Beiträge von Petra

    Wer bin ich eigentlich gewesen? Das fragt sich Walter, nachdem er sich auf seinem Begräbnis von seinen sterblichen Überresten verabschiedet hat. Seine Frau ist nicht anwesend. Das verwundert, oder auch wieder nicht, kommt ihm doch zu Ohren, dass sie maßgeblich zu seinem jetzigen Zustand beigetragen hat. Während er nichtsahnend im Bett lag, hat Hilde ihm mit einer Axt den Schädel gespalten. Anschließend tanzte sie auf der Silvesterparty der Nachbarin ins neue Jahr. Danach verliert sich ihre Spur im tief verschneiten Wald.

    Da war er also hinüber, aber es dauerte noch Tage, bis jemandem im Dorf ihn fand. Jetzt bewohnt Walter das Dorf an der ehemaligen innerdeutschen Grenze auf eine andere Weise, nämlich zusammen mit anderen Verschiedenen. Da sind der schöne Karl, der immer noch eifersüchtig über seine Witwe Branca wacht, und der 15-jährige Norbert, der in Marschstiefeln die Wege seiner noch immer um ihn trauernden alten Mutter begleitet. Da sind der ertrunkene Junge in der roten Badehose und das Steinkind. Insofern wäre Walter gar nichts Besonderes, nur einer von vielen, und mit seinem gespaltenen Kopf nicht einmal die entstellteste Gestalt - wobei solche Äußerlichkeiten nun wirklich keinen mehr zu interessieren scheinen. Aber da ist der Hirntumor, der ihn sehr bald umgebracht hätte, wäre Hilde dem nicht zuvorgekommen. Dieses Ding in seinem Kopf hatte ihn in den letzten Wochen seines Lebens zu einem ganz anderen Menschen gemacht. Freundlich, zugewandt war er ab da, er, der so lange ein Menschenfeind und Tyrann gewesen war. Und so ist er im Tod geblieben. Ein milder, interessierter, irgendwie … lebensbejahender Mensch.


    Dorfromane scheinen momentan in zu sein, aber Angelika Klüssendorf hat mit ihrem Roman weniger ein Dorf als ein Dorfuniversum geschaffen, da ihr Dorf von den Lebenden und den Toten bewohnt wird. Die Toten beobachten die Lebenden und sind die Chronisten ihres eigenen Lebens, und manchmal, wie in Walters Fall, der zunächst so gar keine Erinnerung an sein früheres Ich hat, bedarf es dafür einiger Anstrengung.


    Als ich von den skurrilen Figuren hörte - eine 140 Kilo schwere Frau, die auf Stephen Spielberg wartet, ein Mann mit tätowierter Stirn, den alle nur Bipolarchen nennen - hätte mich das beinahe abgeschreckt. Nichts gegen ungewöhnliche Charaktere; oft genug haben sich mir die aber auch als eher substanzlos entpuppt, überzeichnet - lekyesk (persönliche Meinung, versteht sich) daherbehauptet. Klüssendorf erzählt aus dem Leben ihrer Charaktere, wie sie geworden sind, was sie sind, enthüllt Schicht um Schicht. Auf das Setting habe ich mich gerne eingelassen. Eingebettet in dieses absurde Szenario sind erschütternde/erschütternd alltägliche, oft scheiternde Beziehungen. „Vierunddreißigster September“ ist schwarzhumorig, mit Tiefe, trostlos, traurig, lustig, schnoddrig und anrührend zugleich. Und obwohl der Roman sich in eine andere Richtung entwickelt als ich vermutet hatte, möchte ich nicht ausschließen, dass genau das gut so ist.


    ASIN/ISBN: 3492059902


    PS: Ich habe mir den Roman vorlesen lassen. Die weibliche Stimme spricht Corinna Harfouch, die männliche Walter Kreye. Das Hörbuch ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine Präsentation durch professionelle Sprecher einen Roman nochmals um eine Facette bereichern kann.

