Beiträge von Shabana

    Ihr seid gut strukturiert, was das Administrative betrifft, idealistisch und leidenschaftlich in Bezug auf Literatur ... also lauter Gründe, um WIRKLICH stolz zu sein! Hat mich gefreut, einige von euch kennen zu leren! :)

    Zufällig habe ich eine Poe-Bearbeitung in meiner Schublade ... Ich hab die schon mal in einem anderen Forum veröffentlicht, sie wurde dort ziemlich kontroversiell beurteilt, und ich hab sie dann auch löschen lassen. Vielleicht will es ja jemand von euch lesen und mir was dazu sagen? :-) Könnte sie auch in der Textwerkstatt einstellen, dafür ist sie aber vielleicht zu lang (2 Seiten)?

    Ich lese gerade wieder einmal Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften". Auch weil ich ein bestimmtes Zitat finden wollte, das sich mit der Theorie des Erzählens befasst und das Erzählen an sich als menschliches Verhalten sieht, das eigene Leben zu bewältigen, sozusagen jeder erzählt sich sein Leben selbst.


    Hier zunächst das Zitat:


    Und als einer jener scheinbar abseitigen und abstrakten Gedanken, die in seinem Leben oft so unmittelbare Bedeutung gewannen, fiel ihm ein, daß das Gesetz dieses Lebens, nach dem man sich, überlastet und von Einfalt träumend, sehnt, kein anderes sei als das der erzählerischen Ordnung! Jener einfachen Ordnung, die darin besteht, daß man sagen kann: "Als das geschehen war, hat sich jenes ereignet!" Es ist die einfache Reihenfolge, die Abbildung der überwältigenden Mannigfaltigkeit des Lebens in einer eindimensionalen, wie ein Mathematiker sagen würde, was uns beruhigt; die Aufreihung alles dessen, was in Raum und Zeit geschehen ist, auf einen Faden, eben jenen berühmten "Faden der Erzählung", aus dem nun also auch der Lebensfaden besteht. Wohl dem, der sagen kann "als", "ehe" und "nachdem"! Es mag ihm Schlechtes widerfahren sein, oder er mag sich in Schmerzen gewunden haben: sobald er imstande ist, die Ereignisse in der Reihenfolge ihres zeitlichen Ablaufes wiederzugeben, wird ihm so wohl, als schiene ihm die Sonne auf den Magen. Das ist es, was sich der Roman künstlich zunutze gemacht hat: der Wanderer mag bei strömendem Regen die Landstraße reiten oder bei zwanzig Grad Kälte mit den Füßen im Schnee knirschen, dem Leser wird behaglich zumute, und das wäre schwer zu begreifen, wenn dieser ewige Kunstgriff der Epik, mit dem schon die Kinderfrauen ihre Kleinen beruhigen, diese bewährteste "perspektivische Verkürzung des Verstandes" nicht schon zum Leben selbst gehörte. Die meisten Menschen sind im Grundverhältnis zu sich selbst Erzähler. Sie lieben nicht die Lyrik, oder nur für Augenblicke, und wenn in den Faden des Lebens auch ein wenig "weil" und "damit" hineingeknüpft wird, so verabscheuen sie doch alle Besinnnung, die darüber hinausgreift: sie lieben das ordentliche Nacheinander von Tatsachen, weil es einer Notwendigkeit gleichsieht, und fühlen sich durch den Eindruck, daß ihr Leben einen "Lauf" habe, irgendwie im Chaos geborgen. Und Ulrich bemerkte nun, daß ihm dieses primitiv Epische abhanden gekommen sei, woran das private Leben noch festhält, obgleich öffentlich alles schon unerzählerisch geworden ist und nicht einem "Faden" mehr folgt, sondern sich in einer unendlich verwobenen Ebene ausbreitet.



    Ich finde das in Bezug auf das Erzählen ein sehr hellsichtiges und anregendes Zitat und würde es hier gerne zur Diskussion stellen, auch weil ja am Ende anklingt, dass die Moderne diesen "Faden" zerstört hat oder nicht mehr an ihn glaubt, episches Erzählen also eigentlich unmöglich wird. Leider gibt es hier keine eigene Rubrik für literaturtheoretische Fragen (was vielleicht notwendig wäre), oder ich hab es nicht gesehen, so habe ich es hier eingestellt.

    Die Diskussion hier, ob etwas derart Schreckliches eine gute Vorlage für eine literarische Bearbeitung bietet, markiert genau die Grenze, ob ich Literatur nur als Beiwerk und etwas Unterhaltsames ansehe oder ob ich Literatur mehr zugestehe. Bei Ersterem muss ich Hugos Ansinnen zurückweisen, wenn ich Literatur aber ernst nehme und ihr einen Erkenntnisgewinn zugestehe, dann gibt es KEINE unerhörten Ereignisse, die nicht gut als literarische Vorlage dienen können.

