Beiträge von Martin

    Hallo Horst-Dieter,


    3. Die schlimmen Dinge wurden ignoriert, verschwiegen, abgestritten, verharmlost. Auch - oder besser: gerade die, die sie nicht getan haben, dürfen darüber nicht schweigen sondern müssen auf sie zeigen und, wenn möglich, die Schuldigen benennen.

    Meinst Du damit die unrühmliche Zeit des 3. Reichs oder auch Aktuelles?
    zu damals: Diese Arbeit benötigt Zeit. Zudem schürt sie Hass. Ersteres könnte man m.E. besser für Selbstreparatur nutzen, letzteres bewirkt Teufel > Beelzebub, schürt also die Gewaltspirale an > kontraproduktiv.
    Aktuelles: Vom Schimpfen halte ich wenig. Zur Kenntnis nehmen, bekanntmachen ja. Mit darüber hinausgehendem Mehraufwand wird man kaum wen zu Aktionen bewegen können, die er nicht ohnehin tun würde. Also glaube ich, dass auch hier ein Großteil des Aufwandes (=der Zeit) bei sich selbst nutzvoller eingesetzt ist.


    Das ist noch nicht ausreichend passiert so dass befürchtet werden muss, dass sich die Dinge wiederholen. Schauen wir nach Ungarn. Der offene Ausbruch des Antisemitismus spricht eine deutliche Sprache. Wir müssen aber nicht so weit gehen, wir finden ihn auch noch in subtilerer Form in Deutschland und in Österreich.


    Oder schauen wir über den Atlantik. Ich wies schon auf das hin, was
    derzeit mit Bradley Manning passiert. Weshalb ist er angeklagt? Weil er
    Geheimnisse verraten hat. Es sind schlimme Geheimnisse, aber das
    interessiert nicht. Man verklagt ihn wegen des Verrats und wird ihn auch
    wohl verurteilen deshalb. Es hat sich also nicht viel geändert.

    Ja, alles schön und gut. Wiederum: Zur Kenntnis nehmen, bekanntmachen. Mit jeder Art von Gewalt erreichen wir nur wiederum Gewalt. Diese Spirale ist ja nichts Neues! Und auch Empörung oder Hass oder Repressalien gegen Gewalt sind - Gewalt! So werden wir doch aus diesem fatalen Circulus vitiosus nie herauskommen! Es geht einfach darum, den Abbau von Gewalt - und darum geht es ja letztlich - endlich einmal auf eine gänzlich andere, effiziente Weise anzugehen!


    Es geht mir auch keineswegs darum, die Außenwelt zu kurieren. Das könnte ich alleine gar nicht. Ich bin nur der Meinung, es kann nicht angehen, einfach alles so hinzunehmen wie es ist. Zwischen mir als eigenständiger Persönlichkeit und Mitglied einer Gemeinschaft gibt es eine Wechselbeziehung. Mit dem Hinweis, ich muss mich erst mal selbst kurieren kann ich nicht begründen, die Augen zu zu machen und bestehendes Unrecht zu akzeptieren. Antisemitismus? . Ich kümmere mich erst mal um mich selbst - vielleicht geht er dann weg. Meint ihr das?

    Außenwelt kurieren. Allein den Gedanken, jemanden anderen kurieren zu wollen/können/dürfen finde ich fragwürdig. Und wenn es alleine nicht geht, dann ...? Mit mehr Unterstützung? Polizei? Einem Heer vielleicht? Egal, ob im echten oder übertragenen Sinn: Was ist denn das anderes als wiederum Gewalt? Ich hau dich solange, bis du zugibst, dass es falsch war, gehaut zu haben und schwörst, es nie wieder zu tun? Erinnert mich irgendwie an noch dünklere Zeiten ...


    Mich selbst kurieren heißt doch nicht, dass ich gleichzeitig meine Augen verschließe und derlei Unrecht zu akzeptieren schon gar nicht - wieso denn das? Ich kann doch mir falsch Erscheinendes wahrnehmen, kann andere von meiner Wahrnehmung informieren, kann meinetwegen meine Werte als Attachment ("das ist falsch!") dazuhängen und trotzdem an mir arbeiten. Es bringt doch nichts, wenn ich durch Missstände emotional so in Saft gehe, dass ich das Wichtigste - und das sind nun mal meine eigenen Mankos - aus den Augen verliere. Außer ich nutze meine lauthalse Empörung, um von mir selbst abzulenken. Das wäre dann eine fatale Ausrede ...