    Ich finde mich hier demnächst (wenn mal am Laptop) zu einer Übungs-Session ein, warum die Amazon-Verlinkung am Laptop funktioniert und mobil nicht - also, bei mir nicht. Bei anderen wahrscheinlich schon 😙

    Bitte ignorieren, hier gibt’s nichts zu sehen 😙

    Danke 🙏

    Long Island, wo Amanda und Clay den Urlaub mit ihren pubertierenden Kindern Archie und Rose in einem abgeschiedenen Ferienhaus verbringen wollen, scheint eine feindliche Umgebung für Tiere geworden zu sein: Überfahrene Rehe verwesen in Scharen am Straßenrand, Vögel brechen sich das Genick, weil sie gegen blankgewienerte Panoramafensterscheiben fliegen. Pools, immerhin, umzäunt man, weil man sich und den Feriengästen den damit verbundenen Anblick und die Umstände ersparen möchte.

    Die Familie erfreut sich am luxuriösen Haus, am Wetter und überhaupt am Gefühl, allen Pflichten entbunden zu sein. Wenn die Kinder im Bett sind, lassen die Erwachsenen es krachen. Man tut, was man im Urlaub so tut.

    Leider nur für einen Tag.

    Dann steht ein älteres Paar vor der Tür und bittet um Obdach. Im Niemandsland. Mitten in der Nacht. Ein schwarzes Paar. Etwas sei geschehen. Etwas Großes.

    Die Familie, das muss man an dieser Stelle sagen, weil es (bezeichnenderweise) überflüssig erschien, es früher zu erwähnen, ist weiß.


    So die Ausgangssituation von Rumaan Alams Roman „Inmitten der Nacht“. Es ist Alams dritter Roman, der erste, der in deutscher Übersetzung erscheint. Vor Corona geschrieben, ist der Roman in Amerika während der Pandemie zum Bestseller geworden.


    Bis zum Eintritt des „Ereignisses“ ist das ein typischer Anfang für ein Katastrophenszenario. Eingeschworener Familienverband, abgeschottet in unbekannter Umgebung, während sich „draußen“ eine Katastrophe anbahnt. Relativ breit und nicht ohne mehr oder weniger unterschwellige Andeutungen und Spitzen lernt man die Familie kennen. So richtig sympathisch ist keine der vier Personen. Man gehört zur privilegierten Mittelschicht und lebt ein mehr oder weniger zufriedenes Leben. Er ist Lehrer an einem College, sie möchte in ihrem Job - irgendwas mit Marketing - gebraucht werden, die Kinder befinden sich allein vom Alter her im Ungefähren.

    Das schwarze Paar entpuppt sich, nachdem Amanda und Clay sie schließlich widerstrebend eingelassen haben, als die Besitzer des Ferienhauses. B. H. und Ruth befanden sich auf dem Heimweg von einem Konzert, als plötzlich der Strom ausgefallen ist. Für das ältere Paar ist es unmöglich, und wenig anzuraten, in ihre Manhattaner Wohnung im 40. Stock zu gelangen. Was eigentlich passiert ist, bleibt unklar. Strom hat man zwar hier auf dem Land, Telefon, Internet und Fernsehen sind jedoch tot.

    Es entwickelt sich eine Zwangs- und Zufallsschicksalsgemeinschaft. Während „draußen“ womöglich gerade die Welt untergeht, bleibt man auf dem Grundstück. Wer Gast und wer Gastgeber, Besitzer und Fremder, ist, bleibt unklar. Amanda und Clay, interessanterweise Ruth und B. H. finanziell, gesellschaftlich und wahrscheinlich auch intellektuell unterlegen, werden in ihrer Illusion, die Hausherren zu sein, klar erschüttert, was sie aber zum Beispiel nicht daran hindert, nonverbale Botschaften zu platzieren, die einen eigentlich eher an Reviermarkierungen im Tierreich denken lässt. Man sorgt sich natürlich und spekuliert, geht aber gleichzeitig davon aus, dass „draußen“ schon noch alles so ist, wie man es gewohnt ist - auf der Heimfahrt will man in einem Imbiss einkehren. Das, weiß der Leser, denn der ist vom allwissenden Erzähler mit einem Wissensvorsprung ausgestattet, ist leider zu einem Ding der Unmöglichkeit geworden.


