Beiträge von Siegfried

    Es erstaunt mich immer wieder, wie eine Ideologie wie der Marxismus-Leninismus, die dezidiert antihumanistisch ist und sein will, betrauert wird, weil der Mensch nicht menschlich genug dafür sei.

    Der Marxismus will nicht antihumanisitisch sein sein, im Gegenteil, er trat an, um in Marx' Worten die Menschheit endgültig von ihren Ketten zu befreien und die Knechtschaft des Menschen über den Menschen zu beenden. Das machte seine Verlockung aus. Dazu wollte er einen neuen Menschen schaffen bzw. den Menschen umformen. Er zielte auf die Menschheit als Ganzes und opferte dafür den einzelnen Menschen. Es ist Rousseaus fataler Gedanke vom allgemeinen Willen, der Pate stand. Um die "richtigen" Menschen zu erzeugen wurde ihre Vielfalt geopfert.

    Zitat: Siegfried
    Vielleicht liegt es ja doch an der Grundidee, wenn jeder Versuch der Realisierung hinter Stacheldraht und mit Gedankenpolizei endet?


    Nein, es liegt nicht an der Grundidee, sondern am Grundwesen der Menschheit! 8-)


    Hallo Manuela,


    damit benennst du genau den entscheidenden Knackpunkt. Ideen wie der Sozialismus oder jede Art von Menschheitsverbrüderung setzen immer voraus, dass die Menschen umgestaltet werden. Sie sollen das richtige Bewusstsein bekommen, durch Überzeugung, Erziehung und in letzter Konsequenz durch Machtausübung. Wobei Macht nicht zwangsläufig Gewalt bedeuten muss, sie kann auch sehr subtil daherkommen.

    Ich glaube man muss trennen zwischen der Frage, ob es heute noch hochartifizielle und bedeutende Romane gibt (die gibt es bestimmt, z.b. "Unendlicher Spaß" von Foster Wallace), und dem allgemeinen Ansehen, das diese Art von Literatur hat. Diese Stellung als etwas ganz allgemein Bedeutendes, die gibt es meines Erachtens nicht mehr. Das hat natürlich etwas mit gesellschaftlich relevanten Diskursen zu tun. Dort entspringt ja, was wir als wahr und gut und wichtig betrachten. Der verbindliche Kulturdiskurs lebt nach meinem Empfinden nicht mehr. Das schließt nicht aus, dass er als Zombie hier und da noch umgeht. Aber an seine Stelle sind viele nebeneinander her laufende Diskurse getreten. Willkommen in der Postmoderne. Ich sage das ganz ohne Wertung.


    Nach Epos und Tragödie wurde im 19. Jahrhundert der Roman die entscheidende literarische Form und schon im frühen 20. Jahrhundert geriet er in eine Krise und beschäftigte sich intensiv mit sich selbst. In dieser Zeit sind einige bedeutende Kunstwerke entstanden, die von der Gemeinschaft der Experten aus Kritikern, Literaturwisenschaftlern, Ästheten und Künstlern als objektiv bedeutend angesehen wurden und niemand hat das in Frage gestellt, auch wenn er nie eine Zeile davon gelesen hat oder jemals lesen würde. Das hat auch was mit dem Selbstverständnis von Bildungsbürgertum, Humanismus, Selbstverständnis als Avantgarde usw. zu tun. Dies alles ist heute Geschichte und Fassade. Heute redet man von Kultbüchern, wenn ein besonderer Rang ausgedrückt wird.


    Ich beklage das nicht, ich stelle es einfach fest. Wir sind heute viel freier und ungebundener. Es ist ja alles noch da, aber es steht in einem anderen Licht. Wir können damit machen, was wir wollen. Wir können diese Romane verehren oder ignorieren. Es ist unsere Entscheidung. Es gibt keinen Kanon mehr, aber viele Bestenlisten.