    Und warum überhaupt bei sich selbst anfangen? Weil nun einfach, wie bereits gesagt, jede Gesellschaft die Summe des Tuns aller ihrer Mitglieder ist. Du bist eins. Ich bin eins. Jeder von uns ist eins! Das Prinzip ist doch sonnenklar. Jeder Mensch weiß, dass z.B. ein wirklicher Boykott ein Produkt vom Markt fegen kann. Warum funktioniert das in der Praxis aber leider nicht? Wiederum deshalb, weil es den meisten Einzelnen nämlich einfach Wurst ist. Es liegt halt mal einfach am Einzelnen. Und den kann ich halt nur motivieren, indem ich das mir als richtig Erscheinende vorlebe. Bei wirtschaftlichen Belangen liegt es auf der Hand, warum wird es bei unserem Thema nicht gesehen? Weil wir eine engere Affinität zur Wirtschaft haben als zu uns selbst ...? Allein das wäre ja schon ein Grund zum Nachdenken, finde ich. Und daraus folgendem Umdenken.


    Hagen

    Ehrlich gesagt verste ich nicht, wo das Problem liegt.


    Fakten sind:
    1. Es sind sehr schlimme Dinge getan worden.
    2. Wir, die wir hier diskutieren, haben diese Dinge nicht gemacht.


    Daraus ergibt sich für mich:
    1. Wo finde ich in mir Anteile, die zu Ähnlichem fähig wären?
    2. Wie kann ich in die Schatten leuchten, die mich an diesem Erkennen hindern?
    3. Wie kann ich diese meine Anteile integrieren oder in Ressourcen umwandeln?
    4. Wie kann ich meinen Wandel und meine Arbeit anderen zugänglich machen, damit auch diese evtl. davon profitieren können.


    Bei Erreichen der Nummer 4 wären wir dort angelangt, wo wir die Leidenschaft, aus der heraus wir dieses Forum bevölkern, nutzen können: schreiben.

    Danke, das war bis hierher hilfreich!


    Wie würdet Ihr folgende Fälle lösen? So lassen? Wenn nicht, wären für mich Vorschläge sehr hilfreich!


    1. (Spitzname, vorher noch nicht erwähnt) "'Sir Henrys' Eltern befanden sich auf Reisen und so fiel die Entscheidung mehrheitlich für die geräumige Villa aus."


    2. "Nicht einfach nur 'Bücher', nein, es musste etwas Besonderes im Zusammenhang mit Büchern sein."


    3. "Die Reaktionen fielen differenziert aus. 'Cool' und 'du spinnst' waren die häufigsten Kommentare."


    4. "... also versuchte er sich in Wortspielen. Von unsinnigen wie 'Westenbogen' über 'Dreiwestenpfeile' bis nur geringfügig sinnhafteren wie 'drei Regenbogen voraus' oder 'gehe dreimal aufwärts zum Regenbogen'."


    5. Das einzig für ihn Schlüssige aus dem merkwürdigen Erlebnis war die Aussage 'nach Westen'.


    Danke im Voraus!
    Hagen

    Hey,


    Eure Meinung würde mich zu zwei Sachen interessieren, und zwar die Verwendung von kursiv Geschriebenem und Hochkommas.


    1. Wann verwendet ihr/man kursiv?


    2. Wann setzt Ihr/man Hochkommas ein?


    3. Der Satz "Was bedeutet 'nach Westen'?" könnte m.E. auch so aussehen "Was bedeutet nach Westen?"


    4. Immer wieder beobachte ich kursive Stellen als Gedanken, z.B. "..., trotzdem sind die Ringe unter ihren Augen nicht zu übersehen. Was hat sie wohl hinter sich? "Wie geht es Ihnen?""


    5. Den Satz "Dann zieht er sie an und setzt seinen abrupt unterbrochenen Spaziergang fort. 'Was für ein Tag', geht ihm durch den Kopf, 'meine Suche beginnt nicht eben langweilig'." finde ich so eleganter: "Dann zieht er sie an und setzt seinen abrupt unterbrochenen Spaziergang fort. Was für ein Tag. Meine Suche beginnt nicht eben langweilig." Euer Kommentar?


