Oder:
Wer die Geister ruft, den fressen sie auf
Charles Stross gehört zur jüngeren Garde britischer Science Fiction-Autoren, die das Genre durch neue, eigenwillige Geschichten bereichert haben. In Deutschland sind von ihm bereits drei Romane erschienen. Sie sind alle der so genannten Hard Science-SF zuzurechnen, nutzen also neueste Erkenntnisse aus Physik, Kosmologie und Computertechnik als treibende Ideen.
„Dämonentor" erschien bei Heyne. Der Roman ist Stross‘ vierte Veröffentlichung in Deutschland und gleichzeitig sein erster Mystery-Thriller. Er läßt den britischen Geheimdienstler Bob Howard von seinen ersten beiden Fällen berichten. Howard ist allerdings nicht beim MI5 oder bei George Smiley’s „Circus" angestellt, sondern er arbeitet für die ‚Wäscherei‘. Und die „Wäscherei" jagt Dämonen, gemeingefährliche Geister und Geisterbeschwörer. Sie tritt immer dann in Aktion, wenn spinnerte Esoteriker aus Versehen sumerischer Körperfresser, vergessene Todesgötter oder bewußtseinsfressende Raubtiere aus parallelen Universen beschwören.
Stross‘ Roman liegt eine ziemlich schräge Prämisse zu Grunde: Magie funktioniert – und wenn man sie mit moderner Computertechnik koppelt, funktioniert sie sogar noch besser. Flüche, Beschwörungsformeln, Zaubersprüche und ähnliche Praktiken lassen sich, schön platonisch, auf reine Ideen, also mathematische Formeln und Algrorithmen zurückführen. Genies wie Einstein und Alan Turing haben das entdeckt und auch erforscht. Aber die um die allgemeine Ordnung besorgten Regierungen halten das Wissen unter Verschluß und haben spezielle Abteilungen der Geheimdienste damit beauftragt, die Geheimhaltung zu wahren. Neben der Wäscherei des Vereinigten Königreichs gehört die ‚Schwarze Kammer‘ der US-Regierung zu diesen ganz speziellen Diensten.
Die Gefahren kybernetischer Magie sind sehr real: Wenn man zum Beispiel ein Pentagramm aus Draht unter Strom setzt, diesen Strom per Computerprogramm moduliert, die Konstruktion erdet und Blut auf die angeschlossenen Kondensatoren tröpfeln läßt, öffnet man hungrigen und sehr bösen Wesen aus parallelen Welten eine Tür. Und wer dem Beschwörungskreis zu nahe ist, dem saugen sie das Hirn aus….
Bob Howard nun ist am Anfang der Geschichte noch kein Außendienst-Agent, sondern ein Systemadministrator. Er wartet und pflegt die Computernetze und Server der ‚Wäscherei‘. Dabei schlägt er sich mit IT-Legasthenikern herum, die ihre Festplatte schrotten, sobald sie versuchen, E-Mails zu schreiben. Und er kämpft, wie alle Büroarbeiter heutzutage, mit neurotischen Vorgesetzten, absurden bürokratischen Regeln und konfusen Management-Prinzipien.
Letzteres heißt dann Matrix-Management und sieht so aus: 30% der Arbeitszeit für Harriet aus der IT, 5% fürs Archiv, der Rest für Alan vom Außendienst. Und über die Arbeit für seinen Außendienst-Chef darf er mit Harriet, seiner IT-Vorgesetzten, nicht sprechen. Leider ist Harriet leicht reizbar. Außerdem mißt sie bürokratischen Regeln den Rang von Naturgesetzen zu und wird von Minderwertigkeitskomplexen gegenüber intelligenten Männern geplagt.
Eine von Bobs ersten Außendienst-Missionen führt ihn in die USA. Er soll dort Kontakt zu Mo, einer Expertin für mathematische Theologie aufnehmen. Anders ausgedrückt: Sie kann den Wahrheitsgehalt unbelegter Glaubenssätze bestimmen. Sie ist Britin, aber aus unbekannten Gründen läßt die US-Regierung sie nicht ausreisen.
Dann nimmt der Wahnsinn seinen Lauf. Besagte Expertin wird von irakischen Extremisten entführt. Die wiederum haben Teile der okkulten Hinterlassenschaften des Dritten Reiches gefunden und wollen nun einen besonders mächtigen Dämon beschwören, der für sie die USA vernichten soll. Aber um dem Dämon eine Tür zu öffnen, brauchen sie ein Menschenopfer – eben jene Expertin für mathematische Theologie. Bob Howard kann das in letzter Minute verhindern, bekommt dabei aber selbst so auf die Mütze, daß er im Krankenhaus wieder aufwacht. Die Schwarze Kammer weist ihn und Mo aus.
Zurück in London, verdichten sich die Hinweise, daß hinter der Aktion mehr steckt als eine irakische Terrorzelle. Ein dämonisches Wesen versucht, Mo zu entführen. Bob stellt sich dem tentakelbewehrten Ungetüm entgegen und wird erneut verprügelt. Erst als er einen Schutzzauber von seinem Palmtop aufruft, läßt das Monster von ihm ab.
Nach und nach findet Bob heraus, daß für diese Ereignisse ein Dämon verantwortlich ist, den bereits die okkulte Abteilung der SS zu beschwören versuchte. Dieser Dämon hat die gesamte Energie seines Heimatuniversums aufgezehrt und möchte nun bei uns seine nächste Mahlzeit einnehmen.
So weit, so irre. Übrigens ist die okkulte Abteilung der SS keine Erfindung. Heinrich Himmlers Interesse für Okkultismus ist hinreichend belegt, ebenso die Existenz einer SS-Gliederung, die nichts weiter tat, als Informationen über okkulte Praktiken zu sammeln. Himmler schickte allen Ernstes eine Expedition nach Tibet, um dort nach dem Heiligen Gral zu suchen.
Charles Stross treibt diese Prämisse auf die absurde Spitze. Man mag sich über die angelsächsiche Gewohnheit ärgern, für alles besonders Böse die Nazis zu bemühen. Stross macht daraus eine von nachtschwarzem Humor durchzogene Pointe.
„Dämonentor" ist flüssig und spannend erzählt. Den besonderen Reiz des Romans bildet die raffinierte Verknüpfung wissenschaftlicher Theorien, historischer Fakten und aberwitziger Gedankenspiele. Stross präsentiert sie in einer sehr britischen, augenzwinkernden Ernsthaftigkeit und zeigt damit, wie abstrus vieles tatsächlich ist, was als ‚Mystery‘ durch Bücher, Film und Fernsehen geistert.
Sein schwarzer und oft drastischer Humor ist sicherlich nicht für jeden erträglich. Für „Akte X"-Fans dürfte die Lektüre eine echte Herausforderung sein. Denn Stross nimmt das Strickmuster dieser Serie gnadenlos auf die Schippe.
Mir persönlich hat Stross‘ Humor meistens gefallen. Besonders im Kontrast zu den bierernsten, von metaphysischer Schwere durchwehten Fällen eines Fox Moulder fand ich das Buch erfrischend. Nur die Idee, die Nazis hätten den Holocaust inszeniert, um mit der Seelen-Energie der Toten ein riesiges Tor zum Einlass fremdartiger Monster zu öffnen, kam mir arg geschmacklos vor.