Mich lässt diese ganze Situation sehr hilflos zurück.
Man sitzt zu Hause, liest sich verschiedene Zeitungsartikel durch, viele davon unreflektiert auf Redaktionslinie oder von vermeintlichen Experten, die eine rein emotionale Diskussion führen und dies als große Errungenschaft ihrer eigenen Differenziertheit feiern.
Die Generation Y, zu der ich ja nun gehöre, entwickelt gerade eine fast beängstigende Tendenz zur Realitätsflucht. Erst kürzlich habe ich einen Artikel in der 'Zeit' gelesen, der sich genau damit auseinandersetzt. Auch wenn die 'Hipster' argumentieren "Erst wenn man mit sich selbst klarkommt, kann man anderen helfen", wird im Grunde diagnostiziert, dass sich meine Generation vor der Verantwortung drückt. Und genau so ist es!
In den letzten 300 Jahren drehte sich die Welt immer schneller, in den letzten 70 Jahren durchbrachen wir informationstechnisch die Schallmauer und mit dem Internet haben wir es geschafft, dass jeder immer und überall durch jeden immer und von überall erreicht werden kann. Unsere Zeit ist so schnelllebig, die politischen Probleme so komplex, dass es gar nicht mehr möglich ist alles zu durchschauen. Wer von den Normalbürgen kann sich den rühmen die Finanzkrise wirklich zu durchschauen? Griechenland rein oder raus? Was war das noch gleich mit den Republikanern im US-Senat? Dieses Unvermögen zu verstehen schürt Angst. Ich empfinde es als sehr bedrohlich, was die Finanzkrise da über uns gebracht hat und genauso bedrohlich empfinde ich die Republikaner im Senat der USA.
"Das beste Mittel gegen die Angst ist Bildung, Aufklärung und Information." Grundsätzlich stimme ich dem zu, aber es gibt so viele tendenziöse Artikel im Internet über die Finanzkrise, dass ich nach deren Lektüre genauso klug bin wie vorher, nur jetzt habe ich noch mehr Angst, weil jeder Artikel eine ganz konkrete Dystopie ersinnt wie der Euroraum gegen die Wand fährt.
Und hier spanne ich jetzt den Bogen zur Religion. Solange es die Gesellschaft/Politik nicht schafft, den Menschen einen Perspektive zu geben, werden Religionen Zulauf haben. Meine Kommilitonen wünschen sich ihr Reihenhaus, ihre 2,3 Kinder, die 1,5 Autos und den halben Apfelbaum den sie in ihrem Garten pflanzen. Aber wie realtistisch ist dieser Wunsch für einen Jungen mit 15 in einem der Pariser Brennpunkte, der jeden Tag hoffen muss sein Abendessen zu bekommen? Die Religion dagegen bietet dir eine Perspektive, völlig unabhängig von deinen Finanzen, deiner Herkunft und auch deiner aktuellen Lebensrealität, die geradezu bestechend ist - ein Leben nach dem Tod im Paradies. Über Sinn und Unsinn und über Glaubhaftigkeit lässt sich trefflich streiten, das möchte ich hier auch gar nicht weiter beschreiben. Aber wenn man mal die Realität für einen kurzen Augenblick beisete schiebt, ist das nicht eine verlockende Vorstellung?
Ich möchte die Attentäter nicht verteidigen. Ganz im Gegenteil, ich klage sie an Menschen umgebracht zu haben, dass ist eine furchtbare Tat. Aber gleichsam klage ich die Gesellschaft an, die Politik, aber auch die Menschen um uns herum, dass sie es zulassen, dass das Leben von Menschen so schlecht ist, dass die hypothetische Möglichkeit eines Paradieses nach dem Tod das verlockenste Angebot ist, was sie ergreifen können.
Natürlich hat der Islamismus etwas mit dem Islam zu tun, die Kreuzzüge hatten auch was mit dem Christentum zu tun. Wenn man den Vergleich bemüht, dann ist die Zahl der Islamisten geradezu überschaubar.
Und auch wenn der Islamismus etwas mit dem Islam zu tun hat, widerstrebt es mir zutiefst den Muslimen zu verbieten in Köln Moscheen zu bauen. Auch wenn sie unsere Glaubensfreiheit torpedieren, sollten wir nicht das gleiche im Gegenzug machen. Gleichsam muss man ein Zeichen setzen und ich empfand diesen Marsch in Frankreich mehr als ein Zeichen. Die Berichterstattung hat sich vielerorts wieder nur darauf beschränkt darauf hinzuweisen, dass am Tag darauf alles wieder beim alten ist und die Probleme dadurch nicht gelöst werden. Da haben sie zweifellos recht. Aber wann waren das letzte mal 2 000 000 Menschen auf den Beinen. 2 000 000! Ist das nicht unglaublich? Sollte das einem nicht Mut machen? Ich finde schon.
Menschen sind Zündschnüre, aber nur wenn die Gesellschaft das Pulverfass ist.