    Eigentlich ist dieses ungewisse Katastrophenszenario eine Ausgangslage, bei der Schriftsteller wie Stephen King (den ich übrigens schätze) aus dem Vollen geschöpft hätten. Dort zu erwartende Handlungsverläufe fehlen. Das kann man mit einiger Berechtigung gut finden, für mich wurde der Roman leider bald langatmig und somit auch langweilig. Die gesellschaftskritischen Botschaften sind irgendwann verstanden, und was dann bleibt, ist die Handlung um einen blassen Ehemann, der sich nicht einmal traut zu sagen, dass er sich verfahren hat, und eine Ehefrau, die, wenn sie den Ernst der Lage denn mal begriffen hat, zur hysterischen Übermutter wird, während Ruth und B. H. (wahrscheinlich) bewusst zurückhaltend geschildert werden.


    Mein Fazit: Die Figuren haben ihre Momente. Ich bin auch durchaus nicht traurig, wenn in einem Roman mal keiner über sich hinauswächst und im Ernstfall Superheldenqualitäten entwickelt. Die Spaltungen der (in diesem Fall) amerikanischen Gesellschaft wegen der Hautfarbe sind evident. Ohne Corona wäre der Roman womöglich - die Rechte daran hat sich ein Pay-TV-Sender gesichert - nicht ganz so erfolgreich gewesen. Im Ganzen womöglich zurecht, aber was die gesellschaftskritische Komponente betrifft: Wenn diese „Botschaft“ aufgrund eines allgemeinen Gefühls der Verunsicherung mehr Gehör findet, kann das wahrscheinlich nur einer der überaus raren positiven Aspekte der Pandemie sein.

    Und dann wäre da noch: Nikolai Wagner. Optisch erinnert er an eine Mischung aus Peter Weller in „Naked Lunch“ und Sam Shepard in „Homo Faber“. Wagner ist ein gefeierter, aber nach seinem grandiosen Erstling blockierter Schriftsteller, der sich drogenabhängig und kurz vorm Auffliegen (der Abgabetermin seines neuen Romans dräut) auf eine Insel in der Nordsee flüchtet. In dem verschlafenen Nest wird er von der ortsansässigen Pfarrersfrau und Buchhändlerin, nachdem er sich als untauglich für die anberaumte Lesung erwiesen hat - kleine Anleihe bei Stephen Kings „Misery“/„Sie“ - in ihrer Dachkammer eingesperrt. Auch davor und danach stolpert Wagner auf der Insel von einem Fettnapf zum nächsten - was im Grunde genug Stoff für einen Film für sich geboten hätte, aber:

    Wagner ist nur eine von vielen Figuren, zwischen deren Geschichten gewechselt wird, während der dramatische Überbau (von der Realität noch vor Erstausstrahlung überholt) ein Virus ist, das aus Asien über die Insulaner kommt.

    „sløborn“ - 1. Staffel in der ZDF-Mediathek.

    Ich führe mir „Dunkelblum“ gerade in der Hörbuchfassung zu Gemüte - die Autorin hat ihren Roman selbst eingelesen. Nach kurzer Zeit habe ich mich reingehört. Was mir zuerst arg getragen vorkam, gefällt mir nach einer guten Stunde. Die Figuren sind, dem kann ich schon folgen, viele an der Zahl. Ob das und der „Plauderton“ mich nicht so mit-, oder besser, für das Buch einnehmen, wird sich zeigen. Noch bin ich zuversichtlich.

    Und was, möchte ich da automatisch fragen, lernen wir daraus?

    Ich habe mir die ersten beiden Texte mit dazugehöriger Diskussion angehört. Nun gehört es sich wahrscheinlich nicht, über die Texte nicht Anwesender zu reden, auf der anderen Seite: Man ist damit in die Öffentlichkeit gegangen, das birgt das Risiko, dass Leute drüber reden. Also: egal!

    Der erste Text wird quasi durchgewunken, sind ja alle Beanstandungen, die man hatte, eliminiert. Ich hätte da schon welche gehabt. Da reiht sich eine Plattitüde an die andere, und am Ende muss ein Vorschlaghammer, sorry, Skalpell, her, um die Kurve zu kriegen. Kitschig und unrealistisch ist das, bis zur Hand der wenig für ihren Beruf geeigneten Nachtschwester, die zu ihrem im Entsetzen geöffneten Mund fährt, während sich da dieser enorme blutschwall zu einem Herzen formt - bitte 😳? Und das hielt keiner für ein Wort wert? Oder manche haben sich halt nur ihren Teil gedacht und das Reden den Wortführern überlassen, die den Trend festlegten.

