Hallo allerseits!
Vielleicht begebe ich mich mit diesem Beitrag auf dünnes Eis - auf besonders dünnes Eis -, denn das Buch, das ich hier vorstellen möchte, habe ich "nur" umgesetzt, also in Buchform gebracht. Und dann ist das Buch auch noch als On-Demand-Version erschienen. Wenn also die Verantwortlichen der Meinung sind, das Buch gehört aus diesen Gründen hier nicht vorgestellt, dann lässt sich das wohl nicht verhindern. Ich bitte dann aber um kurze Nachricht.
Zum Buch:
Hartmut Dühr, der Verfasser des Original-Manuskriptes, ist mein "Schwipp-Onkel" - so nennt man wohl die angeheiratete Verwandtschaft. Das Manuskript fand sich im Nachlass seiner jüngeren Schwester, die Anfang 2010 verstarb. Ich habe das Manuskript gelesen und fand, dass es unbedingt veröffentlich gehört. Glücklicherweise waren die Witwe des Autors und dessen Kinder der gleichen Auffassung, und so wurde aus einem 20 Jahre alten und fast verloren geglaubten Manuskript doch noch ein Buch.
Klappentext:
Hartmut Dühr wird 1924 in Celle geboren, damals preußische Provinz Hannover - heute Niedersachsen. Die Familie ist durch den Vater, ein Studienrat an einer Celler Schule, deutsch-national geprägt, und so wird die Machtübernahme durch Hitler im Januar 1933 zunächst begrüßt. Hartmut durchläuft in den folgenden Jahren die typischen Stationen eines Jungen im Dritten Reich: Jungvolk, mit 14 die Hitler-Jugend, mit 17 die Musterung für das Militär. Weil ihm für die Zeit nach seinem Kriegsabitur ein kostenloser Studienplatz für Medizin angeboten wird, meldet er sich - das war die Bedingung - zur Waffen-SS, ohne zu ahnen, wem er damit seine Seele verpfändet. Mit dem Kriegsende findet er sich in Kriegsgefangenschaft als Angeklagter wieder, und langsam wird ihm klar, was in Nazi-Deutschland geschehen war. Er beginnt sich die Frage zu stellen, wie weit er selbst schuldbelastet ist: Täter, Mitläufer oder Verführter? 40 Jahre nach dem Ende seiner Gefangenschaft schreibt er seine Lebensgeschichte auf, um zu zeigen, dass nur Selbsterkenntnis zur Versöhnung führt.
Harrtmut Dühr stirbt 1994 in Duisburg
Statt das Buch selbst zu beschreiben und zu kommentieren, stelle ich hier lieber Teile eines Artikels in der "Celleschen Zeitung" vom 16.12.2010 ein:
Lebensbeichte eines Celler „Mitläufers“: Beitritt zur SS ermöglicht Medizinstudium
Von Andreas Babel
CELLE. Wahrscheinlich ist erst jetzt die Zeit reif für ein ungewöhnliches Buch. Zu Lebzeiten des Autors hat sich kein Verlag dafür gefunden. Auf 150 Seiten legt ein Celler Kind seine Lebensbeichte ab. Hartmut Dühr wird 1924 als Sohn eines Lehrers in Celle geboren. Er wird zum Mitläufer. Die SS ermöglicht ihm ein Medizin-Studium. Der 1,94 Meter lange magenkranke junge Mann sieht nicht, mit wem er da gemeinsame Sache macht.
Sein Buch schreibt er gut 40 Jahre später - auch um zu warnen: „Denn die Gefahr, Mitläufer zu werden, gibt es überall, auch wenn ihr Weg nicht an so grauenhaften Abgründen vorbeiführt wie unser Weg damals“, schreibt er am Ende seines zweiten Vorwortes im Juli 1990. Zwanzig Jahre später ist es seiner Nichte Magdalene Bothe zu verdanken, dass seine Aufzeichnungen tatsächlich einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Im Entnazifizierungsverfahren wird Dühr als „Entlasteter“ deklariert. Dennoch bezeichnet er sich selbst als „Mitläufer“. Das Geleitwort hat kein Geringerer als Heinrich Albertz (1915 bis 1993) geschrieben. Der war nach dem Krieg Flüchtlingspastor in Celle und später Regierender Bürgermeister von Berlin. „Vor allem junge Leute sollten diesen Bericht lesen, damit sie weniger hochmütig über ihre Großväter und Väter urteilen und die Gefahren eigner Verstrickung erkennen. Torheit und Feigheit sind zeitlos. Aber Vernunft und Hoffnung auch. Dies ist ein wichtiges Buch“, schreibt Albertz.