    Für mich ist ein Schreibkrampf ein Zeichen dafür, dass man einen Schritt weiter gemacht hat, vielleicht ist einem das gar nicht bewusst, aber etwas hat sich weitergedreht, und jetzt muss man alles nachziehen, man kann sich nicht mehr auf dem bereits Geschriebenen ausruhen und einfach nach Plan weitermachen, sondern muss nachjustieren, den ganzen Wust an Gedanken neu durchdenken usw., sich praktisch neu ordnen. Also das heißt: Das ist positiv! ;)

    Mir geht es schlicht und einfach um Wahrheit, und zwar um eine Wahrheit jenseits von Wissenschaft, Religion und was es sonst noch so an Erkenntnismodellen gibt. Eine Wahrheit, die weder subjektiv noch esoterisch ist, um neue Zusammenhänge, um Ähnlichkeiten, wo sonst niemand Ähnliches sieht, Ähnlichkeiten, die nicht zuletzt auch aus einem bestimmten ästhetischen Anspruch heraus hergestellt werden sollen, sich aus dem Spiel mit und dem Ringen um Schönheit ergeben. Um alles das, was in unserer aufgeklärten Gesellschaft durch den Rost fällt oder sich knirschend wie Sand im Getriebe festsetzt. Gerade in den Brüchen und Widersprüchen unserer Welt, und ja die gibt es, auch wenn sich alle beeilen, schlechthin alles zu erklären und zu verstehen, in Widersprüchen, die sich jeder Erklärung entziehen, leuchtet manchmal eine andere Wahrheit auf, die wir dann bannen können, wenn wir mit ANDEREN Worten darüber reden oder schreiben. Das Schwere ist, diese anderen Wahrheiten sprachlich hervorzubringen, das geht nur mit höchstmöglicher Präzision. Ja, das ist mein eigentliches Ziel: Mit möglichst genauer Sprache neue Wahrheiten auf die Welt zu bringen.

    Auf die Gefahr hin, dass ich hier eine Grundsatzdiskussion lostrete, aber ich halte Ausschreibungen dieser Art für problematisch. Es ist nicht die Aufgabe der Literatur, gegen derartige Missstände anzuschreiben, es kann hier nur Tendenzliteratur herauskommen. Man sollte den Feldzug gegen Genitalverstümmelungen Organisationen überlassen, die sich damit auskennen, und diese unterstützen, ja, aber literarische Texte sind da sicher der falsche Weg.


    Auch den Slogan "Mein Körper gehört mir" halte ich für ein plattes Thema. Es ist so selbstverständlich, gegen Genitalverstümmelung zu sein, und es ist doch jedem klar, dass Frauen selbst über ihren Körper bestimmen sollen. Warum sollte ich darüber eine Geschichte schreiben, wenn ich die Antworten schon weiß? Literatur sollte neue und differenzierte Sichtweisen bieten. Das wäre hier nicht möglich. Ich schreibe über Dinge, bei denen ich mir nicht sicher bin, über Dinge, an denen ich mich gedanklich abarbeiten muss, und bei denen mir nicht von vorneherein schon klar ist, dass ich sie ablehne und ablehnen muss.


    Auf der anderen Seite stelle ich mir auch schwierig vor, über Frauen zu schreiben, zu deren Kultur wir (mitteleuropäische Autoren und Autorinnen) kaum Zugang haben bzw. über die wir kaum etwas wissen. Und: ich kenne einige afrikanische Frauen, ein paar davon sind sicher beschnitten, ich hab sie allerdings nicht gefragt. Aber fast ohne Ausnahme erscheinen sie mir weit selbstbewusster, fröhlicher und lebendiger zu sein als europäische Frauen, sie haben meist weit mehr weibliche Präsenz als wir.


    Nur wenn wir auch unsere eigene Position als mitteleuropäische Frauen im Verhältnis dazu sehen würden, zum Beispiel ob nicht eine Art Genitalverstümmelung auch bei uns stattfindet, und zwar weniger auf einer körperlichen als auf einer symbolischen oder kulturellen Ebene (ich sage nicht, dass ich dieser Meinung bin, aber das ist etwas, was mir noch nicht klar ist). Das würde auch verhindern, dass wir Afrikanerinnen als arme Opfer sehen, denen wir unsere aufgeklärte Sichtweise unbedingt nahe bringen müssen.

    "Schnuckelig kleine Netbooks" wollte ich nicht, das heißt, ich hab schon einen Neuen, einen Toshiba nämlich! ;)


    Trotzdem danke für eure Antworten! :strauss