    Dann folgt Toms Text, und es wird allen Ernstes beanstandet, dass pflegehelfer auch nur ihren Job machen und die Geschichte nicht in der Ich-Form geschrieben gehört, weil eine alte Frau diese Geschichte schließlich nicht mehr aufschreiben könne 😳?!

    Ich weiß: Es hätte mich nicht überraschen müssen. Ich wollte es wahrscheinlich nicht glauben.


    Hallo Tom,


    um Dich zu zitieren:


    „Wäre es dann nicht das Erste, dass man die Veranstalter mit der Kritik konfrontiert?

    Der Autor: Das habe ich getan. (Schmunzelt.)


    Und …?

    Hat man Dein Mikro abgedreht und stattdessen eine zusätzliche musikalische Untermalung dargeboten? Gab es Rücktritte wegen plötzlicher Selbsterkenntnis? Peinlich berührtes Schweigen? Hat man‘s empört oder wenigstens pikiert von sich gewiesen? Weggelacht? Zur Ordnung gerufen? Renitenz unterstellt? Eine andere Formulierung vorgeschlagen?

    Sie: Bitter und feindselig. Er: dickfellig und aalglatt. Die Castlemans führen eine Ehe, an der beide Partner aus unterschiedlichen Gründen festhalten. Sie sind alt miteinander geworden. Das, was sie einst verbunden hatte, ist auf der Strecke geblieben - wie das so ist, wenn sich Betrug zu Betrug addiert und mit mannigfachen kleinen und größeren Kränkungen multipliziert.

    Dass man der Frau, die von dieser Geschichte einer gescheiterten, aber dennoch aufrechterhaltenen Ehe berichtet, gerne folgt, liegt daran, dass sie nicht ausschließlich bitter und manchmal sogar boshaft ist. Da ist keine Spur des Selbstmitleids in ihren abgeklärten Schilderungen, allenfalls der Wehmut, dafür oft genug Selbstironie, Witz und ein leises Staunen über sich selbst, wie es eigentlich so weit hat kommen können.


    Der amerikanische Schriftsteller Joe Castleman hat den Helsinki-Preis für Literatur erhalten, eine Auszeichnung nur knapp unterhalb des Renommees, das der schwedische Nobelpreis genießt. In der Präsidentensuite des finnischen Luxushotels wandern die Gedanken seiner Frau Joan zurück zu der Absteige, in die sich das Paar 45 Jahre zuvor geflüchtet hatte, nachdem das Verhältnis des damals anderweitig verheirateten College-Dozenten mit seiner Studentin aufgeflogen war und die Reaktion der betrogenen Ehefrau ein weithin sichtbares Mal auf Joans Stirn hinterlassen hatten. Die Schäbigkeit des heruntergekommenen Hotelzimmers war nur leidlich durch Romantik zu übertünchen gewesen, und genau genommen, war eine Kündigung, um einem Rausschmiss zuvorzukommen, auch keine Sache der Romantik, sondern im prüden Amerika der Fünfzigerjahre allenfalls der Versuch, wenigstens den Anschein einer akademischen Reputation zu wahren.

    Alt geworden sind sie beide, aber es gehört zur Tragödie dieses Paares, dass Joan dazu beigetragen hat, dass Joe seine Wirkung auf die Frauen auch mit 71, seiner früheren körperlichen Anziehungskraft eindeutig verlustig gegangen, nie eingebüßt hat: Joe Castleman genießt den Nimbus des großen Schriftstellers, und dazu hat Joan viel beigetragen.

    Dabei war es zunächst nur ein Kurs von vielen, die Joan, Tochter aus reichem Hause, am Smith College belegt hatte. Wäre da nicht ein bei der ersten Begegnung entfachtes Interesse an Joe gewesen, hätte Joan womöglich nie mit dem Schreiben begonnen. Überreich mit Talent gesegnet, liegt ihr kaum etwas an ihren Fähigkeiten. Joe hingegen, nicht nur Professor, sondern verhinderter Schriftsteller, erkennt das Talent, das in Joan schlummert, auf den ersten Blick. Zu den Realitäten der 1950-er Jahre zählt aber auch, dass Frauen in der Literatur - bis auf wenige Ausnahmen - nichts gelten. Sich dieser Umstände bewusst, wird, nach einem fulminanten Debütroman, aus Joan und Joe Castleman der Schriftsteller und seine Ehefrau - so scheint es zumindest.