    6. Ich finde, kursiv könnte auch mitunter für einen Perspektivwechsel oder ein Einsprengsel einer anderen Perspektive anwendbar sein. Dazu hab ich jetzt kein Beispiel, aber Eure Ansicht würde mich interessieren.


    Herzlich
    Hagen

    Hey K.B. November,


    ob drin oder draußen, bitte entweder 'Jede noch so kleine Bewegung' oder 'Bereits die kleinste Bewegung'.


    Ich würde versuchen, es etwas gefühlsnäher zu schreiben, also von innen heraus. Konkreter. Es fühlt sich für mich etwas beobachtet an.


    Ja, 'Realität' denkt man da nicht, in so einer Lage ist alles auf reines Fühlen reduziert.


    Zwischen Armen und Beinen vllt. einen Punkt. (An meinen Armen schienen Gewichte zu hängen. Meine Beine gehorchten mir bereits gar nicht mehr.)

    Hey Volker,


    finde den Text raffiniert kurz! Lediglich vom 'einfädeln' bin ich nicht 100%ig überzeugt, auch wenn es listig klingt. Arrangieren gefiele mir einen Deut besser. Oder aushecken.

    Zitat


    Gerade bezüglich des Dritten Reichs frage ich mich, was die ständige Aufarbeitungsgeschichte soll. Die hängt mir schon so was von zum Hals raus!

    steht nach wie vor noch im Raum und negiert zum Teil das, was du als Ergänzung noch bringst.

    Das geht vielleicht besser aus der Antwort zu Alexander hervor.


    Ich bemerke, dass ich Gefahr laufe, in Rechtfertigung zu rutschen, wofür ich aber keinen Grund sehe. Unmissverständlicher erklären ja und so auch damit: ... hängt mir zum Hals raus. Hängen tut mir diese kollektive Scheinheiligkeit, sag ich mal provokant. Und nochmal: Hat jemand Beispiele dafür, wo wirklich persönliche Aufarbeitung geschieht, die wir doch alle als die einzig sinvolle sehen?


    Und ich frage mich, warum ihr euch an meinen Aussagen zur kollektiven Wiedergutmachung stoßt, aber nicht auf die persönliche Komponente eingeht. Ist nicht die das wirklich Interesante? Das, wo man wirklich was tun kann?

    Lieber Alexander,

    nach meinem Empfinden ist das so: Wir sind nicht die anderen. Wir sind das Volk. Und zwar das Volk des Staates, der für den 2. Weltkrieg verantwortlich ist, für Holocaust, Massen- und Völkermord.

    Ich bin doch nicht das Volk! Das bedeutet, dass ich 'besser' wäre, wenn ich meinetwegen in Portugal auf die Welt gekommen wäre? Weniger Schuld hätte? Ich werde nach Deutschland geboren und rutsche deshalb gleich in eine Holocaust-Sippenhaftung? Das wäre für mich nur durch eine Reinkarnations-Sichtweise erklärbar. Siehst Du das so?


    Es waren meine und Deine und Horst-Dieters und Saskias uns Toms ... Vorfahren, zu deren Lebzeiten diese Verbrechen geschahen. Egal, wie man sonst zum Historikerstreit steht - die Geschehnisse waren natürlich singulär, weil es nicht die Killing Fields sind, um die es hier geht oder der Gulag oder der Genozid an den Tutsi. Diese Kriegsverbrechen und Massenmorde gehören zu unserer Geschichte, und damit rechne ich sie auch zu unserer Verantwortung.

    Zur Zeit unserer Vorfahren geschahen die Verbrechen, natürlich. Aber was dann, wenn genau diese Vorfahren auf der anderen Seite standen und versuchten zu verhindern? Für wen bin ich dann jetzt verantwortlich? Sollte ich dann nicht stattdessen gelobt werden? Sind nicht alle Angestellten von Monsanto Verbrecher, weil sie dort arbeiten? Sind wir nicht alle verantwortungslose Ignoranten, wenn wir spanische Paprika essen?