    Es geht in dem Aufsatz um den anspruchsvollen Roman, es geht um "E(rnsthafte) Literatur", um Hochliteratur. Jede Bezeichnung drückt schon aus, dass es um etwas Elitäres geht. Self erwähnt mehrmals Joyce, in der deutschsprachigen Literatur fallen mir Musil, Broch, Döblin, Schmidt oder Johnson als Entsprechungen ein. Diese Art von Literatur war doch immer ein Produkt für Randgruppen. Wer hat das denn wirklich gelesen? Und mal Hand aufs Herz: Wer von uns hat denn Romane wie den "Ulysses". "Finigans Wake", "Der Mann ohne Eigenschaften", "Vergils Tod", "Jahrestage" oder "Zettels Traum" wirklich gelesen, also von vorne bis hinten durchgelesen?


    Ich sehe den Unterschied zu früheren Jahrzehnten darin, dass diese Art von Literatur im breiten Bewusstsein ihre Verbindlichkeit verloren hat. Wurde sie einstmals vielleicht als Hochliteratur anerkannt, selbst wenn man selber nie eine Zeile davon gelesen hat, so ist sie heute eher ein skurriles Hobby, ein Nischenprodukt. Der eine begeistert sich für die Welt der Marvel-Comics, der andere für Romane von James Joyce oder Arno Schmidt.


    Diese Werke, um die es Self geht, sind keine Romane, die man einfach mal durchliest, das sind Bücher, in die man eindringt, in denen man Entdeckungen macht, die man beim zweiten und dritten Lesen unter anderen Aspekten liest, es sind beinahe Lebensaufgaben. Es ist wahrscheinlich richtig, dass solche Romane weniger Leser finden werden, aber es werden wirkliche Leser sein, die Leute, die sich notgedrungen damit befassten, weil es irgendwie zur "Bildung" gehörte, die werden guten Gewissens einen Bogen darum machen.

    Mit der mangelnden demokratischen Legitimation der EU hat Habermas sicher recht. Es ist ja bezeichnend, dass das einzige direkt demokratisch legitimierte Organ, nämlich das Europäische Parlament, auch das schwächste ist. Und dabei hat es in den letzten Jahren sogar an Kompetenzen hinzugewonnen. Die EU in ihrer jetzigen Gestalt leidet unter einem völligen exekutiven Übergewicht und die wichtigsten legislativen Instrumente sind von den Exekutiven der Mitgliedsländer besetzt, neben dem von dir erwähnten Ministerrat gibt es ja auch noch den Europarat, der aus den Regierungen der Länder besteht. Die eigentliche Exekutive, die Europäische Kommission, wird auch von den einzelnen Regierungen besetzt und zwar nach einem diffizilen Proporz-Algorithmus. Der Präsident der Kommission wird von Parlament gewählt aber auf Vorschlag des EU-Rates. Den Automatismus, von dem Hr. Schulz und Hr. Juckers zur Zeit im Wahlkampf immer reden, den gibt es gar nicht. Dazu kommt noch das monströse Lobby-System in Brüssel. Es gibt sogar eigene Studiengänge, in denen man lernt, wie man mit Lobbyarbeit auf EU-Ebene seine Projekte durchsetzt.


    Insgesamt ist die EU eher als Expertokratie oder Technokratie zu bezeichnen denn als Demokratie. Sie ist für mich der beste Ausdruck der Post-Demokratie. Die Verwaltung hat das absolute Übergewicht über die parlamentarische Auseinandersetzung und keinen Bürger interessiert es. Als aufschlussreiche Lektüre kann ich Jacques Rancière: "Das Unvernehmen" empfehlen. Dort wird der Streit als Grundlage der Politik bezeichnet. Politik gibt es nur dort, wo es konstruktiven, in Worten ausgetragenen Streit über die Grundlagen des Gemeinwesens gibt. Der Ort dieses Streits ist das Parlament und der Streit wird nie enden, solange es Politik gibt. Unser v.a. deutscher Hang zur Konsensdemokratie ist ein Missverständnis.

    Wie soll ich mir eine Monopolstellung von Amazon denn vorstellen? Man könnte nirgendwo anders mehr Bücher kaufen? Amazon wäre die einizge Plattform für E-Books? Oder wie denn?


