Beiträge von hianja

    Ich hab's schon vor 'ner Weile ausgelesen, aber es ist eins der Buecher, zu denen ich einen gewissen Abstand brauche, bevor ich sie bewerten kann.


    Miéville ist nicht Peake, und ich denke man tut ihm keinen Gefallen mit einem Vergleich, der nur enttaeuschen kann. “Perdido Street Station” hat ein wundervoll detailliertes Setting, das mit Hingabe und einem liebevollen Blick fuer die vielen kleinen Besonderheiten, die das grosse Ganze ausmachen, gestaltet ist. Doch waehrend Peake seine Geschichten mit vielschichtigen, unvergesslichen, idiosynkratischen, lebenden und atmenden Wesen bevoelkert, 'baut' Miéville seine Charaktere, wie er seine Stadt baut, erschafft Requisiten fuer seine fantastische Buehne anstatt Persoenlichkeiten, um die man zittert. Tatsaechlich habe ich mich gefragt, ob nicht New Crobuzon selbst der wahre Protagonist der Geschichte ist.


    Der Geschichte ...


    Wessen Geschichte? Isaacs? Yaghareks? New Crobuzons?


    Yagharek mit seiner lyrischen, introvertierten Stimme ist fuer mich lebendiger geworden als Isaac, aber er bekommt nicht genug Raum fuer's Protagonistendasein, ist eher Katalysator, obwohl er sich veraendert, oder der Rahmen, der verzweifelt versucht, diesen wuchernden Koloss zusammenzuhalten. Was mich wieder auf die Stadt zurueckwirft. Die Charaktere treiben nicht wirklich die Handlung voran, das tut die Stadt -- dieses dampfende, ruehrige, sich windende Konglomerat aus Strassen, Gebaeuden, Maschinen und Bevoelkerung. Und sie treibt nicht nur die Haupthandlung, sondern wirft eine Unzahl unabhaengiger kleiner Tentakel aus, Handlungsfaeden, die auf sich selbst zurueckfuehren oder auf kein bestimmtes Ziel hin. Ein barockes Monster, haesslich, frustrierend, manchmal kaum begreifbar und absolut faszinierend.


    Worum geht's? Verantwortung? Konsequenzen? Schuld? Wer wir sind und was uns zu dem macht, was wir sind? Vielleicht.


    Warum lesen?


    Weil es schoen ist, auf dieselbe Art, auf die Schmiedeeisen schoen ist: verdreht, russig, pockennarbig, haelt es fest an der Opulenz vergangener Zeiten, und trotzdem, oder vielleicht darum, zwingt es uns gelegentlich seine ueppige Verfuehrung auf.

    Das Buch startet langsam wie eine Dampflok oder eine der Maschinen, die es so gut beschreibt. Aber es ist das Dabeibleiben wert, nimmt nach dem ersten Drittel Fahrt auf und reisst den Leser mit, so unausweichlich wie ein fahrender Zug. Ein grotesker Albtraum, der einem, noch lange nachdem man das Buch zugeklappt hat, schweissnass im Kopf herumgeistert.


    Bei aller Wucht, die das Buch entwickelt, bringt es einen jedoch nirgendwo schnell hin. Es verweilt bei Stil und Architektur, fuehrt auf philosophische Umwege, entdeckt der Leserin zusaetzliche Themen, Charaktere, Nebenhandlungen und wimmelnde Bildhaftigkeit mit einer Hingabe und Fabulierkunst, die einen manchmal erschlaegt. Es ruft die Art schwindelnden Erstaunens hervor, das den biederen Besucher eines mittelalterlichen Jahrmarkts erfasst haben mag, dessen Eindruecke nicht der Geschwindigkeit wegen, sondern vor lauter Vielfalt und Fremdartigkeit verschwammen.


    “Perdido Street Station” eignet sich nicht fuer Zehnminutenpausen, sondern belohnt vielmehr die Leser, die anhalten und den Sprung wagen; die eintauchen in die bizarre, ueberbordende Fuelle dieses herrlichen Steampunkepos', das in seinem schieren Umfang (und damit meine ich nicht die Seitenzahl) an Dickens erinnert.


    Lasst euch die Fluesse Tar und Canker hinuntertreiben, lehnt euch zurueck und geniesst die Reise.