    Was mich immer nachdenklich macht ist das 'wir' im Zusammenhang mit Aufarbeitung und nicht nur dieser. Das klingt für mich so unpersönlich. Trotz bestem Vorsatz wirkt es auf mich nach einem Verstecken hinter einem Kollektiv. Das mir übrigens gar nicht so unähnlich dem derer scheint, die genau diese Verbrechen begingen. Mich würde interessieren, was die einzelnen bei sich machen, um z.B. ihr Aggressionspotenzial aufzuarbeiten. Ihren Hass. Ihren Neid. Ihre Scham. Selbsterfahrung? Psychotherapie? Anderes? Was? Nur damit können wir wirklich aufarbeiten, indem wir uns mal vorher erst kennenlernen und dann all den Leichen zu Leibe rücken. Ich erlebe fast täglich, dass sich niemand dafür begeistert, sich mit den eigenen Schatten auseinanderzusetzen. Ist wie bei Krankheiten. Symptom wegreparieren, nur ja nicht hinsehen, wo es herkommen mag. Alles andere ist meiner Meinung nach Augenauswischerei, die gut und edel klingt, die aber so sehr nach ent-schuldigen schmeckt, was ich als pure Alibi-Handlung betrachte.


    Herzliche Grüße
    Hagen

    Horst-Dieter

    zu 3.: Man muss nicht an Reinkarnation glauben, um um die Aufarbeitung der Thema Nationalsozialismus und Holocaust (oder in der Summe: Drittes Reich) nach wie vor zu fordern. Es hat auch wenig mit persönlicher Schuld zu tun. Der Spruch "Ich habe ja damals nicht gelebt - ich kann ja nichts dafür" gehört für mich in die Ecke: Augen zu und Kopf in den Sand. Es ist ja gar nicht das Thema, ob man selbst darin verstrickt war (direkt). Das Thema ist: Wie konnte das passieren und was können wir tun, dass es nicht mehr passiert. Spezieller: Was kann ich dafür tun, dass mir das nicht passiert (das ich mich solchen Ideologien anschließe und mich schuldig mache). Nach dem Ende des dritten Reichs war es mitnichten zu Ende. Längst nicht alle Täter und Schuldige wurden dafür zur Verantwortung gezogen und die allermeisten schauten weg und taten, als können sie nichts dafür. Die alten Kandidaten mischten in der Politik weiter mit und hatten sogar Einfluss auf die Gesetzgebung. Es hat lange gedauert, das aufzuarbeiten und sensibel dafür zu werden. Und Reste dieser »Unkultur« bestehen ja heute noch (siehe NPD und ihr Umfeld), Antisemitismus ist, wenn auch verhalten, noch in einem gefährlichen Maße vorhanden (in Ungarn kommt er gar in einem erschreckenden Maße wieder hervor). Bei unseren Nachbarn in Österreich ist der »Opfermythos« noch sehr verbreitet. Wer fordert, man solle jetzt mal schnell mit der Aufarbeitung aufhören, fordert eigentlich Vergessen und Verdrängen.

    Das ist ja genau das, was ich meine! Nur beobachte ich selten, dass Aufarbeitung als persönliche Herausforderung betrachtet wird. Die meisten flüchten sich in Bereiche, die mit ihnen selbst wenig oder nichts zu tun haben. Und das kann ich nicht mehr hören/sehen! (Bin offenbar nicht der Einzige, der ab und zu missverstanden wird ;-) )


    Insofern habe ich mich ungeschickt/unvollständig ausgedrückt und danke für die Ergänzung!

    Ohne um diesen Thread zu wissen, hab ich ja bei den Hörbüchern meine Begeisterung zum Buch, vor allem aber Christoph Maria Herbsts Leistung kundgetan (hab das Buch selbst nicht gelesen).


    Beim Lesen der Beiträge habe ich mir ein paar Gedanken gemacht, die mich jedesmal befallen, wenn ich Ähnliches mitbekomme.


    1. Jedesmal wieder finde ich spannend, wenn und wie schlimme Taten anderer verurteilt werden. Und ich frage mich, was hinter dieser Entrüstung steckt. Ist Entrüstung nicht ein Zeichen der Distanzierung? Unbewusst natürlich. Je mehr man sich über jemanden empört, desto mehr sagt man damit 'ich bin nicht so'. Letzlich behaupte ich mal, dass dahinter Angst steckt, ja nicht in diese Ecke beurteilt zu werden. Weil das nämlich ausgrenzt.