    Wie andere Romane von Meg Wolitzer, wurde auch „Die Ehefrau“ verfilmt. Wenn in der Filmadaption überzeichnet, zugespitzt, verkürzt und auf andere Stimmen verteilt werden muss, kommt der Roman allein mit der Stimme der Ich-Erzählerin Joan Castleman aus. Und es macht Spaß, dieser Frau zu folgen. Wo Glenn Close nur das Spiel mit Blicken, Mimik und Gestik hat, um ihre unterschwelligen Gefühle auszudrücken, kann die Roman-Joan mit Worten aus dem Vollen schöpfen. Und Sprache ist für Joan ein geübtes Instrument. Chinesische Eierstichsuppe, an die sie sich erinnert fühlt, wenn sie an das Etagen-Klo in dem schäbigen Hotel in Greenwich Village zurückdenkt, wenn sie sich selbst und die Smith-Studentinnen mit Gazellen vergleicht, die an Blättern zupfen, über unsichtbare Samtkordeln bei der Anbahnung von Beziehungen spricht oder über Mitglieder des schwedischen Königshauses sagt, sie seien „von prunkvollen Gewändern umhüllt wie ein Hering von Sahne“, ist Lust an der Sprache allgegenwärtig: Derbheit und Anmut, beides hat seine Berechtigung in Joans Welt, und Humor ist eine Art, mit den Widrigkeiten darin fertig zu werden.

    Was in Film nur einen kleinen Teil ausmacht, Joes und Joans Jugendjahre, nimmt im Roman breiteren Raum ein. Stapel unverlangt eingesandter Manuskripte, Recherchen, Lesungen, Lektorate, Schreibseminare, Auszeichnungen - Literaturbetrieb im Wandel der Zeit: „Die Ehefrau“ ist ein raffiniert komponierter Schriftstellerroman mit allem, was dazugehört, und war mir darüber hinaus ein echtes Lesevergnügen.

    Vorweg: Der erste Impuls war, diesen Thread „Filme übers Schreiben“ zu nennen. Wörtlich genommen hätte das aber das Handlungsspektrum solcher Filme deutlich eingeschränkt: Wer wollte schon einen Film über etwas ansehen, das ungefähr so interessant ist, wie Farbe beim Trocknen zuzusehen 🙂! Immer sind es natürlich die Schreibenden, nie ist es das Schreiben an sich, das auf der Leinwand/im TV (inkl. neuerer Formen) in Bildern fesselnd erzählt werden kann, sei es in fiktiver oder fiktionalisierter Form.


    Neulich gesehen: „Die Frau des Nobelpreisträgers“ („The Wife“), basierend auf dem Roman „Die Ehefrau“ von Meg Wolitzer.

    Der Film beginnt mit einer Szene im Schlafzimmer von Joe und Joan (die Namensähnlichkeit kann kein Zufall sein) Castleman, einem älteren amerikanischen Ehepaar. Während sie eigentlich nur schlafen will, ist er hellwach, da er auf einen Anruf aus Europa wartet. Schließlich kommt der ersehnte Anruf, und tatsächlich mit der erhofften Botschaft: Joe Castleman hat „seinen“ Nobelpreis (für Literatur) bekommen. Das Paar vollführt einen Freudentanz, den es, wie man im weiteren Verlauf in Rückblenden erfährt, so bereits in früheren Zeiten gegeben hat, als er noch Professor für Literatur und sie seine ehemalige Studentin war, bloß, dass aus einem anfänglichen „wir“ nun ein „ich“ geworden ist.

    Das Paar reist nach Schweden. Mit an Bord ihr gemeinsamer Sohn, der auch schreibt und demzufolge fast unweigerlich nach der Anerkennung seines Vaters lechzt, und ein Autor, der unbedingt eine Biografie über Joe, einen der herausragendsten Schriftsteller seiner Zeit auf dem Höhepunkt seines Schaffens, schreiben will. Auf einer festlichen Gesellschaft, nach einigen (angedeuteten) Ereignissen, die an alte Wunden rühren, lässt Joan, gefragt nach ihrem Beruf, fallen, sie sei „eine Königsmacherin“ - wie wahr das ist, über das, was der andere Preisträger genauso von seiner Frau sagen könnte, hinaus, geht im vermeintlichen Scherz unter.


