Hallo, Cordula.
Abschließend. Versprochen.
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Ich sage nur, dass man die Realitäten der Betroffenen einkalkulieren muss und berücksichtigen sollte. Wenn ich es dann trotzdem machen möchte, bitte sehr. Aber das große Wundern, wie die Reaktion der anderen Seite ist??
Hast Du Dich eingehend mit den Geschehnissen um die Mohammed-Karikaturen (die Anlaß für diese Teildebatte waren) beschäftigt? Hast Du zur Kenntnis genommen, wie es zur "Reaktion der anderen Seite" gekommen ist, wie sie entstand, was ihre Vorgeschichte war, welche Karikaturen tatsächlich veröffentlicht worden sind (und wo) - und was im Nachgang geschah? Dieser Streit (einschließlich der nachfolgenden Gewalt) war keine mittelbare Reaktion auf die Veröffentlichung in einer dänischen Zeitung. Sondern eine bewusst angezettelte und mit falschen Informationen durchsetzte Kampagne, deren Ziel darin bestand, und zwar ausschließlich, den Hass anzufachen, Öl ins vermeintliche Feuer zu gießen, Stärke als streitbare Gläubige zu zeigen. Die zwölf ursprünglich veröffentlichten Karikaturen sind auf dem Weg in die islamischen Staaten um andere Darstellungen ergänzt worden, die teilweise sogar obszön waren.
Fraglos sind Presse- und Meinungsfreiheit Güter, mit denen verantwortlich umgegangen werden muss, auch jenseits dessen, was Gesetze vorschreiben. Wir reden hier allerdings um Veröffentlichungen in Ländern, die nicht islamisch sind, in denen es gerade mal 3 Prozent Muslime gibt (etwa 170.000 von 5,5 Millionen) - und von denen die meisten nicht dort lebenden Muslime nicht einmal wissen dürften, wo sie sich befinden. Dänemark ist ein säkularer Staat. Mag sein, dass es für Muslime verboten ist (das ist strittig), dass Mohammed dargestellt wird - und wie. Aber aus Sicht eines westlichen Journalisten ist das "nur" ein vermeintlicher Prophet einer fernen Religion. Wir essen Kühe, obwohl manch eine fernöstliche Weltanschauung das für verbrecherisch hält. Wir essen Schweine, und was dazu einige nahöstliche Gemeinschaften sagen, dürfte bekannt sein. Die heilige Kuh des einen ist ein Alltagsgegenstand für den anderen. Wenn man mit allem rücksichts- oder "respektvoll" umgehen würde, was irgendeine Glaubensgemeinschaft für sich als "heilig" auserkoren hat, dürfte man fast nichts mehr tun, sagen oder essen. Andersherum: Wer etwas glaubt, darf keinesfalls nur deswegen (also weil er es glaubt) einen Freibrief erhalten.
Wenn der Islam nicht kritisiert werden darf, auch und vor allem nicht satirisch, damit man sich dann nicht "wundern" muss, wie die "Reaktion der anderen Seite" ausfällt (und dann auch noch gewalttätige!) - was fordert man damit eigentlich? Dass man die Triebfeder des Handelns (und zwar des durchaus kritikwürdigen Handelns) eines großen Teils der Welt ausspart. Das wiederum hat mit Meinungs- und Pressefreiheit nichts zu tun. Wenn jemand nicht zwischen seinen persönlichen Befindlichkeiten (als Angehöriger einer Glaubensgemeinschaft) und einer Kritik an dieser Glaubensgemeinschaft zu trennen in der Lage ist und gewalttätig reagiert, dann kann doch nicht Folge dieser Umstände sein, dass man aufhören muss, zu kritisieren. In welcher Form auch immer. Und, wie gesagt - die Form ist gefälscht worden, damit es zu Protesten kam. Diese Rechnung ist auch aufgegangen.
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Außerdem finde ich die Haltung von uns ach so zivilisierten westlichen weißen Menschen extrem überheblich. Ähnliche Karrikaturen noch wenige Jahrzehnte früher bei uns? Wow. Ich hätte unsere Presse lesen mögen.
Zunächst einmal - siehe oben. Die Karikaturen, die veröffentlicht worden sind, waren nicht deckungsgleich mit denen, die zur Eskalation führten. Davon abgesehen wird Kirchen- und Religionskritik - auch in vergleichbarer Form - bei uns nicht erst seit "wenigen Jahrzehnten" geübt. Glücklicherweise. Und davon abgesehen wiederum sind die fraglichen Karikaturen ja nicht in Saudi-Arabien veröffentlicht worden, sondern in Dänemark, verdammtnocheins. Und wieder davon abgesehen ist es unveräußerliches Recht, Auffassungen, Weltanschauungen, Ideologien und Philosophien zu kritisieren. Auch, wenn man damit deren heilige Kühe schlachtet. Gerade dann. Das hat mit Arroganz nichts zu tun. Wir leben in einer Welt, die ihre Inspiration und Wandlungsfähigkeit aus dem Wettstreit der Meinungen bezieht. Damit geht einher, dass die Befindlichkeiten und "religiösen Gefühle" (oder "politischen Gefühle" oder "philosophischen Gefühle") Einzelner weniger schwer wiegen als das Recht, eine Auffassung kritisch zu betrachten. Und es ist ja gerade das Problem, dass insbesondere Religionsgemeinschaften für sich beanspruchen, unantastbar zu sein. Dieser Anspruch wird neuerdings immer lautstarker vertreten.
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Und dann Dein gesamter Absatz über Christentum/Katholizismus bis hin zu der Schlussfolgerung, dass sich nur die Welt um die Kirche geändert hat, sonst gäbe es noch Hexenverbrennung usw. Er ist teilweise unsachlich und in vielen Punkten auch falsch.