    2. Wenn Hitler nicht gewesen wäre ... dann hätte garantiert ein anderer die Rolle übernommen. Warum? Unsere Gesellschaft ist letzlich nichts anderes als die Summe des Wollens lauter Einzelpersonen. Also Du und ich. Unter diesen Einzelpersonen gibt es ein paar Anführer. Der Rest sind Mitläufer. Wären alle gegen Gentechnik, dan gäbe es keine einzige Genmanipulation. Hätte Hitler damals niemand zugehört, dann wäre er schön allein dagestanden. Die Stimmung der Einzelnen erzeugt ein morphogenetisches Feld, aufgrund dessen es sich ergibt. Wie benzinschwangere Luft, in die man ein Zündolz schmeißt. Da werden die Einzelpersonen zum rasenden Mob. Wenige Führer, viele Ausführer.


    3. Gerade bezüglich des Dritten Reichs frage ich mich, was die ständige Aufarbeitungsgeschichte soll. Die hängt mir schon so was von zum Hals raus! Außer man ist von Reinkarnation überzeugt und weiß, damals einer der schlimmen Finger gewesen zu sein. Wenn nicht - warum sind wir so unglaublich drauf versessen, zerknirscht über das zu sein, was unsere Vorfahren getan haben? Das kommt mir manchmal so kindisch vor wie die Blutrache in der anderen Richung. Oder ist es doch Erinnerung? Schlechtes Gewissen für eine Ahnung von Selbstgetanem ohne reale Erinnerung daran? Gut, dann ist es anders. Nur habe ich das bis dato niemanden sagen hören.


    4. Zu dem jetzt hat Horst-Dieter auch was gesagt: Viel, wirklich sehr viel interessanter fände ich, wenn man sich selbst beobachten würde, was da drinnen an Potenzial zur Grausamkeit steckt! Vor vielen Jahren erlebte ich einen Mann, von dem ich wusste, dass er ein netter Familienvater ist. Bei einer großen Festlichkeit arbeitete er freiwillig als Oberplatzzuweiser am Parkplatz. Das war für mich das einzige Mal, dass ein Hauch herüberwehte, wie in diesen traurigen Jahren vermutlich Leute agierten, die etwas zu sagen hatten. Kinder leben diese Grausamkeit noch aus, Schulhöfe sind manchmal gar nicht witzig. Wenn wir älter werden, dann stopfen wir das alles in einen Topf und machen den Deckel zu. Doch auch Kelomaten können explodieren. Und damit sind wir wieder beim Anfang. Es ist so viel leichter, über andere ensetzt zu sein und nicht umsonst sagt man ja, dass man sich distanziert. Das lenkt wunderbar ab. Schaut dorthin. Nur, bitte ja nicht zu mir! Schau mich nicht so seltsam an! Ich nicht! Nie! Ja, denkste ... Momentan mache ich eine Therapie ohne Schmerzmittel, was naturgemäß weh tut. Da genügt es mitunter schon, dass ich den Ärmel meiner Jacke nicht treffe, dass das Bedürfnis in mir aufkocht, die Jacke in Fetzen zu zerreißen! Ich ahne, was in mir schlummert - und ich glaube es schlummert in jedem - und ich bitte das Universum inständig, dass ich nie in eine Situation komme, in der ich aus Angst entscheiden muss, grausam zu sein. Denn ich weiß nicht, wie ich reagieren würde.


    Selbst kann ich zum Beispiel Kriegsfilme nicht anschauen. Vielleicht geht es gefühlsmäßig Tom ähnlich wie mir, weiß nicht. Ich will sie mir nicht ansehen. Ich will mir Schindlers Liste nicht ansehen. Oder Anne Frank lesen. Denn es macht mir Angst! Ich bin mir fast sicher, in diesen Jahren bei den Opfern gewesen zu sein, woher käme die Angst sonst, wenn ich den Schrecken nicht kennen würde. Und wie es der dumme Zufall will, möchte ich einen Roman zum Thema Unsterblichkeit schreiben, wofür der Protagonist noch im 19.Jh. geboren werden muss. Schöner Mist! Ich muss jetzt durch den ersten und den zweiten WK! Ja, dumm gelaufen!