    In einer der Schlüsselszenen des Films sieht man die junge Joan und den jungen Joe, wie die ihm ihre Meinung über sein Romanmanuskript kundtun soll, was ihr, da ihr die Schwächen des Textes und die Dünnhäutigkeit des Verfassers bewusst sind, deutlich schwer fällt. Aber sie könnte ja … womit eine große Lebenslüge ihren Lauf nimmt, eine Lüge, an die er in Momenten selbst glaubt.

    Natürlich kommt so ein Stoff nicht ohne Klischees aus - aber Klischees wären keine Klischees, wenn sie nicht im Kern Wahres enthielten.

    Der Film greift auf, wie schwer Frauen es hatten, in diesem Bereich (oder überhaupt) ernst genommen zu werden. Joe ist dabei narzisstisch, selbstverliebt, Joan unterstützend, bescheiden - bis zur Selbstaufgabe. Joan zahlt einen hohen Preis, den, nur als Ehefrau gesehen zu werden.


    (Der Film ist noch einen Tag in der ARD-Mediathek zu sehen.)

    Hallo Tom,


    das wird so sein. Aber ist das etwas, das man auch und schon bei Märchen findet? Es hat auch schon „Abmilderungen“ in weit früheren Jahren gegeben als denen, wo man hinterfragte, ob z. B. „Hänsel und Gretel“ nun unbedingt eine geeignete Gute-Nacht-Geschichte sei (aus der leiblichen Mutter wurde z. B. eine Stiefmutter). In Märchen ist so manche Grausamkeit enthalten, es geht beim Zitierten an die schiere Existenz der Kinder, und die Bedrohung fängt nicht erst in der Fremde an, sondern im eigenen Zuhause. Kinder früherer Zeit werden die „Geschichten hinter der Geschichte“ auch eher intuitiv verstanden haben?


    Ich habe nun das Hörbuch gehört, und ich habe mir die Frage nach der „Zielgruppe“ gestellt, weil, abgesehen von der vorauszusetzenden Bereitschaft, sich auf Geschichten dieser Art (Fantasy/Phantastik/magischer Realismus) einzulassen, die 7- und „11“-jährigen Protagonisten doch ungewöhnlich für einen Roman sind, der sich an eine erwachsene Leserschaft wendet. Das bleibt, selbst, wenn man für sich eine andere Lesart präferiert (unbewusste Flucht in eine Fantasiewelt), denn die meiste Zeit ist der zurückblickende Erzähler 7.


    Mir ist zudem aufgefallen, dass Gaiman - trotz der bedrohlichen Thematik - an manchen Stellen auch „milder“ formuliert, als das bei den drastischen Geschehnissen möglich (wenn nun auch nicht zwingend) gewesen wäre (Stichwort: „Leinwand“ - oder das erklärt sich anders, auch möglich.)


    Deshalb die Überlegung, ob das nicht nur ein Roman ist, der eine Kurzgeschichte hätte werden sollen, sondern auch ein Stoff an sich, bei dem der Autor sich möglicherweise nicht von Anfang an ganz eins war, für wen er den Roman schreibt - oder einer, der sich halt in kein Schema pressen lässt.

    I thought — it's really not a kids' story — and one of the biggest reasons it's not a kids' story is, I feel that good kids' stories are all about hope. In the case of Ocean at the End of the Lane, it's a book about helplessness. It's a book about family, it's a book about being 7 in a world of people who are bigger than you, and more dangerous, and stepping into territory that you don't entirely understand." (https://www.wbur.org/npr/19135…w-ocean-is-no-kiddie-pool)

    Hmmm … Ein Kinderbuch also nicht … Was ist denn bei diesem Prozess des Schreibens letztendlich herausgekommen: Ein Buch für Jugendliche oder ein Buch für erwachsene Leser? Oder eines, das sich einer Einordnung verwehrt?


    Zur Frage, was man Kindern „zumuten“ will: Das kann man sich auch z. B. bei Marita de Stercks „Zuletzt die Hunde“ fragen, und da ist der Verlag zu der Einordnung „14 - 17“ gekommen. (Von Märchen mal ganz zu schweigen.)