Das war natürlich überspitzt und absichtlich plakativ gesagt.
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Das, was Du sagst, widerspricht insbesondere den wissenschaftlichen und anerkannten Erkenntnissen von Historikern, Psychologen, Ethnologen usw. Um es ganz klar zu sagen, selbst ein Wissenschaftler auf diesen Gebieten, der keinesfalls an Gott glaubt, sondern davon ausgeht, dass Religion von Menschen gemacht ist und jeglicher "überirdischer/übermenschlicher" Grundlage entbehrt, würde niemals behaupten, dass Religion und Kirche feste Größen seien, die mehr oder weniger unveränderbar durch die Jahrhunderte an allem festhalten, was in den Büchern steht.
Die katholische Kirche hat sich immer nur so sehr verändert, wie unbedingt nötig war. Sie hält nach wie vor an archaischen Struktur, an ihrer "heiligen Ordnung" (nichts anderes bedeutet "Hierarchie") und z.B. an ihrer systembedingten Frauenfeindlichkeit fest (versuch mal, Päpstin zu werden). Die Eingeständnisse, die gerade die katholische Kirche an den Fortschritt gemacht hat, waren immer das gerade noch nötige Mindestmaß dessen, was nötig war, um die Strukturen weitgehend zu erhalten. Erst wenn es überhaupt nicht mehr anders ging, hat man Zugeständnisse gemacht und relativiert. Und das ist belegbar. Die katholische Kirche ist eine feste Größe. Gerade das macht ja einen Gutteil ihrer "Attraktivität" aus, der gelebte Konservatismus, das Festhalten an alten Werten, Ritualen, Traditionen, Glaubensgrundsätzen usw. Es ist ein behaglicher Ort. Den Nachsatz: "Einer, an dem man nicht nachdenken muss" erspare ich uns jetzt.
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Christentum ist der Überbegriff für die katholische und die protestantische Kirche. Beide trennen viel. Z.B. den Papst und beiden gemeinsam ist, dass das Neue Testament die Glaubensgrundlage ist (sonst würden sie nicht Christen heißen).
Mit Verlaub. Basis des christlichen Glaubens ist die Bibel, die "Heilige Schrift", und die besteht aus dem Alten und dem Neuen Testament. Christentum, Judentum und Islam sind abrahamitische Religionen, die sich, ihre Ursprünge betreffend, auf das Alte Testament (allerdings in etwas unterschiedlichen Fassungen) beziehen. Das Pentateuch hat für die römisch-katholische Kirche eine vergleichbare Bedeutung wie für das Judentum, mit dem Unterschied, dass das Judentum an dieser Stelle quasi Schluss macht.
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Und Jesus ist für sie kein Prophet.
Das war eine Vereinfachung, die aus dem Kontext hervorgegangen sein sollte. Es ist inhaltlich egal, wie man die Figuren nennt, ob Evangelist, Prophet, Messias oder sonstwie. Gut, dann nehmen wir stattdessen Paulus. Der hat auch prophezeit. Es folgten weitere.
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Und noch etwas: Theologen sind intelligente Menschen, die auch bereits erkannt haben, dass einige Formulierungen ... der Auslegung bedürfen. Entschuldige, so viel "Polemik" musst Du mir jetzt auch mal gestatten.
Nun könnte man dahergehen und fragen, warum diese Texte jetzt einer Auslegung bedürfen (warum hat Gott nicht für die "Ewigkeit" auch in geschichtlich kontextfreien Worten gesprochen?), aber damals für bare Münze genommen werden durften? Eine Antwort könnte lauten: Weil sie auch tatsächlich für die damalige Zeit verfasst worden sind, und in dieser Zeit. Es fällt mir schwer, zu glauben, dass ein allmächtiges Wesen so direkt und mittelbar verständliche, zum Beispiel landwirtschaftliche Regelungen "eingibt" (die auch noch regionalen Bezug haben!), aber nicht vorhersieht, dass es zum Beispiel eine industrielle Revolution geben wird. Dass eine zum Zeitpunkt des Entstehens durchaus "glaubhafte" Schöpfungsgeschichte (die ja nur einen Teil des AT ausmacht) erzählt wird, die aber ein paar tausend Jahre später mit hängen und würgen "ausgelegt" werden muss, bis nichts mehr erkennbar ist. Dass da Leute hunderte von Jahren alt wurden, und auch noch bis weit über hundert zeugungs- und gebärfähig waren, obwohl wenigstens Gott wissen musste, dass das unmöglich war - und immer noch ist? Wenn man die Frage stellt, inwieweit die Bibel metaphorisch ist (und man hat den Eindruck, der als metaphorisch zu interpretierende Teil wächst von Tag zu Tag), dann muss man auch die Frage stellen, warum sie es damals nicht war. Eine Antwort könnte lauten: Weil sie wirklich nur für diese Zeit gedacht war. Es war nicht die Absicht der Autoren - und sie konnten das wahrscheinlich auch nicht vorhersehen -, dass hunderte von Jahren später Leute immer noch versuchen würden, zu glauben, was sie da gerade schreiben.
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Und Tom, bitte reduziere den Thread nicht zwischendurch immer wieder auf die reine Buchbesprechung.
Okay. Man hätte vielleicht den Thread trennen sollen. Trotzdem halte ich an der Behauptung fest, dass hier eigentlich kaum jemand irgendetwas von dem, was Hitchens geschrieben hat, in irgendeiner Form zum mittelbaren Gegenstand seiner Äußerungen gemacht hat.