    Es ist so verdammt leicht, zu verurteilen!
    Und so verdammt schwer, in seinen eigenen Keller hinabzusteigen!


    So entschließe ich mich dazu, über das Hörbuch herzlich zu lachen, auch wenn es hie und da von Kopfeinziehen kurz unterbrochen wird, und es weiterzuempfehlen. Und gleichzeitig versuche ich immer dann, wenn Äußerungen wie 'das würde ich nie' sich meinen Lippen nähern, genau dorthin zu schauen, was ich dort im Schatten endecken, betrachten, mit ihm in Dialog gehen und es vielleicht irgendwann einmal integrieren kann.


    Die Verbesserung der Welt geschieht nicht über das Knebeln des 'Schlechten', sondern durch Empathie des Einzelnen zu allem Leben.

    Hey Thea!


    Schön, dass Du da bist, sagt einer, der es selbst noch nicht lange ist!


    Öfters dachte ich mir, wie das zugehen mag, wenn zwei an einem Buch schreiben. Wechselt Ihr Euch kapitelweise ab? Wenn ja, merkt man das nicht? Oder plaudert drüber und eine schreibt?
    Würde mich interessieren, davon zu erfahren!


    Liebe Grüße
    Hagen

    Sie - nein, nicht Sie, denn wir sind ja per Du - sind praktisch, klein, gern überall dabei und Opa. Oder Onkel. Lieber Opa. Abends vor dem Einschlafen auf der Bettkante. Dort bitte ich Opa (meiner heißt nicht oPa, sondern iPod), dass er sich nach zwanzig Minuten unauffällig zurückzieht. Dann bin ich nämlich sicher eingeschlafen. Dabei muss er zu diesem Zweck überhaupt nicht schlechte, monotonen Hörbücher rezitieren, nein, mich beruhigt einfach das Vorlesen als solches so ungemein. Find ich gemütlich. Spendiert ein wenig kindliche Geborgenheit. Zur Effektverstärkung rolle ich mich mitunter noch zusammen. Dann sind mein innerer Fötus und ich vollends in glücklichem Einvernehmen ...


    Hier stelle ich gerne mein aktuelle Hörbuch vor, es heißt Er ist wieder da.
    Was passiert: Adolf Hitler findet sich im Hof eines Berliner Hauses, die Uniform leicht beschmutzt und nach Benzin stinkend. Und das im Jahr 2011. Mit ähnlicher Unschuld wie Crocodile Dundee New York kennenlernt, macht er es mit Berlin. Seine erste Bezugsperson wird ein Kioskbesitzer, der findet, dass Adi ein sehr begabter Kabaettist ist: 'Mann, ist der echt!'. Adolf sieht das anders, denn mit den Jahren ist ihm zwar Zeit abhanden gekommen, aber nicht seine Mission. Womit die Geschichte ihren Lauf nimmt. Genial(!!) gesprochen von Christoph Maria Herbst.


    Könnte es vielleicht so sein, dass guter/schlechter Stil sich ähnlich verhält wie gut/schlecht generell?


    Was ist gut, was schlecht? Ist reine Wertung finde ich. Alles, was dem eigenen Wertebild entspricht finden wir mal von Haus aus gut. Den Rest schlecht. Weil gut gleich ist (wie man selbst), passt, wohl tut, Sicherheit gibt. Aus diesem Grund sind wir ja oft auch so versessen darauf, einen Partner so zu machen, dass er wohl tut ... ;-)


    Mit dem Stil kommt mir das ähnlich vor. Wenn jemand gehobene und eloquente Literatur mag, dann findet er solchen Stil gut, weil er ihm entspricht. Schnoddriges oder Seichtes wird für ihn als schlechter Stil gewertet.


    Aus diesem Grund habe ich für mich allgemein gut und schlecht durch stimmig und nicht stimmig ersetzt. Sogar beim Essen. Gibt mehr Freiheit.


