Sehr geehrte Frau XXX,
das Originalgemälde in der Residenz von Würzburg ist farblich doch differenziert zu den Fotos des Fotografen. Leandro Bassano hat das Bild in einigen Bereichen mit sehr schnellen Pinselstrichen virtuos ausgeführt. In der Kopie kann ich das ja nur improvisiert wiedergeben, um vor allem die Detailgenauigkeit zu erhalten.
Sehr interessant ist die Tatsache, dass die Farbe des Bartes mit sehr farbigen Pinselstrichen die Gesamtfarbigkeit des Gemäldes wiederholen und damit unterstreichen. Bassano folgt in seiner Maltechnik Tintoretto, der für diese „impressionistischen“ Aspekte bekannt ist. Die schreibende, rechte Hand ist sehr detailliert ausgearbeitet, die linke Hand am rechten Bildrand ist dagegen flüchtig, aber gekonnt im Sinne der damals beliebten „Sprezzatura“–Manier (spontan-individuelle Malweise) ausgeführt.
Auf dem kleinen Zettel unterhalb der Signatur von Bassano steht „Lunardo Armano Venetia“. Die Bildtafel informiert, dass der Kaufmann Leonhard Hermann aus Augsburg oder Nürnberg stammt und zwischen 1572 und 1581 die Stellung eines Konsuls am Fondaco dei Tedeschi innehatte. Ihre Vermutungen, der Urahn könnte ein Tuchhändler gewesen sein, erschien mir logisch, der bunte Teppich auf dem Tisch (damals ein gängiger Nutzen edler Stoffe und Tücher) passte so gar nicht zur dunklen, betont seriösen Amtstracht in beinahe hanseatischem Understatement, aber er passt als Attribut eines Kaufmanns für Tuche.
Dass ein Tuchhändler Konsul des Handelsplatzes in Venedig war, ist übrigens keine Überraschung. Ende des 16. Jahrhunderts war die Blüte Venedigs schon Vergangenheit. 100 Jahre zuvor bestimmten die venezianischen Flotten im Mittelmeer noch den gesamten europäischen Handel. Als Leonhard Herrmann portraitiert wurde, waren die großen Handelsflotten Spaniens, Portugals, Frankreichs und Englands längst in Übersee, Afrika und Asien. Venedig spielte als Stadtstaat nur noch eine Rolle im Tuchhandel – allerdings nicht auf Grund der Handelsflotte, sondern durch die Tatsache, dass Venedig noch der bedeutendste Tuchproduzent war.
Eine echte Überraschung bei der Begutachtung des Gemäldes war für mich die Entdeckung einer Schere auf dem Brokat-Tischtuch am rechten unteren Bildrand. Die Schere war auf den gelieferten Fotos nämlich nicht zu erkennen. Das Gemälde ist wahrscheinlich irgendwann - eventuell auch mehr als einmal - an der Unterseite beschnitten worden. Das war in früheren Jahrhunderten durchaus üblich. Gemälde wurden dann zurecht geschnitten, wenn die dafür vorgesehene Wandfläche nicht ausreichte. Für diese Vermutung spricht die weit außerhalb des goldenen Schnittes liegende Oberkante des auf dem Tisch liegenden Teppichs - sie ist zu tief. Der Teppich ist eines der wichtigsten Attribute des Portraits, er kommt aber kaum zur Geltung. Dieser Mangel in der Komposition passt nicht zur technischen Virtuosität der Malerei und der Qualität des Bildes allgemein. Das Bildmaß der Urfassung war zumindest in der Bildhöhe länger, eventuell wurde nach dem Beschnitt das ursprüngliche Bildverhältnis angewendet und damit auch die Breite verkürzt.
Ich gehe davon aus – und dazu passt auch der üppige Tischteppich in orientalischem Design - dass der Dargestellte ursprünglich Schneider war und mit Tuchen reich geworden ist, bevor er an den Fondaco dei Tedeschi berufen wurde. Die Schere ist auf Gemälden ein gängiges Symbol oder Attribut für Tuchhändler. Damit ist Ihre Vermutung mit größter Wahrscheinlichkeit zutreffend.
Leonhard Hermann ist also durch den europäischen Tuchhandel zu Wohlstand und Einfluss gelangt. Es blieb die Frage und die Bildtafel gab keine Antwort: kam er nun aus Augsburg oder kam er aus Nürnberg? Die Art des schweren Tuches lässt auf eine orientalische Herstellung schließen, vielleicht war Leonhard Hermann nicht nur Tuchhändler in Venedig, sondern ein wichtiger Importeur der edlen Teppiche aus dem für Christen feindlichen und gefährlichen vorderen Orient. Venedig war der wichtigste Umschlagplatz dieser Stoffe und Tuche. Da Augsburg wiederum für den Tuchhandel wichtiger war als Nürnberg, könnte Hermann meiner Ansicht nach eher aus Augsburg stammen. Das ist und bleibt alles trotzdem nur meine persönliche Vermutung.