    (Diese Rezi bezieht sich auf die englische Ausgabe. Inwieweit die Uebersetzung dem sybaritischen Stil gerecht wird, kann ich nicht beurteilen. Ich halte allerdings die Aufteilung auf zwei Baende fuer ungluecklich, weil dieses Monstrum eine Weile braucht, bis es in Fahrt kommt. Das koennte Leute, die sich bisher nur den ersten Band zugelegt haben, vom zweiten abhalten. Und sie wuerden meines Erachtens was verpassen.)

    Zitat

    Original von Tom



    Ich meine, "Jetzt ist Polen offen" geschrieben zu haben.


    Ja, hast du. *Wir* (im aeussersten Westen, schon mit einem Bein in Holland) haben "Jetzt ist Polen verloren" gesagt . Das aber wirklich nur am Rande und ohne jetzt hier in allzu tiefsinnige Ost-West Diskussionen abdriften zu wollen.


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    mein altes "So cool", aber auf dem Land - und mit mehr Geschichte, weit weniger nihilistisch und ... ach was. Ich mache es einfach. :D


    Ja, bitte. OoO

    Weihnachten ist es dann endlich auch nach Kanada vorgedrungen, in einem dicken Stapel 'Buecher aus Deutschland'. Halb war ich dann Weihnachten auch schon auf der Busfahrt nach Montreal durch, dann *kreisch* hab ich's bei Schwiegerelterns vergessen und erst letztes Wochenende zurueckbekommen. Jetzt war's also faellig. Auszeit, Decke, Couch, Tee; und an einem schneereichen Wintertag vor dem Kamin hab ich's in einem Rutsch zuende gelesen. Oft gegrinst oder gekichert, trotzdem gut, dass die Kleenexbox in Reichweite war. Dieses distanziert-lapidare Understatement nimmt mich ja immer viel mehr mit, als alles andere.


    Hab's wirklich gern gelesen und, obwohl im Westen aufgewachsen, so manches wiedererkannt. Das Einkaufengehen mit Brustbeutel im Tante Emma Laden, die Krachledernen. Bei uns war 'Polen verloren', was die westliche Sicht der Dinge vielleicht mehr unterstreicht als so manches andere.


    Die Detailtreue, das akribisch beobachtete und dann atmosphaerisch stimmig verpackte, ist das, was ich schon an Radio Nights so mochte. Und es hat mich wieder eingefangen. Gut gemacht. Mehr. :o)

    *g* <outing>Ich bin ein Fan von Cusslers Dirk Pitt Romanen </outing> James Bond trifft's gut. Eine Mischung aus Bond und Cousteau. ;o)


    Es ist auch witzig mitzuerleben, wie er seiner Figur ueber die Jahre mehr 'political correctness' verpasst, ihn mit dem Rauchen aufhoeren laesst, und die Cutty Sarks gegen etwas weniger Umdrehungen eintauscht. Trotzdem machen sie lange Spass, mir jedenfalls. Ich glaube der erste, bei dem's anfing schal zu werden, war "Sahara". Danach hab ich noch zwei oder drei gelesen und bin dann ausgestiegen.


    Die aus den Siebzigern und Achtzigern sind jedenfalls alle Fun. Wenn dir der gefallen hat, wuerde ich auch noch mal nach den anderen gucken. Nicht, dass ich die einzelnen Plots nach all den Jahren noch gross auseinanderhalten koennte, aber fuer den, der's mag, amuesante Unterhaltung fuer Zug, Bus und Badewanne.

    Habe gerade versucht, das Buch bei Amazon Canada zu finden, und es hat 'ne Weile gedauert, bis ich drauf gekommen bin, dass das nicht der Originaltitel ist, sondern "The Girl Next Door".


    So ganz versteh ich ja die Titelwahlen deutscher Uebersetzungen nicht immer. Bei Filmen ist mir das auch schon lange ein Raetsel.


    Jedenfalls hat deine Rezi dafuer gesorgt, dass das Buch auf meiner (allerdings recht langen) 'To Read' Liste gelandet ist.

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    Original von Nikana
    Wenn die Umlaute nicht wären würde ich mich auch mit einer US/UK-Tastatur begnügen, das Tastenlayout unterscheidet sich ja nicht so sehr. Aber die Umlaute benötige ich nun doch ... :(


    Umlaute sind drauf. Allerdings mit einer 3-Tasten Funktion.