Obwohl sein Vater aus einem alten preußischen Philologen- und Theologengeschlecht stammt, deutsch-national und keineswegs antisemitisch eingestellt ist, gerät der kleine Hartmut wie viele Millionen in den 30er Jahren in den Sog der Nazi-Bewegung. Obwohl er kein Sport-Ass ist, findet er Gefallen, bei der Hitlerjugend (HJ) mitzumachen. Als Junge liebt er es, durch die weite Natur zu stromern. Dazu hätte es indes nicht eines Beitritts zur HJ bedurft, denn die Familie bewohnt seinerzeit das letzte Haus vor der damaligen Stadtgrenze an der Clemens-Cassel-Straße.
Warum er dennoch bei dem Haufen mitmacht, weiß er aus der Rückschau auch nicht mehr so genau. Er beschreibt die Übungstage im Schlossinnenhof und später auf dem Schützenplatz. Dort wird er 1936 von einem Ausbilder so schikaniert, dass sich daraus ein 33 Jahre währendes Magenleiden bildet. Bis Ende der 30er Jahre entwickelt der Jugendliche aber kein kritisches Bewusstsein. „Wir waren es vom Elternhaus und von der Schule her gewohnt, zu lernen, und nicht, zu fragen. Es bleibt eine deprimierende Feststellung. Auch wir, die wacheren freien Geister jener Zeit, soweit wir nicht durch das Elternhaus oder eine andere Bezugsperson immunisiert waren, hatten es gelernt, fraglos in ,zwei Reichen' zu leben“, schreibt Dühr.
1939 oder 1940 zieht Dühr mit einem HJ-Trupp auch vor das Haus seines „halbjüdischen“ Biologielehrers, wo die Jugendlichen einen Sprechchor mit antijüdischem Inhalt anstimmen. „Der Hordenzwang hielt mich fest, machte mich überlegens- und handlungsunfähig. Mit der Erinnerung an dieses totale Versagen muss ich leben“, sagt der Autor.
Bei der Einberufung bekommt der Autor das Angebot, bei der SS Medizin zu studieren. Doch wenig später erlebt er Menschenverachtendes, was ihn davon Abstand nehmen lässt, jemals Arzt dieser Organisation werden zu wollen.
Aufgrund seines Alters und seines Magenleidens bleibt Dühr von Erfahrungen verschont, die viele andere in dieser Zeit gemacht haben. Immerhin hat er am 21. April mit ansehen müssen, wie zwei blutjunge Deserteure erhängt worden sind. Dühr ist aber kein Held wie Dietrich Bonhoeffer. Er springt nicht aus dem Glied und begehrt nicht gegen diese furchtbare Tat auf.
In der Gefangenschaft findet keine politische Erziehung der deutschen Gefangenen statt, berichtet Dühr. Er sieht aber schon bald ein, welche Ungeheuerlichkeiten im Namen des deutschen Volkes geschehen sind. Am 7. Dezember 1945 schreibt er Folgendes in einem Brief: „All das erfüllt einen mit Grausen, wenn man bedenkt, dass wir solchen Verbrechern wie der Clique um Hitler - und ihm selbst! - bedingungslos folgten, ohne ihren wahren Charakter zu erkennen. Waren wir denn blind und taub?“
Dühr hatte es leichter, solch ein Buch geschrieben zu haben, denn angeblich hat er „keinen Schuss abgegeben“ und „keinen Menschen verletzt oder verfolgt“. Das bezeichnet er nicht als sein Verdienst, sondern als Folge der Umstände, seiner Verletzung und seiner Krankheiten.
Hartmut Dührs Kinder sind heute allesamt im kirchlichen Bereich tätig: Mechthild, heute 53, verheiratet, lebt als Organistin in Duisburg; Ulrich, 51, verheiratet, drei Kinder, ist Archivar am Landeskirchenarchiv in Düsseldorf und Christoph, 50, verheiratet, zwei Kinder, ist Pfarrer in Eschwege. Hartmut Dührs Witwe Marlene, inzwischen 77, lebt heute ebenfalls in Eschwege.
1962 hat Hartmut Dühr die „Christlich-Jüdische Arbeitsgemeinschaft Niederrhein“ mitgegründet. Er war 15 Jahre lang Vorsitzender dieser Vereinigung. „Ich habe diese Arbeit auch nicht als Wiedergutmachung getan. Man kann auch durch die offenherzigsten Gespräche nicht wiedergutmachen, was deutsche Menschen, von uns, von mir unbeachtet, an unsäglicher Demütigung, Folterung und Vernichtung Millionen jüdischer Menschen angetan haben“, bewertet Dühr seine Arbeit in diesem Bereich. Mitte der 80er Jahre kehrt er für kurze Zeit ins einstige Elternhaus nach Celle zurück, ehe er seinem Geburtsort den Rücken kehrt.
Bezugsquelle: „Ergebung ohne Widerstand“ von Hartmut Dühr, Books on Demand, 9,90 Euro, ISBN 978-3-8423-3030-6.
Um einen Einblick in das Buch zu ermöglichen, gibt es jetzt noch zwei Leseproben als PDF, die direkt aus der Druckvorlage des Buches stammen (eine 1:1-Abbildung des Buches sozusagen)