werden, die […] der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben“. Es "soll mit dem Preis für Literatur ausgezeichnet werden, wer „das Vorzüglichste in idealistischer Richtung geschaffen hat“.
Ist Handke das? Dann bitte.