    Eine Freundin von mir hat sich vor 'nem Jahr ungefaehr den Alphasmart 3000 gekauft. Die ist von ihrem 'Alfi' genauso angetan, wie ich von meinem NEO.


    Liebe Gruesse,
    Anja

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    Original von Ingrid
    Sag mal, Hianja (?), was ist das denn für ein tolles Ding? Klingt genau richtig für Internet- und Emailjunkies. Mein Laptop sucht sich nämlich auch aushäusig immer ein Netzwerk, mit dem er ins Internet kann :frust


    Da gibt's verschiedene. Bei mir ist's der NEO. Gibt's seit kurzem auch in D. :tuschel

    10 Finger halbblind (obwohl ich die Umstellung auf die kanadische Tastatur langsam intus hab) auf einer tragbaren Tastatur, weil ich furchtbar undiszipliniert bin und mich am PC immer von emails und Internet ablenken lasse.


    Ausserdem lese ich auf dem Bildschirm, was ich geschrieben hab, fang an rumzukorrigieren und krieg nix gebacken. Die Tastatur hat maximal sechs Zeilen (bei kleinster Einstellung). Grad genug, um zu gucken wo man dran war, wenn man unterbrochen wurde. Und ich kann sie ueberall mit hinschleppen, der Akku haelt ewig.


    Wenn ich sie nicht dabei hab, schreib ich handschriftlich im Sudelbuch oder auf Zettel, Kassenbons, abgefahrene Bustickets, im Notfall auf meine Hand.

    Normalerweise linear, weil ich sehr strukturiert plotte. Aber wenn ich ploetzlich eine Eingebung fuer eine Szene habe, die noch nicht dran ist, schreib ich die natuerlich trotzdem auf.


    Und ich habe ja noch diesen Sarah Text, der mir partout nicht sagt, wo er hingeht. Den kann ich nur szenisch schreiben. Und hoffen, dass sich das irgendwie sortiert. Ist fuer mich aber sehr experimentell. Kann dir noch nicht sagen, ob da je was vernuenftiges bei rauskommt.

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    Original von Sabine Kruber
    Ja, ja, Dyslexie, Legasthenie, LRS ...
    Welche Rechercheglocken meinst Du denn?


    *g* Sorry. Meine fuer "Sarah". Das ist der Roman (bzw. einer der beiden) an dem ich gerade arbeite. Sarah kann 'nicht gut lesen' und schmeisst (u.a.) deswegen mit 16 die Schule, usw.


    Darf ich dich vielleicht gelegentlich mit meinen Fragen loechern? Wuerde ich dann privat machen, damit ich hier nicht alles zumuelle. Sag aber bitte, bitte gradeheraus, wenn dich das nerven wuerde und/oder du das schlicht nicht moechtest.


    Liebe Gruesse,
    Anja

    Hi Sabine,


    Zitat

    Am liebsten arbeite ich mit Kindern und Jugendlichen die Probleme beim Lesen und Schreiben haben


    Oooh, da klingeln bei mir die Rechercheglocken. Dyslexien, z.B.?


    Liebe neugierige Gruesse,
    Anja

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    Original von Arieve
    Huch, wie peinlich, da muss ich echt was verpasst oder gar verdrängt haben. Scheint Dir ja in Kanada zu gefallen, gell? Kann ich verstehen ist ja auch ein superschönes Land. Irgendwie wandern die Phönixe alle aus... :D


    Ja, das war ein echtes Umzugsjahr. Auf 'ner anderen Liste hatten wir auch eine Haeufung von Umzuegen, wie ein Virus. ;o)

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    Original von Gerdom
    Die Frage "Kann man vom Schreiben leben" hätten die auch schlicht mit "Nein" beantworten können ;)


    *g* Oder mit Radio Eriwan "In der Regel nicht." ;) (jedenfalls nicht mit fiction)

    Ich experimentiere zur Zeit mit diesem Mindmapping tool (auch auf deutsch verfuegbar), das eigentlich fuer wissenschaftliche Arbeiten entwickelt wurde, mir aber auch fuer Entwicklung und Plotting von non-fiction sehr vielversprechend zu sein scheint. Zumindest verringert es meinen Einsatz von Tapetenrollen und Millimeterpapier. ;)


    Hier gibt's eine Flash Demo.


    Naeheres, wenn ich ein wenig mehr Erfahrung damit habe.