    Ich habe das ganz anders in Erinnerung, Tom, mag aber sein, dass ich es nur anders auffasse: Was ich aber mit einer Quelle belegen kann, ist Kings Abneigung gegenüber der Kubrick-Ver…, -Adaption von „Shining“:


    https://www.filmstarts.de/nachrichten/18501079.html


    (Wenn ich mich nicht täusche, gibt es eine neuere Adaption des Romans, auf die King Einfluss (wie auch immer) hatte.

    Ob es immer gut ist, wenn man einen Autor z. B. auch das Drehbuch verfassen lässt, steht auf einem anderen Blatt.)


    Nun bin ich über Hörbücher auf Filme gekommen, aber das, was King in dem Artikel bemängelt - dass die Entwicklung des Charakters Jack Torrance hin zum Wahnsinn im Film schlichtweg nicht vorkommt, weil er im Film unterschwellig von Anfang an verrückt ist - könnte genauso auf ein schlecht „gekürztes“, eher zusammengestrichenes Hörbuch passen.

    Ich, die ich es ja nur aus der Sicht einer Leserin betrachte, ahne, dass auf einen Urheber durch die Publikation seines Werkes neben der Freude darüber auch so einiges an Überraschungen zukommen könnte, auf die er lieber verzichtet hätte … Man gibt sein „Baby“ in die Hände von (anderen) Profis, die womöglich andere Vorstellungen haben. Den Wenigsten wird das überhaupt beschieden sein, weshalb man sich deshalb auch keine grauen Haare wachsen lassen sollte 😁, aber ein Stephen King zum Beispiel wird von vielen filmischen Umsetzungen seiner Bücher - die um ganze Nebenhandlungsstränge gekürzt werden müssen - wenig begeistert sein.

    Hörbuch, Hörspiel, Film, Merchandising - Dinge für sich, die eigenen Regeln unterliegen. So gesehen, wäre eine - mit Segen des Autors durchgeführte - Kürzung eines Hörbuchs ja schon wieder ok. - Ich glaube, ich bin da einfach etwas eigen, wenn ich im Zweifel doch lieber das gedruckte Buch lese 🙂

    Genau das räumt der bei Audible erschienene Artikel bez. der Arbeit des Kürzers im ersten Teil des folgenden Satzes ein. Zitat:


    „er sorgt dafür, dass lange, verschachtelte Sätze besser verständlich werden oder streicht Redundanzen, also Beschreibungen einer Landschaft oder einer Person, die mehrmals vorkommen. Seine Herausforderung besteht darin, trotz Kürzungen die dramatische Form, die der Autor des Buches gewählt hat, nicht zu verändern.


    Quelle: https://magazin.audible.de/gek…der-ungekurzte-horbucher/


    Lange Sätze werden für mein Verständnis verständlicher, wenn man (vermeintlich) überflüssige Satzbestandteile weglässt oder Wörter eindeutscht oder aus einem langen mehrere kurze Sätze macht.


    Das mit den Redundanzen ist auch so eine Sache: Wiederholungen sind ja nicht automatisch abzulehnen, womöglich geht es ja nicht nur um die Vermittlung eines simplen äußeren Tatbestands. - Das immer unter der Annahme, dass der Kürzer einen Text bearbeitet, der vorher bereits durch die Hände eines Lektors gegangen ist, der Wiederholungen aus Schludrigkeit bereits eliminiert haben dürfte.

    Immerhin tröstlich, wenn der Urheber mitreden kann.



    Es gibt m.E. durchaus legitime Gründe für das Kürzen: neben der Eliminierung von Geschwafel und Langatmigkeiten, können lange Schachtelsätze, abschreckend wirken.

    Wie im verlinkten Artikel erwähnt, ist das tatsächlich der Fall.

    Ich bin da zwiegespalten: Einerseits haben Kürzungen oft etwas für sich. Dann aber auch im geschriebenen Text. Wenn es im Hörbuch sinnvoll ist, wird es auch im Buch sinnvoll sein. Nur, weil ein Hörer womöglich schlechter folgen kann als ein Leser, das Buch kürzen oder einen langen Satz in mehrere kleine aufteilen: dem Verständnis kommt es entgegen, aber es läuft u. U. gegen die ursprüngliche Intention des Verfassers.

    Ich glaube, da ist eine Menge Fingerspitzengefühl nötig, einen Text nicht totzukürzen. Convenience kann nicht alles sein.