    Amazon versucht einen möglichst großen Anteil am Markt zu erhalten, aber das tun alle anderen Unternehmen doch auch. Amazon ist momentan nur deutlich erfolgreicher. Zum Beispiel auch dadurch, dass Autoren auf KDP einen vorbildlichen Service erhalten. Ich kann mit leichter Zeitverzögerung fast im Stundentakt verfolgen, wie die Verkäufe sich entwickeln. Das neue Dashboard zeigt mir wie viele Titel ich an jedem einzelnen Tag verkaufe. Die Tantiemen landen zuverlässig nach 60 Tagen auf meinem Konto.


    Es war doch Amazon, das die Selfpublisherwelle so richtig in Gang gebracht hat. Und es war Amazon, das die Tantiemen in die Höhe getrieben hat. Die anderen folgen doch nur. Natürlich tut Amazon das alles nur, um mehr Umsätze und einen noch höheren Anteil am Markt zu erhalten. Warum um Himmels Willen sollten sie es auch sonst tun?


    Es wäre naiv zu glauben, die jetzigen Bedingungen würden immer so bleiben. Aber ich empfehle jedem, zu nutzen, was gerade möglich ist.


    Größere Sorge macht mir ehrlich gesagt, wann unsere selbstverliebte Regierung endlich etwas dafür tut, den ermäßigten MWSt-Satz für E-Books einzuführen, statt ihre ganze Energie in teure Rentengeschenke zu Lasten unserer Kindergeneration und eine schizophrene Energiepolitik zu stecken. Aber das ist ein anderes Thema.

    Wer wissen möchte, was mit Computern alles schief gehen kann, findet hier einige Anregungen:


    [buch]3404607937[/buch]
    Nicht über den Autor wundern, das ist eines meiner Pseudonyme.


    Das Buch gäbe es nicht, ohne einen in dieser Runde hochgeschätzten Agenten. :sonne

    Wir sollten, glaube ich, diese Dichotomie von Kapitalismus und Sozialismus hinter uns lassen. Wenn ich den Sozialismus/ Kommunismus kritisiere, bin ich nicht automatisch Kapitalist, wenn ich Auswüchse des Kapitalismus anprangere, bin ich nich automatisch Sozialist. Da ist die Diskussion andernorts, z.B. in Frankreich oder auch in den USA viel weiter. Als Stichworte möchte ich nur Biomacht, Postdemokratie aber auch Kommunitarismus erwähnen. Vielleicht später mehr dazu.

    Es ist noch nicht lange her, da hagelte es Vorwürfe gegen Ketten wie Hugendubel und Thalia, die kleine Buchhandlungen verdrängen wollten. Auch Verlage haben Buchhandlungen unter Druck gesetzt. Zuletzt war Klett-Cotta in der Kritik. Aber jetzt ist Amazon der Buhmann.

    Bei der Geschichte vom bösen Amazon wird so getan, als ob es eine gemeinsame Front aus Verlagen, Buchhandlungen und Autoren gegen Amazon gäbe. Das stimmt aber nicht, da alle ihre eigenen unterschiedlichen Interessen haben.
    Wir als Autoren haben andere Interessen als die Verlage und diese wieder andere als Buchhandlungen. Der Verlag will möglichst viele seiner Bücher verkaufen und übt über Vertreter und Rabatte Einfluss auf die Händler aus. Die Händler wollen möglichst viele Bücher verkaufen und legen in großer Menge mögliche Bestseller aus, während die Bücher von Kleinverlagen im Buchladen nicht präsent sind. Es geht beiden darum, möglichst viel Umsatz mit Büchern zu machen. Das ist ja auch selbstverständlich.


    Und der Autor? Bei Großverlagen, die gute Vorschüsse zahlen, ist es schwer unterzukommen. Der Kleinverlag kann sich keinen Vorschuss leisten und die Verkäufe sind oft genug mickrig. An dieser Stelle kommt Amazon ins Spiel und bietet den Kurzschluss vom Autor zum Leser an, mit 70% Tantiemen vom Verkaufspreis. Wenn E-Book-Tantiemen generell nach oben gehen, dann ist dies auch auf die Konkurrenz durch Amazon zurückzuführen. Amazon hat einen Kanal mehr geöffnet, und einige Autoren verdienen dort gutes Geld.