    In Folge würde ich sagen, dass es stimmigen und nicht stimmigen Stil gibt. Und das wiederum hat letztlich nur mit der Geschichte, den Orten, den Figuren, den Stimmungen zu tun. Und mit der Perspektive. 'Boah ey!' finde ich stimmig bei einem Vierzehnjährigen, Beim Uniprof passt's wohl nicht so. Oder vielleicht gerade, wenn er einen Verunglückten auf jugendlich-jovial machen möchte. Somit kann ich als Autor stimmig oder nicht stimmig schreiben. Ist nicht der Stil vielleicht sogar lediglich eine Komponente eines Bildes? Ein sechster Sinn sozusagen? Eine Mischung aus dem Geist des Geschriebenen und dem des Schreibers, idealerweise auf den des Lesers ein wenig abgestimmt?


    Dann kommt eine weitere Komponente dazu: Der Leser. Dort wird man vielleicht den Stil etwas relativieren müssen - wenn einem am Leser liegt (und nicht nur am Kritiker). Vielleicht wie im real life: Man möchte ja was rüberbringen, also sollte man auch in einem gewissen Maß auf sein Gegenüber eingehen. Wobei man diese Erkenntnisse natürlich weiters nutzen kann, um den Leser bewusst zu verstören. Letztlich wieder: stimmig? Nicht stimmig?


    Ich finde, dass Stilwechsel ein genauso geschicktes Mittel sein kann wie der Einsatz der Interpunktationsfülle. Auf jeden Fall im Dialog, aber warum nicht auch im Text, wechselnden Perspektiven angepasst?

    Hey Heiger!


    Neuer heißt Neuen willkommen ;-) (wobei sich der Zwinkersmiley nicht auf 'willkommen' bezieht!)
    Bin zwar auch erst sehr kurz hier, fühle mich aber bereits sehr wohl in dieser professionellen und freundlichen Runde.


    Alles Gute und herzliche Grüße
    HagenF

    Liebe Mitschreibende, Mitlesende, Mitleidende und Mitfreuende,


    es macht mich betroffen, wenn ich lese, dass ich hier ein Buch zerreiße. Tatsächlich tue ich das, jetzt wird mir das klar, aber der Gedanke kam mir beim Erstellen des Threads überhaupt nicht. Ich wollte mir der Ursache meiner dort beschriebenen Verunsicherung klar werden. Allerdings den Text einfach herauszugreifen ohne Quellenangabe fände ich jetzt im Nachhinein nicht richtig. Sozusagen eine Art postgeschehens Dilemma.


    Auch wenn das jetzt boshaft klingt, aber die 103 Bewertungen mit jeweils 5 Sternen verwundern mich schon arg.

    Das war auch etwas, das mich verwirrte, denn dieser Überhang ist gewaltig!


    Viele dieser Fünf-Sterne-Rezensenten haben nur dieses oder ausschließlich Bücher von Reinhold Kusche bewertet. In Dutzenden dieser Besprechungen findet man wiederholte Auslassungspunkte (...) und ähnliche Eigenartigkeiten. Es hat mit Boshaftigkeit wenig zu tun, wenn man feststellt, dass hier - wieder einmal - versucht wurde, das System als Marketinginstrument zu verwenden. Besser werden die Bücher dadurch aber auch nicht.

    Danke für die Recherche! Manchmal mache ich das auch, aber bei so einer Menge - hätte nicht gedacht, dass sich das wer antut. Beim Bestseller-Aufkleber dachte ich mir noch nichts, warum sollte der Verlag nicht stolz drauf sein. Aber die Kombi ist dann nicht mehr so lustig.


    der Titel Deines Freds erinnert mich an Fragen, die Anja und ich uns gerade bei unseren gemeinsamen Hörbuchabenden gestellt haben.

    Ich mag Hörbücher sehr, zumal es für mich dabei noch die Steigerung gegenüber dem Buch durch gute Sprecher/Sprecherinnen gibt. Momentan höre ich gerade Er ist wieder da - genial!!
    Würde mich freuen, wenn Du/Ihr Lust habt, Euch etwas zu diesem Thema bei Gelegenheit auszutauschen. Habt Ihr schon viele gehört? Welches Genre bevorzugt?


    Auch wenn ich hier auf ein Buch losgegangen bin (im Nachhinein betrachtet, denke ich eben, vielleicht sogar ausgleichende Gerechtigkeit? ;-) ), was nicht mein Beweggrund war, bin ich froh, es getan zu haben und dankbar für das aufrichtende Feedback!