    Dass Amazon dies tut, um damit möglichst viel Umsatz zu machen, kann doch wohl niemand wirklich überraschen. Sollen Autoren jetzt dort nicht mehr anbieten, weil der eine oder andere Verlag oder die eine oder andere Buchhandlung dann zumachen muss? Das ist doch absurd.

    Weniges liegt mir ferner, als irgendeine Kirche verteidigen zu wollen. Aber die Weltsicht, Religionen seien an allem schuld und Säkularisierung sei der Weg zum Heil, ist mir doch etwas zu simpel. Oder sollen der Nationalsozialismus und der Kommunismus als "gottlose" Religionen durchgehen?


    G. Chesterton hat es auf den Punkt gebracht: Als die Menschen aufhörten an Gott zu glauben, glaubten sie nicht einfach an nichts, sondern an allen möglichen Unsinn. (oder so ähnlich).

    Was sehr gut zum Thema passt, ist der Umgang des deutschen Feuilletons mit Kritikern an der islamischen Szene, die selber Migranten sind, zum Beispiel dem deutschen Autor Akif Pirincci oder dem jungen dänischen Lyriker Yahya Hassan. Die Qualität der Texte scheint weniger wichtig zu sein als die Frage, ob da nicht Beifall von der falschen Seite kommt. Speziell bei Yahya Hassan wird siniert, ob er sich nicht instrumentalisieren lässt.


    Zunächst mal ist es einfach bescheuert, eine Darstellung mit dem Argument zu kritisieren, dass auch rechte Kreise ihr zustimmen könnten. Das ist genauso dämlich als würde jemand sagen, Vegetariertum lehnen wir ab, weil Hitler Vegetarier war.


    Aber viel schlimmer finde ich die erbärmliche und gönnerhafte Heuchelei, die ein Teil unserer Intelligenzia damit zum Ausdruck bringt. Der Migrant sollte schön in seiner folkloristischen Rolle bleiben, damit wir Alles-und-jeden-Versteher uns sozialtherapeutisch über ihn beugen können und ihm helfen können, mit seinem Migrantendasein zurechtzukommen.

    Das ist ein Thema, bei dem ein unterschwelliger Rassismus auf der einen und eine falsch verstandene Toleranz auf der anderen Seite eine unheilige Allianz eingehen.


    Eine Abschottung ist weder wünschenswert, noch praktikabel. Es rächt sich aber, dass es zumindest in Deutschland nie eine geregelte Einwanderungspolitik gab. Zu hoffen, dass die Migranten irgendwann wieder gehen ist genauso absurd, wie zu sagen, die sollen einfach alle alle kommen.


    Viele muslimische Migranten sind beruflich und gesellschaftlich bestens integriert und haben meist auch die deutsche oder eine andere europäische Staatsbürgerschaft. Daneben gibt es aber auch viele, die sich gar nicht integrieren wollen und die die europäische Kultur ablehnen. Hier würde ich mir eine klarere Haltung unserer Politik wünschen, nämlich deutlich zu machen, dass willkommen ist, wer die bestehende Rechts- und Gesellschaftsordnung anerkennt, und keine Toleranz gegenüber Leuten zu üben, die sie ablehnen. Das bedeutet zum Beispiel auch, keine vorauseilende Rücksicht gegenüber mutmaßlichen religiösen Gefühlen bei Ausstellungen, Schulveranstaltungen oder Karikaturen. Europa hat zuviele blutige Religionskriege hinter sich, als dass es sich jetzt wieder mit religöse Vorstellungen auseinandersetzen sollte. Die Veranstaltungen unserer Regierung mit den sogenannten Islamverbänden sehe ich sehr skeptisch. Hier wird zweifelhaft legitimierten Organisationen eine Repräsentationsrolle erteilt, die sie gar nicht haben. Gerade säkulare Muslime, können sich wohl kaum vertreten fühlen. Und gerade die sollte man stärken.


    Ich kann mich übrigens an keine expliziten Solidaritätserklärungen unserer kulturellen Elite mit Hamed Abdel-Samad erinnern, die bleiben genauso spärlich wie damals bei Salman Rushdie.